Porträt von Stanislaw Assejew mit Rollkragenpullover und blauem Jackett
Bildrechte: Stanislaw Assejew

Der Journalist Stanislaw Assejew

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"Heller Weg, Donezk": Ein Folterbericht aus der Ukraine

Als der Journalist Stanislaw Assejew 2017 in einem Foltergefängnis der "Volksrepublik Donezk" landet, denkt er an Selbstmord. Am Leben hält ihn der Gedanke, über das Erlebte berichten zu müssen. Jetzt liegt sein Buch über 969 Tage Gefangenschaft vor.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Immer wieder drischt der Schlagstock auf dieselbe Stelle ein, etwas oberhalb des Knies. "Was bist du bloß für ein Bastard, dass du die Entscheidung des Volkes, in einem separaten Land zu leben, nicht respektierst?", flucht der Geheimdienstler. Draußen vor dem Fenster warten Menschen an einer Bushaltestelle. Zwei Jahre, von 2017 bis 2019, wurde der Journalist Stanislaw Assejew, von den Separatisten in der sogenannten "Volksrepublik Donezk" gefangen gehalten und gefoltert: "Bald blähte sich meine Haut unter den Jeans wie eine Seifenblase", schreibt er.

Ich muss das alles aufschreiben!

Die Stelle am Oberschenkel sei noch immer empfindlich, aber grundsätzlich habe er inzwischen keine Albträume mehr, kaum Trigger-Momente, sagt Assejew. Er kommt gerade aus dem Training für die Front. Stanislaw Assejew, 34 Jahre alt, blassblaue Augen, blondes, kurzes Haar, will in Avdijewka kämpfen. Muss in Avdijewka kämpfen, korrigiert er sich, denn an der Front mangele es inzwischen nicht nur an Munition, sondern auch an Soldaten.

Sein Buch "Heller Weg, Donezk" legt Zeugnis ab von 969 Tagen Gefangenschaft. Mit nahezu wissenschaftlicher Präzision seziert Assejew ein durch russische Geheimdienste geschaffenes System aus Willkür, Erniedrigung und Unterdrückung: "Ich erinnere mich nicht, wie ich das Buch geschrieben habe. Das war wie im Nebel. Ich bin mit einem einzigen Gedanken aus der Hölle gekommen: Ich muss das alles aufschreiben, festhalten. Ich habe mich sofort an die Arbeit gemacht und innerhalb weniger Monate war der Essay fertig. Es war eine Form der Rehabilitierung und der Genugtuung, dass die Welt von Isoljazija erfährt."

Isoljazija ist ein illegales Foltergefängnis in einer ehemaligen Dämmmaterialfabrik in Donezk, daher der Name "Isolation". Die Adresse lautet Heller Weg – in Anlehnung an Lenins Versprechen vom "hellen Weg in den Kommunismus". Er führt, resümiert Assejew in seinem Buch, abermals in den Abgrund. Als einer der letzten freien Journalisten hatte der Reporter von Radio "Swoboda" unter Pseudonym aus dem besetzten Donezk berichtet. Wie seine Tarnung auffliegen konnte, weiß er bis heute nicht. 2017 wurde er verhaftet. Der Vorwurf: Spionage. Dafür, dass er die "Volksrepublik Donezk" in Anführungsstriche gesetzt hatte, gab es noch fünf Jahre Haft obendrauf. Der Beginn eines grausigen Leidenswegs.

Folter, Sadismus, Hohn

"Wenn die Zellentür aufgeht, muss man sich sofort eine Tüte über den Kopf ziehen, eine Plastik- oder Mülltüte, mit dem Rücken zur Tür stehen und die Hände auf den Rücken halten", heißt es in Assejews Bericht. Wer nicht sofort stramm steht, wird unter die Pritsche geprügelt und muss dort bellen wie ein Hund. Die Aufseher lachen dann, genauso wie bei der Folter mit Elektroschocks. Es geht darum, Menschen zu brechen: "Durch die Stromschläge kommt es zu einer Anspannung aller Muskeln. Wenn sie die Drähte am Ohr festmachen, betrifft das alle Muskeln im Gesicht. Es ist ein unfassbarer Schmerz, es fällt mir schwer ihn zu beschreiben, er ist mit nichts vergleichbar. Die Folterer haben sich dabei amüsiert. Wenn sie foltern und dabei lachen, baut das noch größeren Druck auf. Denn das heißt, dass diese Leute durch nichts aufzuhalten sind."

Auf der Suche nach Gerechtigkeit

Stanisław Assejew begreift das Foltergefängnis Isoljazija in seinem Essay als einen Ort der Wahrheit über das Putin-Regime, als dessen Essenz und Inbegriff, wo sich Sinnlosigkeit, Machtfülle von Sadisten und Angst konzentrieren. Er schreibt, so weit das geht, als Journalist und nicht als Betroffener, bändigt das Erlebte und unterteilt es in Kapitel, fragt nach den Motiven der Täter und ordnet das Geschehen ein.

"Heller Weg, Donezk" ist eine klarsichtige Bilanz russischer Gewaltherrschaft. Das Sagen in Isoljazija hatte Palytsch – Assejew nennt den Kommandanten bei seinem Kampfnamen. Tatsächlich heißt er Denis Pawlowitsch Kulykowskij. Ein Sadist, Gewalttäter, Vergewaltiger und Säufer.

2021 brachte Stanislaw Assejew ihn in Zusammenarbeit mit dem Recherchenetzwerk "Bellingcat" vor Gericht – Palytsch hatte zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre unbehelligt in Kyjiw gelebt, als Informant des ukrainischen Geheimdienstes SBU hatte er die Seiten gewechselt. Seither macht es sich der Journalist mit Gleichgesinnten bei dem "Justice Initiative Fund" zur Aufgabe, Kriegsverbrecher aufzuspüren und ihre Strafverfolgung durchzusetzen. Denn allein Gerechtigkeit, sagt Stanislaw Assejew, könne das Erlittene abmildern. Wiedergutzumachen ist es nicht.

"Heller Weg, Donezk" von Stanislaw Assejew ist soeben bei der edition suhrkamp erschienen.

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