Taiban-Kämpfer patrouillieren während einer Feier zum zweiten Jahrestag.
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Taiban-Kämpfer patrouillieren während einer Feier zum zweiten Jahrestag.

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Zwei Jahre Taliban: Verzögert deutsche Bürokratie die Hilfe?

Vor zwei Jahren haben die Taliban die Macht in Afghanistan an sich gerissen. Noch immer warten Tausende Ortskräfte auf Hilfe. Sicherheitsinterviews und fehlendes Personal verzögern jedoch die Aufnahme von Afghanen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Der 28-jährige Saadatullah Ata hat alles verloren – und doch hat er es geschafft, vor den Taliban zu fliehen. Seit Dezember 2021 lebt die ehemalige afghanische Ortskraft im oberbayerischen Eichstätt. Doch Ata vermisst seine Familie, die in Afghanistan zurückbleiben musste – unter dem Regime der Taliban: "Die Taliban ticken anders. Niemand kann sagen, dass ein Kompromiss mit denen möglich ist."

Die Hoffnung, dass es eine Art "Taliban 2.0" geben könnte, die Frauen und Mädchen mehr Rechte einräumt, habe sich zerschlagen. Die Lage in Afghanistan sei katastrophal, so der bayerische Bundestagsabgeordnete Thomas Erndl (CSU) im BR24-Interview. Der stellvertretende Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss spricht von "der gleichen Steinzeit-Taliban. Die Rechtebeschneidung geht jeden Tag weiter."

Trotz deutscher Hilfe: Tausende Ortskräfte in Afghanistan

Obwohl Deutschland laut Bundesinnenministerium mittlerweile rund 30.000 Afghanen – darunter etwa 20.000 Ortskräfte samt Angehöriger – aufgenommen hat, befinden sich immer noch Tausende Ortskräfte in Afghanistan. Sie fühlen sich von Deutschland im Stich gelassen, die Regierung hatte versprochen, sie in Sicherheit zu bringen.

Hinzu kommt: Beim Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghanen, das vergangenen Herbst aufgelegt wurde, dann aber zeitweise aus Sorge vor Missbrauch ausgesetzt wurde, gibt es bis jetzt lediglich 350 Aufnahmezusagen. Das hat das Bundesinnenministerium jetzt mitgeteilt. Pro Asyl sagt: Davon ist noch niemand eingereist. Eigentlich hätten pro Monat über das Programm etwa 1.000 Menschen nach Deutschland kommen sollen – darauf hat sich auch die Ampel im Koalitionsvertrag geeinigt.

Bürokratische Hürden: Sicherheit vs. Versprechen?

Doch die Aufnahmeprogramme scheitern in der Praxis oft an der Bürokratie – das geben selbst Außenpolitiker der Ampel-Regierung zu, wie Jamila Schäfer von den Grünen: "Es ist kein Geheimnis, dass wir da große bürokratische Aufwände haben." Im BR24-Interview spricht Schäfer von Sicherheitsinterviews sowie fehlendem Personal für Visa-Anträge. "Jetzt erwarte ich, dass die Bundesregierung einen Zahn zulegt und wir zu den Zahlen kommen, die wir eigentlich versprochen haben."

Verhindern bürokratische Hürden also eine schnelle, humanitäre Hilfe? Nein, meint der CSU-Bundestagsabgeordnete Thomas Erndl. Bürokratie – die Betrachtung und Überprüfung der individuellen Situation von Afghanen – sei aufwändig, aber notwendig, "um Missbrauch auszuschließen". Auch vom Bundesinnenministerium heißt es: Die Sicherheit in Deutschland habe oberste Priorität. Und: "Aus unserer Sicht ist ganz klar, dass Deutschland seiner humanitären Verantwortung gerecht wird", so ein Sprecher.

Hilfsorganisationen: "Müssen mit den Taliban zusammenarbeiten"

Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen aber zeichnen ein düsteres Bild: Die Rechte insbesondere von Frauen und Mädchen seien massiv eingeschränkt, die Gesundheit sei gefährdet, die Menschen in Afghanistan hungerten. Organisationen fordern deshalb die Bundesregierung zu einem pragmatischen Umgang mit den Taliban auf: "Ob wir wollen oder nicht: Wir müssen mit den Taliban zusammenarbeiten", so Elke Gottschalk, Asien-Regionaldirektorin der Welthungerhilfe, im ARD-Morgenmagazin.

Die Bundesregierung schließt eine Zusammenarbeit mit den Taliban jedoch aus: "Wir arbeiten mit dem Regime nicht zusammen", so eine Regierungssprecherin. Auch für den bayerischen Bundestagsabgeordneten Thomas Erndl sind offizielle diplomatische Beziehungen Deutschlands mit den Taliban noch in weiter Ferne. Humanitäre wie monetäre Hilfen müssten zunächst über Drittstaaten funktionieren – jedoch räumt Erndl ein: "Über kurz oder lang wird man nicht umhinkommen, direkte Gespräche aufzunehmen."

Für den Afghanen Saadatullah Ata kommen offizielle Gespräche mit den Taliban nicht infrage. Der mittlerweile in Bayern lebende 28-Jährige wünscht sich von der deutschen Bundesregierung vielmehr, das Versprechen zu halten: ein unkompliziertes Aufnahmeprogramm für Ortskräfte, um sie in Sicherheit zu bringen.

Im Video: Die Machtübernahme der Taliban vor zwei Jahren

Die Machtübernahme der Taliban vor zwei Jahren
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Die Machtübernahme der Taliban vor zwei Jahren

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