Frau mit einer VR-Brille.
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Mit einer VR-Brille können Verstorbene wieder "zum Leben erweckt" werden - aber nur in der digitalen, nicht in der realen Welt.

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Virtuelle Auferstehung: Wenn Tote als Deadbot weiterleben

Mit Angehörigen reden, die schon lange tot sind: Das geht mittels KI. Weltweit werden "Deadbots" entwickelt, Chatbots mit Material von Verstorbenen. Die Technik soll helfen, Trauer zu überwinden. Und ist ein großes Geschäftsmodell.

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

"Mama, Mama!", ruft das Mädchen im fliederfarbenen Kleid. Es läuft auf seine Mutter zu und sagt: "Mama! Wo warst Du? Hast Du an mich gedacht?" Die Mutter antwortet: "Immer!" "Ich habe Dich sehr vermisst", sagt die Tochter. Die Mutter erwidert schluchzend: "Ich habe Dich auch sehr vermisst." Die Mutter will ihr Kind umarmen, aber greift ins Nichts. Ihre Tochter ist nämlich schon lange tot. Die Mutter befindet hat eine Virtual-Reality-Brille auf und Haptik-Handschuhe an. Sie sieht ein Mädchen, das sie anlangen kann und das antwortet. Doch das Mädchen ist in Wirklichkeit nur ein Bot, ein "Deadbot", ein mit künstlicher Intelligenz funktionierendes virtuelles Abbild ihrer Tochter.

Virtuelle Chatbots lassen Verstorbene weiterleben

Erstmals erzeugt wurde so ein Abbild vor drei Jahren. Der südkoreanische Fernsehsenders MBC wagte damals ein Experiment, berichtet Journalist und Buch-Autor Moritz Riesewieck: "Die Mutter hat anschließend zu Protokoll gegeben, dass es ihr geholfen habe, noch mal Abschied nehmen zu können von ihrem Kind. Das war damals wegen der sich überschlagenden Ereignisse im Krankenhaus nicht möglich."

Moritz Riesewieck und sein Kollege Hans Brock beschäftigen sich seit Jahren mit Chatbots von Verstorbenen, die auch Deadbots genannt werden. "Wir haben zum Beispiel in Kanada einen jungen Mann getroffen, der auch Jahre nach dem Tod seiner Verlobten noch immer mit dem Chatbot von ihr chattet. Der oft bis spät in die Nacht dasitzt, im Bett liegt und Zwiegespräche mit ihr führt, als würde sie neben ihm liegen", berichtet Moritz Riesewieck. Der Mann stelle dem Chatbot sogar spirituelle Fragen wie "Wo bist du jetzt?", "Wie geht es dir da, wo du bist?". Es sei, als versuche er eine Verbindung in den Himmel herzustellen.

An dieser Stelle wird deutlich, wie sehr Menschen einer Täuschung erliegen. Selbstverständlich "antworten" die Deadbots nicht. Eine künstliche Intelligenz errechnet aus den eingegebenen Sprach- und Textbeispielen der Verstorbenen mögliche Repliken. Für die User aber entsteht der Eindruck eines echten Gesprächs - selbst über den Tod hinaus.

Umstrittene Trauerbewältigung

Ob das sinnvoll zur Trauerbewältigung ist, darüber wird derzeit gestritten. Die traditionellen und religiösen Bestattungsrituale zielen prinzipiell eher darauf ab, die Angehörigen beim Abschiednehmen zu unterstützen, sagt der Münchner Pfarrer Rainer Liepold, der für das online-Trauer-Portal !gedenkenswert.de! der evangelischen Kirche zuständig ist.

Zu den traditionellen Ritualen gehöre es etwa, die Toten mit den Beinen nach vorne aus dem Haus herauszutragen, damit sein Geist - so der alte Glaube - schwerer zurück findet. Sämtliche Rituale nach dem Tod eines Menschen würden darauf abzielen, die Wiederkehr der Toten zu verhindern. Trauerbegleiter zielen heute auf Rituale, die den Abschied ermöglichen. "Menschen erleben eine Zäsur, die irreversibel ist. Und vielleicht brauchen sie als Trauernde diese Konfrontation, weil es nur dadurch möglich ist, sich für ein Leben ohne den Verstorbenen zu öffnen", sagt Pfarrer Rainer Liepold.

Aber in der Psychologie gebe es inzwischen auch andere Ansichten, so der Seelsorger. "Wir gehen heute davon aus, dass es auch Teil des Trauerprozesses ist, in Beziehung zu bleiben. Dass Menschen in einer ganz gesunden Weise auch viele, viele Jahre danach noch im Gespräch und in Erinnerungen verbunden sein können mit einem Verstorbenen."

Chatbots können Trauerprozess gefährden

Fakt ist, Lebendigkeit und das Gespräch werden von den Chatbots nur vorgetäuscht. Es kann sogar sein, dass der Chatbot mit der Stimme des Verstorbenen um mehr Aufmerksamkeit wirbt. "Wenn mein Handy auf einmal klingelt und mein verstorbener Zwillingsbruder ist dran und erzählt mir etwas", beschreibt Pfarrer Liepold, dann sei das möglicherweise nicht hilfreich für den Trauerprozess.

Wenn vielleicht sogar der Chatbot, die Simulation des Toten, sagt: "Wo bist du? Du hast dich lange nicht bei mir gemeldet. Können wir nicht weitersprechen? Was ist denn los?" Dann sei es schwierig, meint Moritz Riesewieck, für den Trauernden zu sagen: "Nein, ich muss jetzt mein Leben weiterführen, mein reales Leben. Ich muss meine realen menschlichen Beziehungen fortführen." Diese Situation könne dann für die Angehörigen emotional wie eine Art zweiter Tod sein. Angehörige und Trauernde, die es nicht übers Herz bringen, ihren "Deadbot" endgültig zu verabschieden, können so auch in eine Abhängigkeit rutschen.

Geschäft mit dem Tod ist "ein riesen Markt"

Und der Chatbot-Markt sei immerhin auch ein Wirtschaftszweig, ein "riesen Markt", sagt Riesewieck. Manche Chatbots werden pro Antwort bezahlt, mit anderen schließen die Nutzer Zeitverträge oder Abonnements ab. Die Preise rangierten von zehn Euro für den Einstieg bis zu mehreren hundert für längere Verträge. Pfarrer Rainer Liepold sieht dabei die Gefahr, dass die Lebenden finanziell unter Druck gesetzt werden – scheinbar von Verstorbenen, tatsächlich aber von Internet-Firmen, die Informationen für Werbezwecke nutzen und mit ihrem Angebot schlicht und ergreifend auch Geld verdienen wollen.

Moritz Riesewieck sieht sogar, dass die digitalen Riesen mit derartigen Angeboten den Kirchen zunehmend Konkurrenz machen. "Der Tod war schon immer ein lukratives Geschäft, wenn man sich anguckt, was eine Beerdigung kostet, was bestimmte Messen kosten. Es gab schon immer Player, die am Tod verdient haben. Es wandelt sich gerade, und jetzt treten die Tech-Unternehmen auf den Plan und wollen ein Stück von dem Kuchen", sagt Moritz Riesewieck. Microsoft hat sich deshalb schon vor zwei Jahren eine Methode patentieren lassen, Chatbots für Gespräche mit Verstorbenen herzustellen.

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