Eine Frau läuft mit VR-Brille und Blindenstock durchs Nürnberger Zukunftsmuseum.
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Zurückgewonnene Autonomie: Bei einem Testlauf im Nürnberger Zukunftsmuseum probiert die blinde Nicole ein digitales Leitsystem aus.

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Nürnberger Zukunftsmuseum wird auch für Blinde sichtbar

Schon bald können auch blinde Menschen im Nürnberger Zukunftsmuseum auf Entdeckungsreise gehen. Ein spezielles digitales System ist kurz vor der Fertigstellung. Mit ihm können Blinde und Sehbehinderte das Museum ganz ohne Unterstützung besuchen.

Interner Testgang durch das Zukunftsmuseum, ein Ableger des Deutschen Museums: Nicole, Jahrgang 1987, ist zufrieden: "Die Barrierefreiheit ist topp, es ist echt klasse", sagt sie nach den ersten Schritten, bei denen sie sich von Journalisten begleiten lässt. Nicole bewegt sich mit einer VR-Brille (VR = virtual reality) auf dem Kopf durch den Ausstellungsbereich "Raum und Zeit", der sich dem alten Menschheitstraum von fernen Galaxien und unendlichen Weiten widmet.

Tonsignale leiten durch die Ausstellung

Die verwendete VR-Brille, eine sogenannte HoloLens, ist bei vielen Computerspielen bereits Standard. In diesem Fall hat das Zukunftsmuseum das Nürnberger Jungunternehmen Inclusify beauftragt, eine Software zu programmieren, die Menschen mit starker Seheinschränkung oder völlig Blinden einen autonomen Museumsbesuch ermöglicht.

Über räumliche Tonsignale werden die Besucher zu den Exponaten in den Ausstellungsbereichen geführt. In einem weiteren Schritt werden die Inhalte an einzelnen Stationen so aufbereitet, dass sich auch Sehbehinderte eigenständig über die Exponate informieren können.

Gefahren von Weltraumschrott: Infos auch in Blindenschrift

Derzeit sind im Nürnberger Zukunftsmuseum die Ausstellungsinhalte für die VR-Brille noch nicht fertig programmiert. Nicole, die als Kind mit eineinhalb Jahren komplett erblindete, ist sich beim Probelauf aber sicher: "Ich werde die Brille benutzen." Allerdings würde sie lieber die bisherigen akustischen Signale in andere Töne ändern. Außerdem fühle sich die Brille nach einiger Zeit schwer an: "Wie ein halber Helm." Immerhin führt sie die Brille zum Beispiel zur Station über die Gefahren des Weltraumschrotts. Dort kann die junge Frau die Infos in Blindenschrift lesen.

Hören, berühren, riechen: Stationen mit mehr Sinnen erfahren

Tast-Stationen sind Bestandteil der inklusiven Angebote im neuen Zukunftsmuseum. Grundsätzlich haben die Ausstellungsplaner auch Aspekte wie die Sichthöhen von Infotexten und gute Lesbarkeit durch Kontraste und Farbgebung beachtet. Außerdem finden sich in dem modernen Ausstellungskonzept Stationen für Mehr-Sinne-Erfahrungen, die beispielsweise hörbar, berührbar oder auch mal riechbar sind. Um weitere Barrieren abzubauen, werden Medienstationen untertitelt, auch in Gebärdensprache. Audiostationen bieten eine Klinkenbuchse, damit Besucher eigene Kopfhörer nutzen können.

Zukunftsmuseum als Plattform für inklusive Technologien

Der nächste Schritt bei der Inklusion ist das digitale Leitsystem mit der VR-Brille. Am Ende will das Zukunftsmuseum aber allen Besuchern einen Mehrwert bieten. "Wir sehen das Zukunftsmuseum auch als Plattform, neue, inklusive Konzepte und Technologien auszuprobieren und sie in der praktischen Umsetzung und in der Betrachtung ihrer Akzeptanz zu evaluieren", sagt Louisa Bohn vom Museum. So wolle man die Inklusion in der Gesellschaft fördern.

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Das Ziel: Autonomes Museumserlebnis für alle Menschen

Für Inclusify-Gründer und Chef Marco Richardson ist das Blindenleitsystem mit der HoloLens-Brille nur ein erster Schritt. Technisch lässt sich das digitale System nahezu beliebig erweitern. Er spricht nicht mehr von Virtueller Realität, sondern "Extended Reality", also einer "erweiterten Realität". Man kann eben auch Gebärdensprache oder Audiofiles einspielen – "für ganz individuelle und autonomere Museumserlebnisse für alle Menschen".

Alle Menschen können behindert werden

Denn Richardson beschränkt seinen Inklusionsbegriff nicht auf Menschen, die beim Sehen oder Hören eingeschränkt sind. Vielmehr entstehen Behinderungen für ihn dann, wenn Menschen beispielsweise aufgrund persönlicher Merkmale ausgegrenzt sind. Besucher in der Ausstellung sind auch "behindert", wenn sie kein Deutsch lesen können und es keinen Audioguide in ihrer Sprache gibt.

Erfahrungen aus Testlauf wichtig für Systementwicklung

In die Weiterentwicklung fließt auch die Erfahrung der 73-jährigen Annegret ein. Sie ist durch eine Krankheit erst mit 38 Jahren auf einem Auge komplett erblindet. Mit dem anderen Auge sieht sie die Schemen von Handbewegungen, Licht und Farbe. Ihr fällt beim Testlauf im Zukunftsmuseum auf, dass es unter der Brille ziemlich warm wird. Außerdem stören sie die Lichtspiegelungen in der Brille. In Summe ist sie aber zufrieden. Weil sie sonst nicht allein in ein Museum gehen könne, "ist diese Brille schon mit akustischen Signalen gut für mich".

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