Bildrechte: Weltbild

"Augenblicke Gesichter einer Reise"

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

"Augenblicke, Gesichter einer Reise" von Agnès Varda

Sie ist mittlerweile 90 und trotzdem nicht zu bremsen: die Revolutionärin des französischen Kinos Agnès Varda. Jetzt hat sie mit dem Streetart-Künstler JR einen Dokumentarfilm gedreht: "Augenblicke, Gesichter einer Reise". Von Kirsten Martins

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Staubige Strassen, Strände, Kellnerinnen, Bergarbeiter, Bauern – von Landschaften und ihren Menschen erzählt Agnes Varda auch in ihrem neuen Dokumentarfilm. 63 Jahre nach ihrem ersten Film "La Pointe courte" über ein Fischerdorf, erkundet die ehemalige Fotografin wieder in großformatigen schwarzweißen Porträts Gesichter. Die Französin fährt mit dem um viele Jahrzehnte jüngeren Streetartkünstler JR in seinem Kleinlaster kreuz und quer durch Frankreich. Er setzt nie die Sonnenbrille oder sein Hütchen ab, und wird deswegen von Agnes Varda fröhlich geneckt. Die beiden entdecken während dieser Fahrten ihren ähnlichen Blick auf die Welt. In Cafes, Tankstellen, an Strassen und Plätzen treffen sie unterschiedlichste Menschen, reden mit ihnen über ihre Arbeit, ihr Leben. Und bitten sie sich im Inneren ihres Kleinlasters – einem Fotomobil – fotografieren zu lassen. Danach lassen sich die Porträts, als wärs ein Fotoautomat, aus einem langen Schlitz als riesiges, schwarzweißes Plakat herausziehen.

Sichtbare Menschen

In Frankreichs Norden sprechen sie mit der letzten Bewohnerin einer alten Bergarbeitersiedlung, die abgerissen werden soll und plakatieren dann das Gesicht der weißhaarigen Frau auf ihre Hausfront. Ebenso riesiggroß - vom Boden bis zum Dachfirst - klebt das Abbild eines Bauern an seiner Scheune, und drei Stockwerke hoch steht ein Briefträger an einer Hauswand in der Provence. In Le Havre fotografierten Varda und JR die Ehefrauen von drei Hafenarbeitern. Ihre gigantischen Abbilder auf vielen übereinander gestapelten Schiffscontainern lassen ihre Ehemänner davor wie Winzlinge aussehen.

Weil die beide Menschen sichtbar machen, setzen sie sich im Gegenzug auch selbst ins Bild. Man sieht sie am windgepeitschten Atlantikstrand, im Pariser Studio von JR., beim Diskutieren über Projekte. Als sie zwei Waggons eines Güterzugs mit je einem gigantischen Auge von Agnes Varda bekleben, fragt ein Bahnarbeiter "Darf ich fragen, was die Augen auf den Waggons sollen? Gibt es dahinter einen Sinn"?.

Ein letzter Blick auf die Welt?

Agnes Varda ist den dokumentarischen wie fiktiven Film stets spielerisch angegangen, unbefangen und frei vermischt sie die Genres. Drehte bis heute mehr als 40 Filme, Spielfilme, Essayfilme über Andy Warhols Factory, Hippies, Wandbilder in Los Angeles und schickte ihrem verstorbenem Mann Jacques Demy einen wunderbaren Abschiedsfilm hinterher. An Fiktion sei sie nicht wirklich interessiert, sagt sie, "eher an Träumen oder an Eindrücken". Ihr wunderbarer Spielfilm "Vogelfrei" über eine verlorene junge Landstreicherin ist voll dokumentarischer Bilder: kahle Weinplantagen, frostige Bahnhöfe in der winterlichfahlen Provence. Für ihren Dokumentarfilm "Die Sammler und die Sammlerin" von 2001, zog Agnes Varda mit einer kleinen Videokamera los. Sie selbst ist eine leidenschaftliche Sammlerin von Bildern, von Menschen - auch in "Augenblicke - Gesichter einer Reise". Noch einmal blicken wir darin mit Agnes Vardas Augen auf die Welt, entdecken sie neu mit ihrem Esprit, ihrem Humor und ihrer Neugier.