Alexander Schimmelbusch beherrscht die Klaviatur des Erzählens besonders auf zwei Arten: In Sachen Finanzökonomie macht ihm keiner etwas vor, und er weiß zudem, dass Erkenntnis im Akt des Lesens durch das Mittel der Übertreibung erreicht werden kann. Im Zentrum seines neuen Romans "Hochdeutschland" steht der 39-jährige Multimillionär Victor. Er hat es vom erfolgreichen Investmentbanker zum Mitinhaber der innovativen "Birken Bank" gebracht, mit Sitz in Frankfurt – der "Hochburg" des deutschen Geldwesens: "Der Wohlstand schwappte aus dieser Stadt", heißt es im Text, "die letzten Makel der Nicht-Premiumhaftigkeit verschwanden, die letzten Reste von Armut und Kleinbürgertum, nicht aus den Seelen der Menschen, aber aus dem gesellschaftlichen Gewebe."
Der Banker mit dem weichen Herzen
Schimmelbuschs Held Victor ist eine seltsame Erscheinung: Er fährt das Sondermodell eines elektrobetriebenen Porsches, isst gern in teuren Lokalen, trinkt die besten Weine – dies zeitweise in gefährlichen Mengen. Zugleich ist aber Victor alles andere als ein aufgetunter Yuppie. Er ist zwar nicht verheiratet, hat aber eine sechsjährige Tochter, die er abgöttisch liebt: Victoria. Victor und Victoria, die Siegerfamilie im modernen Turbokapitalismus. So simpel gestrickt diese Namensgleichung auf den ersten Blick aussehen mag, so simpel negativ konnotiert erscheint auch die Beschreibung von Victors Sein und Tun auf den ersten 50 Seiten des Romans von Alexander Schimmelbusch: der Investmentbanker als Kotzbrocken.
Doch genau das ist vom Autor gewollt, also geschickt arrangiert. Denn im Fortgang des Romans merkt man, dass Victor nicht nur in familiären Dingen ein weiches Herz hat, sondern dass auch im sozialen, gesellschaftlichen Bereich sein Herz eher links schlägt, will heißen: Obwohl er selbst zu den Superreichen zählt, würde er den Großteil seines Geldes in Projekte investieren, die soziale Schieflagen ausgleichen. Nicht nur die Tatsachen, dass die Reichen immer reicher werden und die wohlhabende Mittelschicht wegbricht, sind für ihn verdammenswert. Geradezu als skandalös empfindet er, dass die Chancengleichheit bei der Jugend in Sachen Bildung nicht mehr gewährleistet ist. Denn eine Gesellschaft, die ihr Human- und Geisteskapitel verschleudert, ist im Niedergang begriffen. Anders gesagt: Für Victor, und wohl auch für Alexander Schimmelbusch selbst, befindet sich "Hochdeutschland" im rasanten Sinkflug: "Victor bezog sich auf den Neoliberalismus im umgangssprachlichen Sinne, also auf die radikale Heilslehre von der Entsolidarisierung, die in den letzten zwei Jahrzehnten lustvoll einen tiefen Keil in die Gesellschaft des Westens getrieben hatte. Auch in Deutschland konnte vom egalitären Ideal Ludwig Erhards keine Rede mehr sein."
Manifest im Roman
Ludwig Erhard und sein Motto "Wohlstand für alle" sind für Victor Leitgedanken, an denen er sein Denken ausrichten möchte. "Wohlstand" heißt aber nicht "Sattheit", sondern "Chancengleichheit" als Ansporn. Es mag für manche Leser etwas befremdlich sein, dass Victor mit der gegenwärtigen Ausrichtung der Politik nicht viel anfangen kann – der Roman spielt ja im Jahr 2017. Das klingt ein wenig nach Populismus, doch was Alexander Schimmelbusch als "Übertreibungskünstler", also als Nachfahre Thomas Bernhards, beklagt, ist eine Ideen-, und Visionslosigkeit regierender Politiker. Zwar lässt der Autor das Thema globalisierte Wirtschaft außen vor, doch wenn er vom Ist-Zustand Deutschlands spricht, dann wird ersichtlich, dass eine Politik, die zuvorderst nach ökonomischer Optimierung strebt, die anfallenden sozialen Probleme des Turbokapitalismus nicht lösen wird.
Mitten in die Erzählung von Victors Leben und Denken setzt Alexander Schimmelbusch einen gewagten Bruch. Der Banker, der heimlich auch an einem Roman schreibt, formuliert ein gesellschaftsökonomisches "Manifest", wie er es selbst nennt. Darin geht es klar formuliert gegen Wuchermieten, gegen Turbokapitalismus und neoliberlan Egoismus. Und es geht um die Zukunft Deutschlands. So manche Formulierung, so manche Forderung des Investmentbankers Victor ist höchst radikal: "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unsere Berufspolitiker, indem sie ihren ökonomischen Rassismus ausleben, schamlos gegen die Interessen ihres Landes arbeiten. […] Unser Ehrgeiz muss sich in einem System manifestieren, in dem alle Kinder als privilegiert behandelt werden, unabhängig von Einkommen und Bildung der Eltern. Nicht die Reichsten sollen gewinnen, sondern unsere Besten."
Schließlich holt Victor in seinem Manifest zu einem ganz großen Schlag aus: "Als geeignete Maßnahme erscheint eine harte Vermögensgrenze, die wir auf der Höhe eines Nettobetrags von 25 Millionen Euro pro Bürger ziehen werden und oberhalb derer etwaige Vermögenswerte an das Gemeinwesen abzuführen sind. Denn mal ehrlich, liebe Leute: Es bricht niemandem einen Zacken aus der Krone, als Einzelperson mit nur 25 Millionen Euro auskommen zu müssen."
Gewebe unterschiedlicher Textsorten
Dieses fast 30 Seiten lange Manifest Victors im nicht allzu umfangreichen Roman bedeutet den Bruch mit klassischen Erzählkonventionen. Alexander Schimmelbusch ist somit ein Autor, der dem Strickmuster vorgezeigter Romanteppiche und den Geboten der Handwerkslehrer aus den Schreibschulen die kalte Schulter zeigt! "Hochdeutschland" ergibt ein Gewebe verschiedener Textsorten: Erzählung, Dialog, innerer Monolog, Reflexion und manifestartige Überlegungen zur sozialen wie ökonomischen Zukunft Deutschlands. Dass das Ganze auch noch mit Witz, Kenntnisreichtum und Esprit geschrieben ist, erhöht das Lesevergnügen. Und dass man nach der Lektüre etwas nachdenklicher sein wird, ist höchstwahrscheinlich das eigentliche Ziel des Autors.
"Hochdeutschland" von Alexander Schimmelbusch ist bei Klett-Cotta erschienen.