Barbara Kingsolver auf der Lit.Cologne im März 2024
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Barbara Kingsolver auf der Lit.Cologne im März 2024

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Pulitzer-Preisträger: "Demon Copperhead" von Barbara Kingsolver

Barbara Kingsolver hat viele Romane geschrieben und erhielt eine Menge Preise dafür. Den wichtigsten, den amerikanischen Pulitzer-Preis, erhielt sie für ihr jüngstes Werk. "Demon Copperhead" erzählt vom Drama der Opiod-Krise in den USA.

Der Roman geht gleich los wie eine Rakete. Er enthält eine Menge Witz, Schlagfertigkeit und Zuversicht. Dabei handelt er von schlimmen Schicksalen. Sein Held, Demon Copperhead, bringt sich selbst zur Welt, und zwar in einem heruntergekommenen Wohnwagen in Lee County, Kentucky, am Fuß der Appalachen. Als die Wehen kamen, hat sich seine Mutter einen Schuss gesetzt. Demon findet allein aus ihr heraus.

Dickens' "David Copperfield" diente Kingsolver als Vorbild

An seinem 11. Geburtstag erhält er die Nachricht, dass sie an einer Überdosis Oxycodon gestorben ist. Sein Vater ist bereits vor der Geburt verunglückt, der Stiefvater ein Sadist. Demon hat nur die Peggots, eine barmherzige, kinderreiche Familie aus der Nachbarschaft. Ein Leben, das so anfängt, endet meist in einer Katastrophe. Nicht so bei Barbara Kingsolver, denn sie hat mit ihrem Helden und mit uns, den Lesern, etwas anderes vor.

Sie lässt den 18-jährigen Demon Copperhead die ereignisreiche Geschichte seines Lebens erzählen. Ein liebenswerter Unglücksrabe, wie er auch bei Charles Dickens ("David Copperfield") vorkommt, ihrem Vorbild. Damit ist sie nicht allein. John Irving ist bekennender Charles Dickens Fan, genauso wie der Texaner Philipp Meyer, dessen Roman "American Rust" von jugendlichen Herumtreibern im Rostgürtel der USA handelt, dort wo es keine Arbeit mehr gibt und Amerika wirklich bitter arm ist.

Barbara Kingsolver hatte den Plan, so sagt sie, den großen Roman über das Leben in den Appalachen zu schreiben, ihre Heimat; eine Gegend, die zum Symbol für Rückständigkeit und die Verheerungen durch die sogenannte Opioid-Krise wurde. Diese Krise führte zur Verelendung und dem Tod Hunderttausender. Ursache war die massenhafte Verschreibung süchtig machender Schmerzmittel durch Ärzte. Und Lee County, ein real existierender Ort, in dem Kingsolvers Held Demon Copperhead aufwächst, sei der Ground Zero der Epidemie, so die Autorin.

Der Roman erzählt vom Drama der US-amerikanischen Opioid-Krise

Die Opioid-Krise steht also im Zentrum des Romans. Barbara Kingsolver erzählt, wie die Berater des verantwortlichen Pharmaunternehmens Purdue Pharma die Gegenden mit den meisten Schmerzpatienten ausfindig machten. Lee County war eine von dreien.

Es ist eine Region ohne funktionierendes Gesundheitssystem: Wenige Ärzte, kaum Krankenhäuser, eine Krankenversicherung, die nur die Kosten für Medikamente übernimmt, so die Autorin im Interview. Nachdem die Arbeitgeber, ob im Kohlebergbau oder in der Landwirtschaft, die Leute ausgebeutet hatten, trat die Pharmaindustrie auf den Plan, um auch noch "unseren Schmerz zu Geld zu machen", sagt Barbara Kingsolver.

In dieser Umgebung wächst Demon heran. Als Schüler überlebt er mit viel Glück das alltägliche Grauen in häufig wechselnden Pflegefamilien. Schließlich entdeckt ihn ein Footballtrainer, denn er macht auf dem Spielfeld eine gute Figur. Das erste Mal ist Demon nun stolz auf sich, er ist jemand, hat einen Platz gefunden und erhält Anerkennung.

Nach wenigen Jahren jedoch bereitet eine Knieverletzung seiner Karriere ein jähes Ende. Der Sportarzt verschreibt Oxycontin gegen die Schmerzen. Damit beginnt Demons Tanz mit der Sucht. Fast sieht es aus, als würde er den Weg seiner Mutter einschlagen. Da tauchen die Peggots wieder auf - als Retter in der Not. Der Rest der von Dirk van Gunsteren herrlich übersetzten, auch im Deutschen vor Leben sprühenden Geschichte wird nicht verraten.

Sprachlich herausragend: Kingsolver meistert den Slang der Jugend

Ein Wort zu Kingsolvers Sprache: Eine bald 70-jährige Autorin beherrscht den Slang der Jugend. Ihre Sprache ist glaubhaft die Demon Copperheads. Sie hat Frische, Energie, Überzeugungskraft, auch in den Reportageteilen des Romans. Ihre Sätze scheinen direkt aus dem Bauch zu kommen oder mit geballten Fäusten geschrieben zu sein. Diese Sprache ist die Superpower Barbara Kingsolvers.

Trotzdem: Etwas nagt ganz leise an der Begeisterung für diesen Roman. Wieso hat sich Barbara Kingsolver so eng an Charles Dickens Hauptwerk "David Copperfield" angelehnt? Dickens‘ autobiographisch grundierter Roman erschien 1850. Kingsolver nimmt ihn als Blaupause. Selbst die Namen ihrer Figuren sind bei ihm abgeschaut: Agnes, Emily, Mr. Creakle, Mrs. Betsey, die Peggots. Aus all dem macht die Schriftstellerin kein Geheimnis.

Aber wäre es nicht auch ohne diese Symbiose mit dem großen Vorbild gegangen? "Demon Copperhead" von Barbara Kingsolver ist jedenfalls der Beweis dafür, dass der sozialkritische Roman lebt.

Der Roman "Demon Copperhead" von Barbara Kingsolver ist in der Übersetzung von Dirk van Gunsteren bei dtv erschienen und kostet 26 Euro.

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