Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, geht zurück ins Haus, nachdem er offiziell seinen Rücktritt als Tory-Vorsitzender.
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Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, geht zurück ins Haus, nachdem er offiziell seinen Rücktritt als Tory-Vorsitzender.

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Britischer Premierminister Johnson tritt als Parteichef zurück

Der britische Premierminister Boris Johnson tritt als Chef seiner Konservativen Partei zurück. Er wolle aber als Regierungschef weitermachen, bis ein Nachfolger gewählt ist, sagte Johnson in London.

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Der britische Premierminister Boris Johnson hat seinen Rücktritt als Chef der konservativen Tory-Partei angekündigt. Er wolle jedoch Premierminister bleiben, bis ein Nachfolger gefunden sei, sagte Johnson am Donnerstag in einer Ansprache. "Ich möchte, dass Sie wissen, wie traurig ich bin, den besten Job der Welt aufzugeben." Als er an ein Redepult trat, waren von außerhalb der Downing Street Buhrufe zu hören, Mitarbeiter spendeten hingegen Applaus.

Johnson kritisiert Rücktrittsforderungen seiner Partei

Reue zeigte Johnson nicht. Stattdessen kritisierte er in seiner gut sechsminütigen Stellungnahme die Rücktrittsforderungen seiner Partei als "exzentrisch". "Es ist nun eindeutig der Wille der konservativen Parlamentsfraktion, dass es einen neuen Parteichef geben soll und damit auch einen neuen Premierminister", sagte Johnson. Er habe zugestimmt, dass der Auswahlprozess für einen neuen Parteichef nun beginnen solle. Johnson betonte zugleich, er habe noch versucht, seine Partei von seinem Verbleib zu überzeugen.

Nach einer ganzen Reihe von Skandalen waren seit Dienstagabend fast 60 Minister und andere Regierungsvertreter aus Protest gegen Johnson zurückgetreten. Der Parteitag der Konservativen, auf dem ein neuer Parteichef gewählt werden kann, ist für Anfang Oktober geplant.

Johnson kämpft - und beruft neue Minister

Kurz vor seinem Rücktritt besetzte Johnson mehrere Kabinettsposten neu. Als möglich gilt, dass er so versuchen will, seinen Verbleib als Übergangspremier zu sichern. Seine Vertrauten James Cleverly und Rit Malthouse beauftragte er mit der Leitung des Bildungsministeriums und der zentralen Regierungsbehörde Cabinet Office. Den früheren Wirtschaftsminister Greg Clark ernannte er zum Minister für Angleichung der Lebensverhältnisse. Der ehemalige Justizminister Robert Buckland, den Johnson erst im September 2021 feuerte, ist nun Staatsminister für Wales. Weitere Ernennungen wurden erwartet.

Führende Tories fordern Rücktritt als Premier

Ob die Konservative Partei sich damit zufrieden gibt, dass Johnson lediglich als ihr Parteichef abtritt, ist aber zweifelhaft. Angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse im britischen Parlament ist der jeweilige Chef der Konservativen automatisch auch Premierminister. Üblicherweise bleibt der scheidende Premier so lange im Amt, bis ein Nachfolger gewählt wird. Doch dagegen regt sich wohl Widerstand.

In den vergangenen Tagen hatten führende Tory-Politiker Johnson immer wieder zum baldigen Rücktritt als Regierungschef aufgefordert, die Zeitung "The Guardian" zitierte nun zwei Ex-Minister mit der Aussage, Johnson könne nicht bis Herbst in Downing Street bleiben. Er müsse "bis heute Abend gegangen" sein und die Amtssiegel übergeben, der stellvertretende Premier und Justizminister Dominic Raab solle seinen Platz als Übergangs-Premier einnehmen.

