Ein Feuerwehrmann sitzt auf einer Schaukel neben einem Gebäude in Tschernihiw, das durch eine russische Bombe zerstört wurde. (Archivfoto)
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Ein Feuerwehrmann sitzt auf einer Schaukel neben einem Gebäude in Tschernihiw, das durch eine russische Bombe zerstört wurde. (Archivfoto)

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Wie sinnvoll ist jetzt schon der Wiederaufbau in der Ukraine?

Noch immer bangen die Ukrainer angesichts des Krieges um ihr Leben, sitzen auf Trümmern. Weitere Angriffe könnten wiederaufgebaute Häuser erneut zerstören. Doch der Wunsch nach einer Perspektive werde oft unterschätzt, sagt ein Experte.

Das Ausmaß der Zerstörung in der Ukraine ist schon jetzt gewaltig - und ein konkreter Friedensprozess weiterhin nicht erkennbar. Dafür werden die Pläne für den Wiederaufbau des durch den Krieg zerstörten Landes konkreter. Bei einer Konferenz haben kürzlich rund 40 Staaten der Ukraine ihre Unterstützung bis zur vollständigen Erholung in der "Erklärung von Lugano" zugesichert. Doch die Aufgabe ist immens: Die ukrainische Regierung schätzt die Kosten für den Wiederaufbau auf mindestens 750 Milliarden Dollar, also knapp 720 Milliarden Euro.

Selenskyj ruft zu raschem Beginn des Wiederaufbaus auf

Angesichts immer wieder eintreffender Meldungen von Raketenangriffen auf das Land stellt sich die Frage, ob die Diskussion über den Wiederaufbau nicht zu früh kommt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj aber ruft zu einem raschen Start auf. Er will nicht bis zu einem Ende des russischen Angriffskriegs warten. Denn er verbindet mit dem Neuaufbau auch Hoffnungen: Es müsse um mehr gehen als nur darum, zerstörte Wände wieder hochzuziehen. "Die Ukraine muss das freieste, modernste und sicherste Land in Europa werden."

Experte: Westen unterschätzt oft Bedeutsamkeit einer Perspektive

Frank Umbach, Energie- und Sicherheitsexperte des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) der Universität in Bonn, ist hin- und hergerissen, was den jetzigen Wiederaufbau angeht - eben weil der Krieg noch tobt. Doch er betont, dass im Westen oft ein Faktor unterschätzt werde: "Die Menschen brauchen eine Vision, sie brauchen eine Perspektive für ihr Leben", sagte er im Gespräch mit BR24.

Schon lange sei die Hoffnung auf einen EU-Beitritt groß, nach der Annexion der Krim durch Russland habe sich das Gefühl in der Ukraine noch verstärkt. "Vor dem Hintergrund dieses schrecklichen Vernichtungskrieges ist diese Perspektive umso wichtiger", meinte Umbach. Auch wenn die Menschen in den kommenden Jahren wohl erst einmal keine positiven Veränderungen spüren würden, weil sie erst das Land aufbauen müssten und noch unklar ist, wie lange der Krieg überhaupt dauert: Die Perspektive für ihre Kinder sei den Ukrainern wichtig, so Umbach.

Konferenz in Lugano nicht nur des Geldes wegen bedeutsam

Die Konferenz in Lugano sei daher nicht nur wegen des in Aussicht gestellten Geldes von Bedeutung, "sondern es ist ein politisches Signal dieser Perspektive, die da ist": EU-Staaten oder beispielsweise die USA begleiten diesen Weg und unterstützen.

Konferenz blickt "über zeitlichen Tellerrand"

Umbach erklärt, Lugano sei der Auftakt eines Prozesses: "Das heißt ja nicht, dass morgen die Gelder schon fließen." Es werde vielmehr zwischen schnellen wirtschaftlichen Hilfen und mittel- bis langfristigen Strukturhilfen unterschieden. "Die Lugano-Konferenz war insbesondere dafür gedacht, dass man über den zeitlichen Tellerrand schaut." Für die langfristige Perspektive müsse bereits viel geplant und vorbereitet werden - um nicht erst anzufangen, wenn der Krieg zu Ende ist, "weil wir dann schlichtweg zu viel Zeit verlieren".

Auch die Ukrainer brauchen Gas

Bei den kurzfristigen Maßnahmen kommt Umbach, der Forschungsleiter des Europäischen Cluster für Klima-, Energie- und Ressourcensicherheit ist, schnell auf das Thema Gas ab September zu sprechen. Neben den laufenden Diskussionen etwa in Deutschland, ob genügend Gas zur Verfügung stehe, müsse die EU diesbezüglich auch der Ukraine helfen. Eventuell auch beim Strom.

Darüber hinaus gehört es zum Wiederaufbau, sicherzustellen, dass die Infrastruktur und vor allem die Nachschubwege für Material und Waffen existieren. Auch wenn das Risiko bleibt, dass russische Truppen Brücken möglicherweise wieder gezielt zerstören.

Trotz Risikos einer erneuten Zerstörung: Infrastruktur entscheidend

Darauf wies auch der Militärstratege Franz-Stefan Gady im Gespräch mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" hin: Es bleibe der Fakt, dass die Ukraine weiter punktuell im ganzen Land mit Raketenangriffen rechnen müsse. Trotzdem sei der Wiederaufbau notwendig, der effizient geplant werden müsse. So könnten Wohnhäuser in Regionen, die bisher nur vereinzelt Ziel von Raketenangriffen wurden, eher neu errichtet werden, lautete die Einschätzung von Gady.

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