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Reise-Romanze: "303" von Hans Weingartner

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Neu im Kino: Hans Weingartners Reise-Romanze "303"

Ein Kammerspiel auf der Straße, ein Roadmovie in einem rund 30 Jahre alten, dem Film seinen Titel gebenden Mercedes Hymer 303. Weingartner begleitet hier zwei Studenten bei ihren Gesprächen über Philosophie, Politik - und Liebe. Von Marie Schoeß

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Es ist der Ort für leichte Sommerfilme: Ein altes Wohnmobil, in dem Bier kalt steht und Musik läuft, in dem man an jedem Eck Rast machen kann, um auf den nächsten Sonnenuntergang zu warten. Doch schon Jules melancholischer Blick hinterm Steuer erzählt eine andere Geschichte: Sie gehört nicht zu denen, die sich sorglos auf den Weg in den Süden machen. Sie ist unterwegs zu ihrem Freund. Schwanger, und das ungewollt.

Die großen Fragen des Lebens

An der ersten Autobahnraststätte trifft sie dann auf Jan. Auch er will in Richtung Süden – seinen Vater suchen, der in Spanien lebt und ihn noch nie gesehen hat. Und so beginnen Jule und Jan, jeder mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt, gemeinsam ihre Reise und ein Gespräch über die großen Fragen des Lebens: 

„Ich glaub, viele Leute verwechseln Leidenschaft mit Liebe und denken, wenn sie stark leiden, seien sie extrem stark verliebt. Aber das ist ein Riesenproblem – weil dieses "Amour fou"-Ding, wenn es dauernd kracht, das klappt vielleicht im Kino, aber in echt bringt das nur Ärger und Unglück und Scheißdreck…“ (Filmausschnitt)

Regisseur Hans Weingartner, selbst Ende 40, also ein gutes Stück entfernt von langen Semesterferien, wagt in diesem Film genau das Gegenteil einer solchen dramatischen Liebesgeschichte: Er verfolgt, wie sich ganz langsam ein Einverständnis zwischen zwei Menschen entwickelt, wie diese beiden Studenten hunderte Kilometer lang schweigen, diskutieren, lachen und Musik hören müssen, bis sie schließlich einen ersten Kuss wagen. Und er lässt auch den Zuschauer warten, verzichtet auf die großen Gesten oder den einen magischen Moment, in dem plötzlich alles klar ist. Stattdessen: Dialoge zwischen Raststätten, Stränden am Rand der Landstraße und dem Küchentisch im Bus.

„Aber jetzt komm bitte nicht mit Kapitalismus, Kommunismus – das ist doch so 90er. Viel interessanter ist doch die Frage nach dem Grundprinzip, ja? Was uns als Menschheit insgesamt weiterbringt. Konkurrenz oder Kooperation. Ich mein, warum hätte ich dich sonst mitgenommen? Mitgenommen habe ich dich, weil du mir leid getan hast. Mitgefühl, Empathie, Spiegelneuronen.“ (Filmausschnitt)

An diesen Dialogen krankt der Film jedoch – nicht weil ihnen die Dynamik fehlte oder weil man den beiden Hauptdarstellern ihre Rolle nicht abnähme, im Gegenteil. Wohl jeder Student Mitte 20 kennt diesen Zustand: Wie berauscht von den theoretischen Problemen, die man nicht lösen kann, und doch ahnungslos genug, um sich zuzutrauen, die großen Fragen angemessen stellen und irgendwann auch beantworten zu können.

Ein Regisseur, der seinen Figuren nicht traut

Nur wirkt die Geschichte der beiden hin und wieder wie das Veranschaulichungsmaterial ihrer zuvor ausgetauschten Ideen – gerade, wenn es um Liebe und Leidenschaften geht: Wägen Jule und Jan etwa Vor- und Nachteile der Lust ab, putzt just in diesem Moment eine ausgesprochen attraktive junge Frau die Fensterscheibe ihres Cabrios, und Jan schaut gerne dabei zu. Und so diskutieren die beiden immer wieder zuerst, was sie anschließend erleben. Dabei hätte sich Weingartner viel mehr auf seine Figuren verlassen können – auf die Atmosphäre, die sich wie von selbst zwischen ihnen einstellt, wenn er sie einmal nicht Ideen diskutieren lässt, sondern sie beim Schweigen beobachtet oder beim Schlafengehen.

Weingartner will in diesem Film schlicht zu viel verhandeln: die aktuell omnipräsente Lust an der Empathie, die traditionelle Kapitalismuskritik, das Funktionieren der menschlichen Psyche. Das überfrachtet die beiden Hauptfiguren am Ende dann doch, denen man eigentlich gern dabei zusieht, wie sie sich einander – Kilometer für Kilometer – annähern.

In dieser Woche läuft „303“ in den deutschen Kinos an – Weingartner selbst ist in München zu Gast, am Donnerstag im Münchner City Kino.