Georges Simenon? "Ist für mich einer der interessantesten Romanautoren in der französischen Literatur im 20. Jahrhundert", sagt Übersetzer Wolfgang Matz.
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"Georges Simenon ist ein Autor, der unglaublich dicht dran ist an Realitäten" – hier fotografiert an der Bar bei den Filmfestspielen Venedig 1958

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"Die grünen Fensterläden": Simenon-Klassiker jetzt neu übersetzt

Georges Simenons Roman "Die grünen Fensterläden" von 1950 gilt als moderner Klassiker. In Frankreich ist er gerade neu verfilmt worden – mit Gérard Depardieu. Ins Deutsche ist der Roman neu übersetzt worden von einem Münchner Übersetzer-Paar.

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

Die Münchner Elisabeth Edl und Wolfgang Matz bilden zusammen nicht nur ein Ehe-Paar, in der literarischen Welt sind sie ein renommiertes Übersetzer-Paar. Seit Jahrzehnten übersetzen die beiden viele große Namen aus dem Französischen gemeinsam: Briefe von Gustave Flaubert, die Lyrik von Philippe Jaccottet, Julien Greens Tagebücher. Zusammengekommen sind sie, schöne Fügung, auch über die Literatur und über eine Übersetzung, nämlich die der "Cahiers" von Simone Weil.

Alles begann in Poitiers

Elisabeth Edl, Jahrgang 1956, erzählt: "Wir waren Kollegen an der Universität von Poitiers, ganz einfach, am dortigen Germanistischen Institut. Ich war da schon ein paar Jahre lang als Lektorin – und irgendwann kam da ein neuer junger Kollege."

Dieser junge Mann hieß Wolfgang Matz – geboren 1955. Mit ihm, dem langjährigen Cheflektor des Carl-Hanser-Verlags, hat Elisabeth Edl auch schon mehrere Romane Georges Simenons ins Deutsche übertragen: drei Maigrets und einen Non-Maigret. Nun liegt ein weiterer Non-Maigret in ihrer Übersetzung vor: "Die grünen Fensterläden", einer der sogenannten "romans durs", der harten Romane, aus dem Jahr 1950. Für Wolfgang Matz ist der ungemein produktive Autor Georges Simenon bis heute ein Faszinosum:

"Das ist für mich einer der interessantesten Romanautoren in der französischen Literatur im 20. Jahrhundert", sagt Matz im Gespräch mit dem Büchermagazin Diwan auf Bayern 2. "Er ist eine ganze Zeit lang als solcher nicht ernst genommen worden, sondern immer nur als Kriminalautor, aber es ist ein Autor, der unglaublich dicht dran ist an Realitäten: an Realitäten von Psychen, Personen, Gesellschaften – und er hat sich immer vollkommen abseits gehalten von allen literarischen Fisimatenten. Er wollte die Menschen treffen."

"Esel" und "Ekel": Der Schauspieler im Zentrum

Das gelingt Simenon in "Die grünen Fensterläden" famos. Im Zentrum steht ein fiktiver berühmter Schauspieler, der Theater- und Leinwandstar Émile Maugin, "der große Maugin". Ein Koloss von einem Mann, dem schon in der Anfangsszene von seinem Arzt im Ordinationszimmer eröffnet wird, dass er nicht mehr lange leben wird, wenn er seinen Lebensstil nicht ändert. Maugin trinkt schon während der Vorstellungen und Dreharbeiten Cognac, schwenkt abends dann zu übermäßig viel Rotwein über. Zudem betrügt er seine dritte Frau mit der Haushälterin.

"Starker Bumser?", wird er von seinem Arzt gefragt. Seine Antwort: "Früher. Heute nur noch manchmal, wennʼs mich packt." Man hat bei diesem 59-jährigen "alten Esel" Maugin immerzu Gérard Depardieu vor Augen – und siehe da: Depardieu verkörpert Maugin in der 2022 in Frankreich angelaufenen Verfilmung dieses Simenon-Romans, so wie er gerade erst auch dessen weltbekannten Kommissar Jules Maigret im Kino in „Maigret“ gespielt hat.

Zum Trailer von "Les volets verts"

Elisabeth Edl charakterisiert diese Figur als "Ekel": "Maugin ist ein Kotzbrocken, aber – und das ist eben die Kunst von Simenon – im Laufe der Erzählung, mit all diesen negativen Geschichten, die wir ständig über Maugin hören, auch mit all seinen Exzessen, mit all seinen Ausrastern und Ausrutschern gerade seinen Frauen gegenüber, wächst er einem trotz allem ans Herz."

Ein Roman über das Sterben

Einmal heißt es im Roman: "Er war nicht gut. Er hatte nicht die geringste Lust, gut zu sein, im Gegenteil." Und dennoch nennt ihn seine Frau den "besten Menschen", den sie kenne. "Die grünen Fensterläden" erzählt von einem, dessen Leben so rastlos wie richtungslos geworden ist, der von Paris nach Cap d’Antibes zieht und doch nicht zur Ruhe findet. Nicht umsonst nennt er im Taxi als Fahrtziel "irgendwohin, nirgendwohin".

In einer Weise, die an Deutlichkeit nichts missen lässt, erzählt "Les volets verts" vom Sterben dieses Maugin. Für Wolfgang Matz reicht diese Geschichte an die ganz großen Klassiker heran, an Leo Tolstois "Der Tod des Iwan Iljitsch" oder an den Schluss von Giuseppe Tomasi di Lampedusas "Der Leopard". So realistisch und ungeschönt hat man kaum je vom langsamen Siechtum eines Menschen gelesen, der orientierungslos seinem Ende entgegentreibt.

"Tote und der Tod, das kommt ja in der Literatur sehr häufig vor", sagt Wolfgang Matz. "Aber das Nachvollziehen des Sterbens, die Beschreibung des Sterbens selber kommt weitaus seltener vor." Hier, in dieser gelungenen Neuübersetzung, können wir es lesen.

Georges Simenon: "Die grünen Fensterläden". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Kampa Verlag, 254 Seiten, 23,90 Euro.

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