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Oleg Senzow

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Wegen Krim-Politik: Regisseur Oleg Sentsow im Hungerstreik

Seine Festnahme auf der Krim glich einem Kidnapping: Seit 2014 sitzt der ukrainische Regisseur Oleg Sentsow in russischer Haft, angeblich wegen "Terrorismus". Im Straflager am Polarkreis ist er seit 30 Tagen im Hungerstreik. Von Christine Hamel.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

In Labytnangi ist jetzt im Juni Tauwetter. Der Ort liegt im nordwestlichen Teil Sibiriens auf der Höhe des Polarkreises und wäre wohl nie in der Weltöffentlichkeit aufgetaucht, wenn hier nicht das Straflager „IK-8 Weißer Bär“ läge. Hier, am Ende der Welt, wo überall noch schmutzige Schneeinseln übrig sind, ist der ukrainische Regisseur Oleg Sentsow inhaftiert. Seit 30 Tagen ist er im Hungerstreik, um seiner Forderung nach Freilassung aller ukrainischen Gefangenen Druck zu verleihen.

Wim Wenders solidarisch

Die Solidarität ist weltweit groß, Filmemacher wie Andrej Zvjagintsev oder Wim Wenders haben sich für Oleg Sentsow eingesetzt, es gab Protestaktionen in New York, Kiew, Moskau und Berlin und der Grandseigneur des russischen Films Alexander Sokurow nutzte ein persönliches Treffen mit Putin, um den Präsidenten in diesem Fall umzustimmen. Ich flehe sie an, so Sokurow, finden Sie eine Lösung für dieses Problem. Putin indes verwies ungerührt auf Russland als einen Rechtsstaat, in dem allein Gerichte Entscheidungen treffen könnten.

Nur mit Hubschrauber erreichbar

Der Moskauer Dokumentarfilmer Askold Kurow hat das Gerichtsverfahren gegen Oleg Sentsow 2014 und 2015 mit der Kamera begleitet: „Der Prozess“ heißt sein Film, der 2017 die Berlinale eröffnet hat. Askold Kurow ist ein unermüdlicher Fürsprecher für seinen zu 20 Jahren Straflager verurteilten Kollegen und ist Anfang Juni zusammen mit Sentsows Anwalt und dem ukrainischen Bischof von der Krim nach Sibirien gereistper Flugzeug, Zug und Helikopter - das Straflager ist während des Tauwetters nur mit dem Hubschrauber zu erreichen. Durch eine Glaswand konnte er mit Oleg Sentsow 45 Minuten reden. Es war das erste Wiedersehen seit 2015. Askold Kurow berichtete darüber im ukrainischen Fernsehsender Hromadskoe.

Er hat sich natürlich verändert. Jetzt hat er acht Kilo verloren. Er hat sich beschwert, dass sich sein Gesundheitszustand durch das Klima verschlechtere. Man sieht das an seiner Haut, er ist sehr blass. Ich konnte ihm ein paar Nachrichten überbringen, denn Oleg ist in Isolationshaft. Er sitzt allein in der Zelle unter ärztlicher Aufsicht. Er hat die „Nowaja Gazeta“ abonniert, aber sie kommt immer erst mit zweiwöchentlicher Verspätung im Lager an. Daher wusste Oleg gar nichts von der weltweiten Unterstützung, die für ihn natürlich sehr wichtig ist. Allein damit er weiß, dass man ihn nicht vergessen hat. - Askold Kurow

Festnahme glich Kidnapping

Russland wirft dem 41jährigen Regisseur vor, Mitglied der paramilitärischen, rechtsnationalistischen ukrainischen Organisation Rechter Sektor zu sein und nach Annexion der Krim Anschläge auf Stromleitungen, das Lenin-Denkmal in der Hauptstadt der Krim Simferopol und Büros der Partei „Einiges Russland“ geplant und teilweise verübt zu haben. An dieser Version gibt es ernsthafte Zweifel, Oleg Sentsow war ein Aktivist des Maidan und half bei der Versorgung von ukrainischen Soldaten mit Lebensmitteln nach der blitzhaften russischen Besatzung der Krim, aber das macht ihn noch lange nicht zum Terroristen. Seine Cousine Natascha Kaplan schildert eine Festnahme, die an ein Kidnapping erinnert.

Nach Olegs plötzlichem Verschwinden haben wir lange überhaupt nichts von ihm gehört und waren völlig im Ungewissen. Wir wussten nicht, ob er noch lebt oder nicht. Das ging über mehrere Tage. Dann kam plötzlich die Anklage wegen Terrorismus - in Moskau. Und da war Oleg auch schon von der Krim nach Moskau verschleppt worden. - Natascha Kaplan

Alle zwei Tage am Tropf

Nach einem Prozess, der von verschiedenen Seiten massiv kritisiert wurde, bemüht sich Russland nun um humane Haftbedingungen. Zynisch könnte man es so sehen: Nach dem Unrecht folgt das Recht.

Oleg sah ganz gefestigt aus, er war sogar zu Scherzen aufgelegt und meinte, dass der 10. Tag des Hungerstreiks schwerer war als der 22. Aber ich habe Angst, dass die Situation schnell kippen kann, 30 Tage Hunger gelten als kritisch. Dann treten im Körper Prozesse in Gang, die ernsthafte Folgen haben können. Oleg bekommt eine unterstützende Therapie, alle zwei Tage hängt man ihn an den Tropf, um ihm intravenös Glukose und Vitamine zuzuführen. - Askold Kurow

Alle, die Oleg Sentsow kennen, sind überzeugt, dass er bis zum Ende gehen wird. Ob Putin und Poroschenko einen Gefangenenaustausch verhandeln können, bleibt offen. Putin könnte natürlich auch anlässlich der WM und der weltweiten Anteilnahme am Schicksal Oleg Sentsows Gnade walten lassen – das wäre ein Zeichen für Tauwetter.