Das typische blaue Schild Verkehrszeichen 325.1 weist auf eine verkehrsberuhigte Zone, auch Spielstraße genannt, hin. Hier ist die Geschwindigkeit der Autos auf Schritttempo zu reduzieren, laut Gesetzgeber vier bis sieben Stundenkilometer.
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Für die Einen notwendiger Spielraum, für die Anderen unnötiges Übel: Spielstraßen in dicht bebauten Großstadtvierteln erhitzen die Gemüter.

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Streit um Kolumbusstraße: Annäherung statt Spaltung?

Wenn Straßen in Wohnvierteln verkehrsberuhigt werden, löst das nicht nur Zustimmung aus. Im mittlerweile bundesweit beobachteten Streit um die Kolumbusstraße in München wächst nun nach der Wut aber vielleicht eine neue Form der Basisdemokratie.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Wie man Autoverkehr verringern und gleichzeitig die Lebensqualität in den Städten verbessern kann? Vielleicht wie in der Kolumbusstraße, einer ruhigen Wohnstraße in der Münchner Au, die diesen Sommer in der Mitte durch einen provisorischen Grünstreifen geteilt ist. Eine Passantin ist angetan davon, dass es auf dem Rasen kühler ist als nebenan auf dem Asphalt: "Man merkt einfach, dass hier gegossen wird und es grün ist. Das finde ich großartig." 40 Parkplätze liegen nun teils unter Rasen, teils unter Sand – sie mussten für das Testprojekt der TU München weichen, das seit Mai läuft. Im Herbst soll alles wieder abgebaut und wissenschaftlich ausgewertet werden.

Getrübte Erfolgsbilanz

Die Zwischenbilanz ist bei einigen Anwohnern schon jetzt sehr negativ: "Die Leute, die behindert sind, denen muss man die Möglichkeit geben, vor der Haustüre einzusteigen. Das wurde hier überhaupt nicht bedacht", sagt eine Frau. "Man kann einen 40-Meter-Sandkasten nicht einen Meter vors Schlafzimmer setzen, mit den ganzen spielenden Kindern. Es hallt bis in den fünften Stock", meint eine andere. Ein weiterer Anwohner sagt: "Wir sind nie gefragt worden, ob wir das wollen." Dabei hatten der Bezirksausschuss das Projekt befürwortet – sämtliche demokratischen Verfahren hat es durchlaufen.

Gemeinschaftssinn hin oder her?

Eine junge Mutter, deren Kind nun auf der Grünfläche spielt, wo sonst Autos parken, ist begeistert von der Neugestaltung: "Für alle, die im Urlaub nicht wegfahren können, ist das hier eine kleine Oase. Und da darf man auch mal ein bisschen Kinderlärm ertragen, finde ich."

Anders sieht das Steffen Winkels. Den Anwohner einer Nebenstraße wurmt das Projekt so sehr, dass er nun sogar dagegen vors Gericht gezogen ist: "Hier in der Kolumbusstraße werden 40 Parkplätze entfernt. Die parken natürlich dann bei mir in der Nebenstraße." Während die Grünen im Bezirksausschuss das Projekt weiter unterstützen, zeigt sich die CSU skeptisch. Wobei die Konservativen im Bezirksausschuss einerseits einem Kompromiss-Vorschlag zustimmten, andererseits im Münchner Stadtrat das Projekt per Eilantrag ganz stoppen wollten.

Andreas Babor will in dieser Doppelstrategie weder einen Widerspruch noch Wahlkampf-Aktionismus sehen. Der CSU-Stadtrat erinnert an Handwerker und Pflegedienste, die Parkplätze bräuchten: "So eine Stadt ist etwas Hochkomplexes - das muss einfach funktionieren. Man kann nicht einfach etwas ausprobieren, das muss wirklich wohlüberlegt sein. Da leben ja Menschen. Das ist auch der Punkt, den wir aufgegriffen haben, und gesagt: So kann es nicht mehr weitergehen."

"Grüne Ideologen" gegen "Wutbürger"?

Medial ist über diese Sommer-Debatte, die angeblich das Viertel Untergiesing spaltet, schon viel berichtet worden. Im Fernsehen sprach eine Anwohnerin von "Krieg". Von Beschimpfungen, fliegenden Eiern und Wasserpistolen-Attacken war zu lesen.

Von Eva Goroll war dagegen bisher noch nirgends die Rede: "Ich will diesen Streit, den möchte ich nicht, ich will die Leute zueinander bringen." Die Anwohnerin hat deshalb eine Whatsapp-Gruppe mit ins Leben gerufen, die erbitterte Gegner, wie den Kläger Steffen Winkels, mit Befürwortern vernetzt hat. Goroll selbst zählt wohl eher zur letzteren Gruppe. Sie isst nach eigenen Angaben jeden Tag auf der Sandfläche ihr Mittagessen.

Zusammenrücken bedeutet Opfer bringen

Die Softwaregestalterin kennt sich mit der Frage aus, wie man Menschen begleitet, wenn sie sich an neue Verhältnisse gewöhnen müssen. Für sie als Fan der verkehrsberuhigten Kolumbusstraße bedeutet das, auch die Nachteile im Blick zu haben: "Wir haben zum Beispiel aufgenommen, dass Anwohner darüber klagen, dass Sand in die Hauseingänge kommt und Ältere ausrutschen. Dann ist die Straßenreinigung hier motiviert worden, fünfmal in der Woche vorbeizufahren, damit nicht so viel Sand in die Hauseingänge kommt", sagt sie. "Ich habe seitdem von nicht mehr so vielen Beschwerden gehört."

Die Geschichte von der Kolumbusstraße war bisher eine Geschichte von Stereotypen: von jungen, weltoffenen und etwas ignoranten Sandkasten-Mamis, von veränderungsresistenten Wutbürgern, von einer Politik, die wiederum versucht, die Sache für sich zu nutzen. Was Eva Goroll erzählt, klingt anders.

Einen Schritt weiter

"Es bringt ja nichts, wenn wir alle immer nur schimpfen. Und es gab dann auch eine Diskussion, wo alle sich gegenseitig zugehört haben – und nicht immer alles wieder neu wiederholen mussten. Und an der Medienberichterstattung sehe ich auch, dass immer wieder das Gleiche gemacht wird. Aber wir sind einen Schritt weiter mittlerweile", meint sie. Vielleicht ist dies also doch keine Geschichte vom Ende der Demokratie, sondern von ihrem Neuanfang.