Franz Kafka (Joel Basman) am Bahnhof.
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Szene aus der ARD-Serie "Kafka"

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Ein Fernseh-Ereignis: Die ARD-Serie "Kafka"

Der Regisseur und Autor David Schalko hat Franz Kafkas Leben für die ARD verfilmt. Die Serie räumt lustvoll auf mit vielen Kafka-Klischees und zeigt uns Kafka in all seiner ungeheuren Modernität.

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Franz Kafka hat nur eine einzige Lesung außerhalb Prags bestritten. Sie fand in München statt. "Phantastischer Übermut", schrieb er später, habe ihn dazu verleitet, der Einladung in die Galerie Goltz in der Brienner Straße zu folgen. Am 10. November 1916 las Kafka dort seine Erzählung "In der Strafkolonie" – "ein großartiger Misserfolg": Einige Dutzend fröstelnde Zuhörer, "die meisten in Mänteln (auch in München herrschte Kohlennot)" – "kein leeres Ofenloch kann kälter sein" -, konnten dem, was Kafka hier bot, nichts abgewinnen. Nur einer, auch er ein Dichter, war begeistert: Rainer Maria Rilke.

"Zu lang, zu wenig fesselnd" sei das Ganze geraten, schrieb die München-Augsburger Zeitung, eine andere Gazette meinte, Kafka sei "ein recht ungenügender Übermittler". Kafka notierte, er hätte seine "kleine schmutzige Geschichte" besser nicht lesen sollen. Damit nicht genug: Kafka stritt sich in München auch noch mit seiner Verlobten Felice Bauer in einer Konditorei.

Auf der Basis von Reiner Stachs Biografie

Nur eines konnte Kafkas Herz erwärmen: Dass Rilke in München seine Geschichte "Der Heizer" mit "etwas sehr Liebenswürdigem" bedacht habe. Das alles wissen wir dank Reiner Stachs epochaler, minutiös recherchierter dreibändiger Kafka-Biografie. Auf der basiert die von Daniel Kehlmann und David Schalko geschriebene Serie "Kafka", die uns in sechs Episoden in herausragender Weise das mit seiner Literatur so eng verflochtene Leben des Schriftstellers vor Augen führt.

Schalko sagt im Gespräch, Stachs voluminöse Bücher "Kafka. Die Jahre der Entscheidungen" (2002), "Kafka. Die Jahre der Erkenntnis" (2008) sowie "Kafka. Die frühen Jahre" (2014) seien die beste Schriftsteller-Biografie, die er je gelesen habe: "Sie hat mir einen völlig neuen Blick auf Kafka ermöglicht. Und auch die Art, wie er über Zeitgeschichte erzählt, wie darin schon fertige Film-Szenen vorhanden sind, hat mich fasziniert. Ich wusste, wenn ich jemals dieses gefährliche Genre, das man mit dem furchtbaren Wort Biopic bezeichnet, anfasse, dann nur auf der Grundlage dieser Biografie."

Früh schon sicherte er sich die Option auf die Verfilmung. Nun liegt sie vor. Bei der Entstehung der Serie "Kafka" war der 1951 geborene Kafka-Forscher Stach als Berater tätig. Kafkas "Gier nach Biographien" sei "notorisch" gewesen, erzählt Stach. An der Verfilmung dieser Lebensschilderung dürfte Kafka selbst seine Freude gehabt haben.

Eidinger, Hübner, Ofczarek, Basman – große Schauspielkunst

So fand auch jene legendäre Münchner Lesung Eingang in Schalkos Serie, die bis in die kleinsten Nebenrollen hinein mit lauter hochkarätigen Schauspielern besetzt ist. Lars Eidinger verkörpert ätherisch und mit traurigem Walrossbart den Kafka verehrenden Schriftsteller-Kollegen Rilke. Charly Hübner ist ein perfekt besetzter Ernst Rowohlt, der als Bonvivant immerzu im Verleger-Gespann mit Kurt Wolff (Laurence Rupp) Kafkas Freund und Förderer Max Brod (großartig: David Kross) im Restaurant empfängt.

Nach Kafkas Tod sollte dieser Brod Kafkas Manuskripte vor den Nazis retten. Der Burgschauspieler Nicholas Ofczarek, bereits 2011 in Schalkos Erfolgsserie "Braunschlag" genial, gibt Kafkas Vater Hermann als sanft brodelndes Monster am häuslichen Abendbrottisch, dessen Sohn ihn zur Weißglut treibt, weil er nach der sogenannten Fletcher-Methode das Essen wieder und wieder kaut und mahlt (nur eine von vielen Marotten Kafkas).

