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Neu im Kino: "Eine bretonische Liebe" von Camille Tardieu

Weihnachtszeit ist die Zeit der romantischen Komödien im Kino. In diesem Jahr heißt eine davon "Eine bretonische Liebe" . Von Moritz Holfelder

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich. So lautet der erste Satz des 1877 veröffentlichten Romans „Anna Karenina“ von Leo Tolstoi.

Daraus hat ein Evolutionsbiologe vor 20 Jahren das Anna-Karenina-Prinzip abgeleitet. Auf eine familientherapeutische Basis übertragen heisst das:

Während bei einer glücklichen Familie viele Faktoren stimmen müssen, um gut miteinander auszukommen, etwa Geldfragen, sexuelle Anziehung, Schwiegereltern, Vorstellungen von Kindererziehung und Religion, braucht bei einer unglücklichen Familie nur einer dieser Faktoren nicht zu stimmen, um ein Desaster auszulösen.

So gesehen hat der Mittvierziger Erwan Gourmelon beste Chancen, mit seiner Familie unglücklich zu werden:


Unterkühlt und witzig


Regisseurin Carine Tardieu erzählt von der Condition Humaine auf eine eher unterkühlte Art und Weise. Der Witz mag bei ihr nie richtig zünden, was aber Absicht ist und eine besondere Form des Humors entwickelt, so wie in der eben gehörten Szene beim Arzt. Zu dem ist Erwan Gourmelon gegangen, um zu klären, ob er von der familiären Erbkrankeit betroffen ist, an der seine Tante leidet. Überraschend sitzt er dann ohne Vater da. Carine Tardieu hat eine Tragödie inszeniert, die als Komödie daherkommt. „Eine bretonische Liebe“ ist voller komischer Blindgänger. So ist es auch kein Zufall, dass die Hauptfigur, Erwan Gourmelon, als Bombenentschärfer arbeitet.


Zwei Väter


Erwan Gourmelon lebt gefährlich – und hat im Fortgang der Geschichte also zwei Väter. Einen, den er über 40 Jahre für seinen echten hielt, und einen, nach dem er jetzt heimlich von einer Privatdetektivin suchen lässt. Außerdem ist seine Tochter Juliette plötzlich schwanger. Von wem, weiß sie nicht. Auf einer Kostümparty hat sie sturzbetrunken einen Unbekannten im Zorro-Kostüm an sich ran gelassen. Vermutlich ist es dabei passiert. Aber ihr Kind will Juliette sowieso ohne Vater großziehen.


Väter haben keinen leichten Stand in dieser Komödie, deren deutscher Titel etwas einfältig klingt: „Eine bretonische Liebe“. Im französischen Original klingt das komplexer „Otez-moi d'un doute“, also: Befreien Sie mich von einem Zweifel.

Der Zweifel gibt es zunehmend viele in dieser Geschichte, und das nimmt noch zu, als Erwan nachts auf der Landstraße auf die Ärztin Anna trifft, bei einem Wildunfall, und sich augenblicklich in sie verliebt. Am nächsten Tag begegnen die beiden sich zufällig wieder.


Balance zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit


Carine Tardieu hat auch das Drehbuch geschrieben – und so ist ihr Film aus einem Guss. Sie findet eine schöne Balance zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit, und sie weiß ihr großartiges Ensemble überzeugend zu führen. (Mit dabei sind der belgische Komiker Francois Damines, in Frankreich längst ein Star, sowie Cécile de France, Guy Marchand und André Wilms.)

Das Filmfest von Cannes haben Tardieu und ihre Schauspieler im Mai zu ihrer großen Bühne gemacht – und danach die Kinosäle im Sturm erobert.

Es kamen dieses Jahr eine Menge sehr zweifelhafter und teilweise auch sehr rührseliger Komödien aus Frankreich in die deutschen Kinos.

Um es mit Tolstoi zu sagen:

Alle schlechten Komödien gleichen einander, jede gute Komödie ist auf ihre eigene Weise witzig.