Der Schriftsteller bei seiner Rede
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Salman Rushdie beim Online-Auftritt in Philadelphia

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Starautor Salman Rushdie: Sorgen um die Demokratie – und die USA

Bei einem Online-Auftritt in Philadelphia warnt Schriftsteller Salman Rushdie vor autoritären Politikern, beklagt eine Wildwest-Manier im Netz – und äußert Gedanken zur Meinungsfreiheit, wobei er auch die Strafen für Holocaust-Leugnung hinterfragt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Bei einem Diskussionsgipfel zur Meinungsfreiheit, wie sie im ersten Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten garantiert ist, hat sich der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie äußerst beunruhigt gezeigt über den Zustand der öffentlichen Debatten.

Rushdie war vor gut einem Jahr auf einer Bühne im Bundesstaat New York während einer Lesung mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt worden. Er wird wegen seines Buchs "Die satanischen Verse" mit dem Tode bedroht, der iranische Geistliche und damalige Revolutionsführer Ajatollah Chomeini hatte im Februar 1989 über ihn eine "Fatwa" verhängt, also ein islamisches Rechtsgutachten ausgestellt, wonach Rushdie den Tod verdient habe. Moslems durften sich aufgefordert fühlen, dieses "Urteil" zu vollstrecken.

Der Autor sagte nun zugeschaltet in Philadelphia, noch vor zehn oder zwanzig Jahren sei er überzeugt gewesen, dass religiöser Extremismus aller Schattierungen die größte Gefahr für die Meinungsfreiheit sei, unabhängig davon, ob es um Islamismus, Hinduismus oder fanatische Christen gehe. Ein aktuelles Indiz dafür sei die Entscheidung des obersten Gerichtshofs der USA, das Recht auf Abtreibung rückgängig zu machen, was ihn an den Kampf um die Aufklärung erinnere, wie er im 18. Jahrhundert ausgefochten worden sei. Damals sei es hauptsächlich gegen die Kirche und ihre Dogmen gegangen.

"Ich finde das alles befremdlich"

Inzwischen drohe aber aus einer anderen Richtung Gefahr: "Populistische autoritäre Demagogie gepaart mit der Bereitschaft zumindest eines Teils der Bevölkerung, die im Ersten Verfassungszusatz verankerten demokratischen Werte nicht mehr wertzuschätzen. Ich glaube, das Problem ist jetzt eher ein politisches als ein religiöses."

Konkret nannte Rushdie die Versuche von Fundamentalisten, Schulbibliotheken von unerwünschten Inhalten zu "säubern": "Ich finde das alles befremdlich und glaube, dass es mit zwei Vereinbarungen zu tun hat, die aufgekündigt wurden. Zum einen waren in einer Umfrage zwei Drittel der republikanischen Wähler der Meinung, dass Universitäten schlecht für Amerika sind, weil dort Leute indoktriniert würden."

Rushdie befürchtet außerdem, dass sich Teile der Bevölkerung neben der Bildungsbeflissenheit von einem weiteren Grundprinzip freier Debatten verabschiedet haben: "Eine der Voraussetzungen für den Aufstieg eines autoritären starken Mannes ist, dass die Menschen aufhören, an die Wahrheit zu glauben. Den Menschen wird so oft eingetrichtert, dass alles, was ihnen erzählt wird, eine Lüge ist, bis sie anfangen, das zu verinnerlichen, und an diesem Punkt könnte der Demagoge, der autoritäre Anführer, aufstehen und sagen: 'Die Wahrheit bin ich. Glauben Sie einfach mir.' So entstehen Diktaturen. So entstehen Tyrannen. Und wir sehen solche Phänomene in diesem Land, aber auch auf der ganzen Welt."

Rushdie stellt Strafbarkeit von Holocaust-Leugnung in Frage

Die "aufstrebende Generation" der sehr jungen, progressiven Menschen fühle sich der freien Meinungsäußerung allerdings auch manchmal "entfremdet", meint Rushdie. Er erinnerte daran, dass die Meinungsfreiheit weltweit höchst unterschiedlich definiert werde. So seien rassistische Bemerkungen in Großbritannien strafwürdig, was er für richtig gehalten habe. In den USA werde Redefreiheit jedoch viel freizügiger ausgelegt: "Ich habe das durchaus genossen, nach dem Motto 'Lasst sie uns alle anhören, damit wir wissen, wer sie sind und wir sie bekämpfen können'."

Rushdie kritisierte, dass die Leugnung des Holocausts in Deutschland aus nachvollziehbaren historischen Gründen bestraft werde: "Aus meiner Sicht ist das ein Fehler, weil die Leugnung des Holocaust dadurch nicht verschwindet." Alle verbotenen Dinge seien "irgendwie verführerisch". Die Holocaust-Leugnung dürfe dies jedoch keinesfalls sein. "Es gibt also nicht so etwas wie Meinungsfreiheit an sich, sondern jede westliche Gesellschaft hat für sich definiert, wo die rote Linie verläuft."

"Wilder Westen im Netz"

Das Netz und die sozialen Medien stellten ein "Problem" für die freie Aussprache dar, so der Schriftsteller: "Ich weiß noch nicht, was meine Antwort darauf ist." Allerdings sei das Netz zunehmend ein "unerfreulicher Ort" geworden, voller Leute, mit denen er nichts zu tun haben wolle: "Alle anderen Medien, egal ob Rundfunk oder Presse, unterliegen irgendeiner Art von redaktioneller Bearbeitung. Deswegen haben Verlage Lektoren. Die redaktionellen Entscheidungen werden nicht selten von Mitarbeitern dieser Medien kritisiert. Jetzt haben wir diese neue Arena, die wie der Wilde Westen funktioniert. Sie können mit einer Knarre herumreiten und schreien, wir glauben an die Freiheit. Die Frage ist also, ob einige der Prinzipien, die für alle anderen Medien gelten, auf das Netz übertragen werden können." Er selbst habe jedoch keine Ahnung, wie das umzusetzen sei.

Rushdie lobte ausdrücklich Medien wie X (früher Twitter"), die bei all ihren Risiken wichtige Nachrichten viel schneller verbreiten könnten als andere Informationskanäle. Das habe sich zum Beispiel bei Rebellionen wie im Iran positiv ausgewirkt.

"Wann genau war das?"

Hart ins Gericht ging Rushdie mit den US-Republikanern, die alles täten, um demokratische Grundsätze auszuhöhlen: "Wenn Sie große Teile der republikanischen Wählerschaft haben, die glauben, dass die letzte Wahl gefälscht war und Donald Trump um seinen Sieg betrogen wurde, wenn der Angriff auf die Wahrheit dieses Erfolgsniveau erreicht hat, dann befinden wir uns in echten Schwierigkeiten."

Mit Trumps Werbespruch "Make America Great Again" (Macht Amerika wieder groß) verbinde er stets die Frage: "Wann genau war das? Von welchem Datum aus schauen wir zurück? Meint er die Sklaverei? Oder die Zeit, bevor Frauen wählen durften? Vor der Bürgerrechtsbewegung? Zu welcher Großartigkeit sollen wir zurückkehren?" Das Problem an jeder Art "Goldenem Zeitalter" sei es, dass keines je existiert habe. Das habe auch den Brexit bewirkt.

Der erste Verfassungszusatz sei einer der Gründe gewesen, warum er überhaupt in die USA ausgewandert sei, so Rushdie: "Ich war überzeugt, dass die Amerikaner diesen Grundsatz stets heiligen würden."

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