Die Hauptrolle spielt der 34-jährige Schweizer Joel Basman – eine ideale Besetzung, wie sich herausstellt. Nicht allein aufgrund der physiognomischen Ähnlichkeit. Hinzu kommt eine "seelische Ähnlichkeit", die laut Schalko dazu führt, "dass man das Gefühl hat, das ist Franz Kafka". In der Tat vermag Joel Basman Kafkas alles einfrierenden Blick, seinen auf alles niedergehenden "Eisregen der Reflexion" (Stach) auf unvergessliche Weise zu zeigen. Ebenso aber auch Kafkas spitzes Lachen: Ein "lachender Kinogänger" z.B. ist er ja seinem zu Tode zitierten Tagebucheintrag "Im Kino gewesen. Geweint" vom 20. November 1913 zum Trotz durchaus auch gewesen.

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Der 34-jährige Schweizer Joel Basman spielt Franz Kafka.

Verena Altenberger als Robert Musil

Schalkos Serie räumt also auch durchaus lustvoll mit vielen Kafka-Klischees auf. Kafka habe seine Texte oft als komisch empfunden, so Schalko: "Der einsame, traurige Kafka, der depressiv durchs Leben geht, das ist auch so ein Klischee, das nicht stimmt." Vielmehr sei er eingebunden gewesen in den Literaturbetrieb, kannte Franz Werfel, Oskar Baum und Robert Musil, der damals für die Zeitschrift "Neue Rundschau" arbeitete. Ein witziger Einfall dieser Serie (neben einem Cameo-Auftritt Daniel Kehlmanns als Arthur Schnitzler): Verena Altenberger spielt Robert Musil. Man habe nicht alle Rollen naturalistisch eins zu eins besetzt, erzählt David Schalko im Gespräch mit dem BR: "Die Idee, mit Verena Altenberger eine Frau den Musil spielen zu lassen, kam daher, dass ich vor Jahren mal Karl Corinos Musil-Biografie gelesen habe. Corino stellt in den Raum, dass die Geschlechtsselbstempfindung von Musil nicht ausschließlich männlich war und deshalb Musils Frauenfiguren auch eine viel größere Tiefe hätten."

Von Musil ist der Satz überliefert, er bewundere Kafka für seine "gewissenhafte Melancholie" und "eine freundliche Sanftheit wie in den Stunden eines Selbstmörders zwischen Entschluss und Tat".

Eine verbriefte Selbstmörder-Szene, deren Augenzeuge Kafka zusammen mit Brod wurde, haben Kehlmann und Schalko auch eingearbeitet in ihre ARD/ORF-Serie.

Gefühlskalter Augenzeuge eines Suizid-Versuchs

Im Sommer 1910, so ist Max Brods Aufzeichnungen zu entnehmen, unternahmen er und Kafka eine Partie mit dem Ruderboot auf der Moldau. Dabei sahen sie, wie sich ein Mann von einer Brücke ins Wasser zu Tode stürzte. Brod eilte zu Hilfe, Kafka hingegen verharrte reglos im Boot und beobachtete kühl und scheinbar teilnahmslos die Situation.

Kehlmann und Schalko machen daraus eine der vielen ungeheuer eindrücklichen Szenen ihrer Serie. "Anhand dieser Szene wird die Arbeitsweise Kafkas deutlich", so Schalko: "Denn er sagt zu Brod: Wir Schriftsteller haben die Aufgabe, uns solche Dinge sehr genau anzusehen. Unsere Augen sind wichtiger als unsere Hände."

Max Brod, ein sehr empathischer Mensch, war genau gegenteiliger Auffassung. Deshalb sprang er aus dem Boot und half sofort. "Aber für Kafka war eben der Blick auf das Schreckliche wichtig, und daher rührt auch seine Wahrhaftigkeit", erklärt Schalko: "Wenn Musil von seiner 'gewissenhaften Melancholie' schreibt, dann ist es gerade das Wort 'gewissenhaft', das auf Kafka zutrifft." Es ist eine für andere gerade in so einer Situation befremdlich wirkende vivisezierende Genauigkeit, eine Beobachtungsgier, die ein Handeln ausschließt.

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Milena Jesenska (Liv Lisa Fries) und Franz Kafka (Joel Basman, v.l.n.r.).

Kafkas Problem mit zu großer Nähe

Drei Frauenfiguren – Felice Bauer, Dora Diamant und Milena Jesenská – behandelt die Serie, um Kafkas "Angst vor einer Verbindung" (Stach) zu illustrieren. Sozialisiert durch frühe Bordellbesuche, hatte er zeitlebens ein Problem mit Nähe und zog den Briefverkehr jeder anderen Verkehrsform vor. Ja, er machte aus seiner Korrespondenz mit Felice einen "sexuellen Fetisch" (Stach) geradezu.