  • Zum Artikel: "Regierungskrise: Johnson kämpft ums politische Überleben"

Es gibt mehrere Nachfolgekandidaten

Raab stand jedoch zumindest nach außen hin bis zuletzt treu zu Johnson. Neben ihm gelten mehrere Kabinettsmitglieder als potenzielle Nachfolger, etwa Außenministerin Liz Truss und der in der Bevölkerung derzeit populäre Verteidigungsminister Ben Wallace. Truss brach nach der Ankündigung aus Downing Street eine Reise nach Indonesien sofort ab und begab sich auf die Rückreise nach London

Das Verfahren, mit dem die Konservativen einen neuen Parteichef wählen, ist umständlich und kann einige Zeit in Anspruch nehmen - eventuell mehrere Monate. In der Partei könnten sich nun die Forderungen mehren, den Prozess zu beschleunigen.

Labour droht mit Misstrauensvotum

Die oppositionelle Labour-Partei drängte auf einen sofortigen Abgang von Boris Johnson als Premierminister und drohte andernfalls mit einem Misstrauensvotum im Parlament. Sollten die Tories Johnson nicht umgehend fallen lassen, werde es ein Vertrauensabstimmung über die konservative Regierung geben, erklärte Labour-Chef Keir Starmer. "Seine eigene Partei ist endlich zu dem Schluss gekommen, dass er als Premierminister ungeeignet ist", so Starmer: "Wenn sie ihn nicht loswerden, wird die Labour-Partei im nationalen Interesse ein Misstrauensvotum einbringen, denn wir können nicht noch monatelang mit diesem Premierminister weitermachen, der sich an die Macht klammert."

Was das Land jetzt brauche, sei "kein Wechsel an der Spitze der Tories", hatte Starmer zuvor erklärt: "Wir brauchen einen echten Regierungswechsel", forderte der linksgerichtete Labour-Politiker.

Der Druck wurde immer stärker

Zuvor hatte der Druck auf Johnson immer mehr zugenommen. Der erst vor zwei Tagen von Johnson ernannte Finanzminister Nadhim Zahawi forderte am Morgen den Premier zum Rücktritt auf. "Sie müssen das Richtige tun und jetzt gehen", erklärte Zahawi auf Twitter an Johnson gerichtet.

Die Krise, in der sich die Regierung befinde, werde nur noch schwerer. "Dies ist nicht tragbar, und es wird nur noch schlimmer werden, für Sie, für de Konservative Partei und vor allem für das Land", erklärte Zahawi, nachdem mehr als 50 Minister und führende Regierungsmitarbeiter zurückgetreten waren.

Die Erosion der Regierung nimmt kein Ende

Zahawi war erst vor weniger als 48 Stunden von Johnson ernannt worden, nachdem der vorherige Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid am Dienstag überraschend zurückgetreten waren und damit den Exodus in der Regierung losgetreten hatten, der Johnson immer stärker unter Druck setzt.

Kurz nach Zahawis Tweet erklärte dann die neue Bildungsministerin Michelle Donelan ihren Rücktritt. Auch sie war erst am Dienstag ernannt worden. Ebenfalls heute trat Nordirland-Minister Brandon Lewis zurück, kurze Zeit später auch der Staatsminister für Sicherheit, Damian Hinds.

  • Zum Artikel: Johnson klammert sich an die Macht: Weitere Rücktritte

"Wichtiger als jede Regierung oder jeder Regierungschef sind die Standards, die wir im öffentlichen Leben hochhalten, und das Vertrauen in unsere Demokratie und öffentliche Verwaltung", heißt es in dem Rücktrittsschreiben von Hinds an Johnson: "Aufgrund deren erheblicher Erosion bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es das Richtige für unser Land und unsere Partei ist, dass Sie als Parteichef und Premierminister zurücktreten."

"Das Land und die Konservative Partei verdienen etwas Besseres"

Lewis erklärte: "Ich kann nicht meine persönliche Integrität opfern, um die Dinge zu verteidigen, wie sie jetzt sind." Das Land und die Konservative Partei verdienten "etwas Besseres".

