Georg Baselitz "Ententeich" Sächsische Landschaft 1964
Bildrechte: Georg Baselitz 2023/ Foto: Staatliche Graphische Sammlung

Georg Baselitz "Ententeich" Sächsische Landschaft 1964

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Neue Ausstellung in München: Radierungen von Baselitz

Esel, Schwein, Eule: Die Natur im Verhältnis zum Menschen ist Thema eines antiken Buchs, das Georg Baselitz zum Ausgangspunkt seiner grafischen Experimente machte. Jetzt zu sehen in der Pinakothek der Moderne in München – samt einer Provokation.

Das ist überwältigend: Ist der Radierungszyklus zum Künstlerbuch "Malelade" aus dem Jahr 1990 mit 41 Arbeiten schon umfassend, kommen jetzt in der Pinakothek der Moderne in München noch einmal 148 Probedrucke dazu. Also Zwischenzustände der jeweiligen Radierung, bei denen Georg Baselitz ohne Hinzuziehung eines Druckers schon einmal einen Probeabzug gemacht hat. Einzelne Blätter kann man in bis zu vier Zuständen übereinander ansehen. Jeweils vor schwarzer Wand schwarz gerahmt. Wie immer bei Baselitz sieht man Figuratives, auf das man sich erstmal einen Reim machen muss. Gitterraster. Hunde kopfüber. Auch ein gelbes Glücksschwein.

Georg Baselitz ist seit Jahrzehnten einer der bekanntesten deutschen Künstler.
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Georg Baselitz ist seit Jahrzehnten einer der bekanntesten deutschen Künstler.

Mensch, Eule, Esel und Schwein

Georg Baselitz nimmt diese Motive aus einem Buch der Antike. "Physiologus von Smyrna" heißt es und beschäftigt sich mit Christentum und Natur und Mensch "Was hat eine Eule mit dem Menschen zu tun, mit der Geschichte des Menschen oder dem Geist des Menschen? Und der Esel und das Schwein, und so weiter", sagt Baselitz. All das werde in dem Buch behandelt. "Und das wollte ich auf eine sehr intime Weise, bezogen auf mein Programm – wo ja vorkommt von Anfang an der Adler, der Hirsch, das Schwein, der Hase, der Fisch usw. – nochmal wiederholen und in solcher Mappe zusammenfassen."

"Malelade" hat Baselitz diese Mappe genannt und das ist – wie Michael Hering, der Leiter der Staatlichen Graphischen Sammlung in München, erklärt – eine etwas dadaistische Worterfindung des Malers selbst. Es sei eine Verknüpfung von malen und "malade", was auf französisch krank sein heißt. "Also: An der Malerei kranken. Lade ist aber auch die Bundeslade. Das ist ein Wort, was seltsam oszilliert, aber es liegt auch gut im Mund."

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Georg Baseltz "Malelade" : Tafel 1 der Folge "Malelade"

Baselitz, der in Deutschland seit den 60er Jahren inmitten einer allbeherrschenden Abstraktion wieder angefangen hat, Figuren zu malen – ab 1969 auch kopfüber –, geht bei den verschiedenen Zuständen der Blätter von "Malelade" bisweilen brutal mit der Kaltnadel vor. Da sticht er Textfragmente in die Bilder. Bruchstücke von Hölderlin-Gedichten ziehen vorbei.

Für Baselitz ist die Kaltnadel-Technik ein neues Experiment: "Ich finde, die Technik der Reproduktion hat etwas Dokumentarisch-Endgültiges. Es ist nicht wie eine flüchtige Zeichnung. Und auch nicht gefährdet wie ein Bild, sondern das Experiment hat vorher stattgefunden, bevor es auf der Platte ist". Dabei habe ihn interessiert, ob ein Künstler in der Lage ist, das, was er sonst macht, mit einfachen Mitteln, mit allen einfachen Formulierungen darzustellen.

Die Experimentierfreude von Georg Baselitz ist schier grenzenlos. Michael Hering verweist auf eine spezielle Werkgruppe, sogenannte "Geisterdrucke". Dabei habe er eine Druckplatte, erstmal ein Motiv, gerissen in Kaltnadel, auf eine andere Platte abgedruckt. Den so entstehenden Schattenriss habe er dann mit der großen Hauptplatte zusammen gedruckt.

Diese Ausstellung der Druckgraphiken von Georg Baselitz aus dem Zyklus "Malelade" ist eine Hommage an zwei Jubilare dieses Jahres. Im Januar wurde der Künstler 85. Im Juli vollendete der Sammler Franz Herzog von Bayern sein 90. Lebensjahr. Er hat zusammen mit Freunden dieses Panoptikum erster, zweiter und dritter Druckzustände der Sammlung gestiftet.

Nylonstrümpfe mit Hakenkreuz-Anmutung

Unser Blick auf die Tiere und die Natur, auf die Romantik im Allgemeinen bleibt - so Baselitz – im 20. Jahrhundert immer überwölbt von der deutschen Geschichte mit Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg. Darauf spielt der Maler auch in der "Malade"- Ausstellung an – wie so oft: mit einer Provokation: Edel gerahmt und auf weißem Fond hat er Damen-Nylonstrümpfe in der Tradition des Dada collagiert. Aber jeweils in der Form eines Hakenkreuzes. Das Motiv der Swastika kommt aus Indien. Ein Titel deshalb "Die schöne Inderin trägt Nylons".

"Wenn überhaupt, dann ist es provokativ gemeint. Ich bin ja sozusagen nach Indien entschwunden, weil in Indien das ein ganz normales Symbol ist, nicht für Vergänglichkeit, sondern für Erwachen, für Licht und dergleichen", sagt Baselitz. Aber die Nylonstrumpf-Collage ist außerdem eine Hommage an die Dada-Künstlerin Hannah Höch, die bereits vor über 100 Jahren Nylons collagiert hat. Und das ist wirklich etwas Neues bei dem Macho-Künstler Georg Baselitz.

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Georg Baselitz: Ausstellungsansicht Pinakothek der Moderne

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