Schalko findet auch dafür starke Bilder und führt uns den zwanghaften Büro-Menschen Kafka vor Augen, der Milena (gespielt von Liv Lisa Fries) bei ihrem langen nachmittäglichen Spaziergang durch den Wienerwald darauf hinweist, dass er den Zug nach Prag unbedingt noch erreichen muss, um ja anderntags wieder bei der Arbeit in der Versicherungsanstalt erscheinen zu können.

Er tritt die Flucht vor der ihm intellektuell ebenbürtigen Frau an und verlässt lieber wieder rasch das von ihm als "absterbendes Riesendorf" geschmähte Wien. Zugverbindungen waren ihm offenkundig noch die liebsten Verbindungen. Der Fahrplan musste als Vorwand herhalten, wenn sich eine ihm unheimliche Vertrautheit einstellte.

Die Idee der Milena-Folge sei es gewesen, "den ganzen Bogen einer Beziehung an einem Nachmittag im Zeitraffer zu erzählen", sagt Schalko: "Sie sind am Anfang per Sie, kommen sich dann sehr nahe, trennen sich, kommen sich wieder näher und am Schluss sind sie wieder per Sie." Ihre Unterhaltung, der von Daniel Kehlmann meisterhaft geschriebene Dialog fußt zwar auf schriftlich belegten Äußerungen Kafkas und Jesenskás und wirkt doch völlig kolloquial. Milena sei vermutlich die intelligenteste Frau, die er in seinem Leben getroffen habe, so Schalko: "Sie war ihm in gewisser Weise überlegen und hat ein Leben geführt, nach dem er sich gesehnt hat, zu dem er aber nicht fähig war."

Rohrpost in die Gegenwart

Schalko und Kehlmann zeigen uns Kafka in all seiner ungeheuren Modernität. Bei ihm findet sich der verblüffend aktuelle, auf unsere von zahlreichen Kommunikations- und Informationskanälen geprägten Zeit passende Satz: "Das Leben ist eine fortwährende Ablenkung, die nicht einmal zur Besinnung darüber kommen lässt, wovon sie ablenkt." Kafka kommunizierte beruflich wie privat mit der Rohrpost – so wie heute noch das deutsche Bundeskanzleramt: Geheime Dokumente werden dort ganz altmodisch per pneumatischer Post verschickt, wie kürzlich erst bekannt wurde.

Eine Ironie der Geschichte, die Kafka gefallen dürfte. Seine Werke sind für David Schalko Sendschreiben von Ewigkeitswert, "wobei es falsch wäre, ihn als prophetischen Schriftsteller zu sehen". Alles das, worüber er schreibe, sei nämlich immer schon da gewesen. Allein, die Art und Weise, wie er darüber schreibe, habe "etwas vollkommen Zeitloses". "Die Geschichte eines Mannes, der eines Morgens verhaftet wird, ohne dass er etwas Böses getan hat, weckt sofort Assoziationen, da braucht man nur nach Russland schauen." Kafka thematisiere so wie kein anderer Schriftsteller ewige "Urängste und Alpträume, die wir in uns tragen".

Schalko hat dafür mit seinem Team stimmige, beklemmende, bisweilen an Wes Anderson erinnernde Interieurs gefunden. Für die Kamera verantwortlich zeichnet Martin Gschlacht, dessen herausragende künstlerische Leistung jüngst erst auf der Berlinale mit einem Silbernen Bären für seine Arbeit bei "Des Teufels Bad" gewürdigt worden ist. "Kafka" von David Schalko ist ein Meilenstein filmischer Biographik, eine Serie, die einen sofort wieder (oder auch erstmals) zu Kafkas Büchern greifen lässt. Im Kafka-Band "Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande. Lose Blätter und Fragmente" findet sich ein durchaus grabsteintauglicher, komisch-hintersinniger Satz, der Kafkas Lust an Paradoxien illustriert und den man im 100. Todesjahr Kafkas (er ist am 3. Juni 1924 in Klosterneuburg gestorben) nicht oft genug zitieren kann. Er lautet: "Dass noch der Konservativste die Radikalität des Sterbens aufbringt!"

"Kafka" von David Schalko ist ab 20. März in der ARD-Mediathek zu sehen. Am 26. und 27. März zeigt das Erste Deutsche Fernsehen jeweils ab 20:15 Uhr die Episoden 1 bis 3 ("Max" / "Felice" / "Familie") sowie 4 bis 6 ("Das Büro" / "Milena" / "Dora").

Dieser Artikel ist erstmals am 13. März 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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