Daveed Diggs als Rabbiner kniet in einer Szene der Serie "Extrapolations" neben einem Saugroboter auf dem geflutetem Boden seiner Synagoge.
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Rabbiner Marshall Zucker (Daveed Diggs) kann seine Synagoge nicht vor den Fluten in Miami retten - trotz Saugroboter.

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"Extrapolations": Klimawandel-Serie mit großem Staraufgebot

Serienschöpfer Scott Z. Burns hat mit seinem Katastrophenfilm "Contagion" vielen Menschen die Corona-Pandemie erklärt. In seiner neuen Serie für AppleTV+ will er mit jeder Menge Stars die Zukunft im Klimawandel erfahrbar machen – aber klappt das?

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Die Hochrechnungen aus der Serie "Extrapolations" für das Jahr 2037 sind übel – und erschreckend vertraut: Menschen im Nahen Osten und Norden Afrikas verdursten, oranger Smog verdunkelt den Himmel in Großstädten weltweit von Sankt Petersburg bis Miami. Wälder brennen. Klimaaktivistinnen protestieren gegen gierige Konzerne, während beim UN-Klimagipfel um Wasser gestritten wird.

Das Feilschen um Klimaziele dauert an

Anfangs begegnen wir einem angehenden Rabbiner (Daveed Diggs) in Tel Aviv, wo gerade die 42. UN-Klimakonferenz stattfindet, einer hochschwangeren Biologin (Sienna Miller) in New York, und einem Tech-Unternehmer (Kit Harrington), der mit seinem Patent für Salzwasseraufbereitung die Weltgemeinschaft erpresst, die Klimaziele ein weiteres Mal aufzugeben.

Als Pro- und Antagonisten leiten die drei uns durch die Jahrzehnte umfassende Serienhandlung. "Extrapolations" erzählt in acht sehr unterschiedlichen, aber lose miteinander verbundenen Episoden von den weitreichenden Folgen der Klimakrise, beginnend im Jahr 2037 bis ins Jahr 2070: Die erste Episode schwankt zwischen Drama und Satire. Es folgen ein klebriges Melodram über den Abschied von aussterbenden Tierarten und von Angehörigen mit klimabedingten Erkrankungen, in dem Meryl Streep dem letzten Buckelwal ihre Stimme leiht; sowie eine leichtfüßige Musical-Folge über Glaubenskrisen im Angesicht der menschengemachten Katastrophe.

Zwischen Thriller und absurdem Musical

Dieser Genremix soll verdeutlichen, wie unterschiedlich der Klimawandel wahrgenommen wird und das Leben der Menschen beeinflusst, so die Drehbuchautorin Dorothy Fortenberry: "Manchmal fühlt die Serie sich an wie ein Thriller, ein Notfall, eine Naturkatastrophe und manchmal ist sie absurd. Es ist ja auch absurd, dass es schneit in Los Angeles. Es ist absurd, dass der Frühling im Januar beginnt. Das ist lächerlich! Diese Dinge sind wie im Märchen, unwirklich!"

Und doch sind sie schon jetzt Realität: Alle Szenarien in "Extrapolations" basieren auf aktuellen, wissenschaftlichen Erkenntnissen. Serienschöpfer Scott Z. Burns verfolgt denselben Ansatz wie schon mit seinem fast prophetischen Pandemie-Film "Contagion" aus dem Jahr 2011, der während der Corona-Pandemie vielen Menschen half, die Situation besser zu verstehen.

Überambitioniert und trotzdem wichtig

Leider ist es wie so oft mit den guten Absichten – sie kommen nicht unbedingt bei den Rezipienten an. "Extrapolations" wirkt überambitioniert und ist so überfrachtet mit Fakten und Ideen, dass die Serie schon in den ersten beiden Folgen droht, ihr Publikum zu verlieren. Die Gegenspieler sind nur allzu deutlich als solche erkennbar, dabei ist kein einzelner Unternehmer, kein einzelner korrupter Politiker für die Klimakrise verantwortlich.

Außerdem konzentriert sich die Serie zumindest anfangs noch zu sehr auf Charaktere, die von Wasserknappheit, Hungersnöten und Naturkatastrophen nicht direkt betroffen sind – oder sogar von diesen Entwicklungen profitieren. Von einer weltweiten Migrationskrise erfahren wir aus eingeblendeten Nachrichtenbildern und Dialogen, aber wir erleben sie nicht mit. Wir spüren nicht die tödliche Bedrohung für jedes einzelne Menschenleben im globalen Süden, weil wir mit den Serienprotagonisten in klimatisierten Räumen und in Sicherheit sind – genau wie in der Realität vor dem Serienbildschirm.

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Oscarpreisträgerin Meryl Streep als Geschichtenerzählerin für ihren Enkel, der sie nie kennengelernt hat – und als Stimme des letzten Buckelwals.

Was fehlt, sind nicht Lösungen, sondern der Wille

"Extrapolations" ist eine sehr deprimierende, realistische Erzählung, die lange nachhallt. Der Spagat, gleichzeitig die individuelle Verantwortung jedes einzelnen Menschen und das systemische Versagen zu beleuchten, ohne die Zuschauenden mit Schuldgefühlen zu lähmen, gelingt nicht immer. Die Serie endet mit einem Appell für die Regulierung der Wirtschaft. Sie kritisiert die Bequemlichkeit unserer Gesellschaft, die lieber darauf vertraut, dass Tech-Milliardäre, wie der fiktive Alpha-Industries CEO Nick Bilton (Kit Harrington) schon irgendwann selbstlos mit Innovationen unsere Probleme lösen, als heute politisch die Weichen für eine bessere Zukunft zu stellen.

Trotzdem ist "Extrapolations" aber ein Schritt in die richtige Richtung. Anders als die immer gleichen Nachrichtenbilder können uns fiktionale Erzählungen helfen, die Konsequenzen zu verstehen und zu durchleben, die drohen, wenn wir weiterhin nicht entschieden handeln. Noch haben wir es in der Hand, die Szenarien zu verhindern, die "Extrapolations" und viele Forschende vorhersagen. Die Lösungen seien da, sagt Serienschöpfer Scott Z. Burns: "Was fehlt, ist der menschliche Wille, diese Lösungen auch anzuwenden. Ich denke, um etwas zu verändern, muss man ein Bewusstsein dafür entwickeln, was gerade passiert. Erst dann kann man sich selbst, unsere Regierungen, alle Menschen in die Verantwortung nehmen."

"Extrapolations" ist ab dem 17.03.23 bei appleTV+ abrufbar. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge.

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