Tory-Delegation forderte den Rücktritt als Premier

Lewis, der als ultra-loyal zu Johnson galt, hatte sich laut Medienberichten hinter eine Delegation von Kabinettsmitgliedern gestellt, die Johnson am Mittwochabend zum Rücktritt aufgefordert hatten. Doch der durch zahlreiche Skandale und dutzende Rücktritte von Regierungsvertretern geschwächte Premier lehnte einen Amtsverzicht weiter ab.

Ebenfalls zu der Delegation soll Verkehrsminister Grant Shapps gehört haben. Gegen Johnson gestellt haben sollen sich auch die bislang ultra-loyale Innenministerin Priti Patel, Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng sowie Bau- und Wohnungsminister Michael Gove. Gove wurde am Mittwochabend entlassen.

Eine monatelange Serie von Skandalen

Johnsons konservative Regierungspartei wird schon seit Monaten von einer ganzen Reihe von Sex-Skandalen erschüttert. Mitte Mai war ein Abgeordneter unter Vergewaltigungsverdacht vorübergehend festgenommen worden. Ebenfalls im Mai wurde ein früherer Tory-Abgeordneter wegen sexuellen Missbrauchs eines Minderjährigen zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Zur besonderen Belastung für Premier Johnson selbst wurde dann die "Partygate"-Affäre um alkoholgeschwängerte Feiern am Regierungssitz während des Corona-Lockdowns, der dem Regierungschef ein parteiinternes Misstrauensvotum einbrachte, das Johnson Anfang Juni nur knapp überstand.

Pincher-Affäre sorgte für Zuspitzung der Lage

Am Dienstag traten dann Gesundheitsminister Sajid Javid und Finanzminister Rishi Sunak in einer offenbar koordinierten Aktion von ihren Ämtern zurück. Sie taten das nur wenige Minuten, nachdem Premier Johnson Stellung zu einem weiteren Skandal genommen hatte, der seine Regierung am Donnerstag vergangener Woche erschütterte: Chris Pincher trat als Vize-Fraktionschef der Konservativen zurück - wegen des Vorwurfes, er habe zwei Männer in einem Privatclub begrapscht.

Dies warf die Frage auf, warum Johnson ihn dennoch im Februar auf seinen hohen Parteiposten gehievt hatte. Aus Johnsons Büro war dazu zunächst verlautet, dass der Premier von den Vorwürfen gegen seinen Parteifreund nichts gewusst habe. Diese Verteidigungslinie brach am Dienstag zusammen, nachdem ein ranghoher früherer Beamter erklärte, dass Johnson bereits 2019 über einen entsprechenden Vorfall informiert worden sei. Johnson entschuldigte sich daraufhin für sein Vorgehen, was die Gemüter in seiner Partei aber nicht mehr beruhigen konnte.

Kreml bejubelt Berichte aus London

in russischen Regierungskreisen lösten die Medienberichte über den erwarteten Rücktritt Johnsons Jubel aus. Die "besten Freunde der Ukraine" würden gehen, schrieb der Vizechef des russischen Sicherheitsrates, Ex-Präsident Dmitri Medwedew, bei Telegram. Johnsons Abgang sei das "rechtmäßige Ergebnis britischer Unverfrorenheit und niveauloser Politik", meinte Medwedew. Nun warte man "auf Neuigkeiten aus Deutschland, Polen und dem Baltikum".

Der britische Premier ist einer der glühendsten Unterstützer der ukrainischen Regierung in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg. "Was Herrn Johnson selbst angeht, so mag er uns überhaupt nicht. Und wir ihn auch nicht", erklärte denn auch Kremlsprecher Dmitri Peskow zu den Meldungen aus London. Nun kämen vielleicht "professionellere Leute" an die Macht, die die Notwendigkeit des Dialogs verstünden.

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