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Tod durch Grippe - Wie Behörden und Kassen Menschenleben gefährden

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Wie Behörden und Kassen Menschenleben gefährden

Es war eine der schwersten Grippewellen der vergangenen Jahre - nach Recherchen von report München hätte sie teilweise verhindert werden können. Groteske Fehleinschätzungen der Behörden haben das Leben vieler Menschen gefährdet.

Über dieses Thema berichtet: report München am .

Für Klaus Lorenzen war die Grippewelle im vergangenen Winter eine schwere Prüfung. Denn der Dresdner Allgemeinmediziner durfte seinen Patienten nicht so schützen, wie er es gerne getan hätte:

"Ich ärgere mich schon, dass die Kassen bewusst einen schlechteren Schutz meiner Patienten in Kauf nehmen. Rein aus finanzielle Gründen." Dr. Klaus Lorenzen, niedergelassener Allgemeinmediziner in Langebrück bei Dresden 

Denn Privatversicherte bekommen in der Regel einen Impfstoff gegen die vier gängigen Grippevarianten. Das ist wohl der bestmögliche Schutz - nicht so Patienten von Gesetzlichen Krankenkassen. Diese bekommen in der Regel nur einen Impfstoff gegen drei Varianten - eine gängige Variante fehlt also. Und in diesem Jahr war ausgerechnet diese fehlende Virus-Linie - Yamagata - für rund zwei Drittel aller Viruserkrankungen verantwortlich. Mitunter mit tödlichen Folgen, sagt Lorenzen, denn mit dem Einsatz des vierfach-Impfstoffs "wären sicher weniger Todesfälle zu beklagen gewesen“.

Aber warum machen die Krankenkassen den Ärzten solche Vorgaben? Was die Kassen erstatten, beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss - der wiederum hält sich in der Regel an die Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut. 

Empfehlung bleibt im bürokratischen System stecken

Nach Informationen von report München liegen dem Gremium bereits im März 2017 Berechnungen über bis zu 395.000 Erkrankungen vor, die der Vierfach-Impfstoff verhindern könnte. Zu diesem Zeitpunkt wäre nach Einschätzung von Experten auch noch theoretisch ein Umschwenken auf den wenige Euro teureren Vierfach-Impfstoff möglich. 

Aber alleine kann die Ständige Impfkommission nichts entscheiden. Sie fragt zunächst zahlreiche Verbände und Behörden an. Deren Einwände blockieren die Entscheidung über Monate. Sie fürchten "hohe Kosten" oder halten den "zusätzlichen Nutzen" für nicht "quantifizierbar". Die Ständige Impfkommission schreibt uns, das System sehe eben "die Beteiligung der Fachkreise zwingend vor, um diesen Kommentare zu einer geplanten Empfehlung zu ermöglichen." Mit anderen Worten: Die Empfehlung bleibt im bürokratischen System stecken. 

Dietmar Beier ist im Freistaat Sachsen für Impfempfehlungen verantwortlich. Er kämpft seit Jahren für den Vierfach-Impfstoff. Häufig wurde ihm Panikmache vorgeworfen. Das Zögern seiner Kollegen im Bund hält er für fatal.

"Wenn ich den bestmöglichen medizinischen Schutz gewähren will, dann muss ich selbstverständlich mich an solche Daten halten, und mit nicht großer Verzögerung reagieren. Und darf nicht nur auf die Kosten schauen." Dietmar Beier

Erst im Januar ändert die Ständige Impfkommission ihre Empfehlung offiziell. Da ist die Grippesaison praktisch schon vorbei.

"Es hätte deutlich weniger Erkrankungen und weniger Todesfälle gegeben, wenn die Bevölkerung überwiegend mit Vierfach-Impfstoff geimpft worden wäre." Dietmar Beier

Denn: Mehr als 1.000 Menschen sind in dieser Saison an genau der Grippevariante gestorben, die der Drei-Fach-Impfstoff nicht abdeckt - und gegen die er daher weniger wirksam ist, als der Vierfach-Impfstoff. 

Krankenkassen drücken Preise für Grippe-Impfung

Angeblich soll nun zumindest in der neuen Saison alles besser werden. Die Gesetzlichen Krankenkassen wollen nun für alle Patienten den Vierfach-Impfstoff erstatten. Aber: Viele Experten bezweifeln, ob die Versorgung wirklich reibungslos läuft. Denn: Einige Krankenkassen haben Festpreisvereinbarungen mit Apothekerverbänden geschlossen. Dabei drücken sie den Preis so tief, dass nur ein Hersteller überhaupt für die Produktion in Frage kommt. 

Sie machen sich also abhängig. Hat der dann einzige Hersteller Probleme bei der Produktion, lässt sie so schnell kein Ersatz besorgen, der Impfstoff fehlt den Patienten. Dieses Risiko ist durchaus real: So einen Lieferengpass gab es bei Grippeimpfstoffen zum Beispiel 2012. Für den Bundestagsabgeordneten Tino Sorge gehen die Krankenkassen ein zu hohes Risiko ein.

"Wenn Krankenkassen Lieferengpässe in Kauf nehmen, um ein paar Euro einzusparen, ist das einfach skandalös." Tino Sorge, Bundestagsabgeordneter, CDU

Besonders bemerkenswert: Nach Recherchen von report München wollte die Bundesregierung eigentlich per Gesetz verhindern, dass Krankenkassen sich durch Exklusiv-Verträge von einem Hersteller abhängig machen. Im Mai 2017 schreibt das Gesundheitsministerium in einem Rundschreiben bereits von einem "Wegfall der Exklusivität". Offenbar greift das Gesetz aber nicht.

"Das Problem, das wir haben, ist, dass die Kassen das Gegenteil von dem machen, was wir beschlossen haben." Tino Sorge

AOK-Bundesverband weist Vorwürfe zurück

Der Sprecher des AOK-Bundesverbands Dr. Kai Behrens weist die Vorwürfe zurück. Zum einen hätten Versicherte schon in der vergangenen Saison den Vierfach-Impfstoff erhalten, wenn es aus Sicht eines Arztes medizinisch notwendig gewesen sei. Daneben gehe es den Kassen aber darum, möglichst kostensparend zu arbeiten.

"Wir haben Effizienzspielräume genutzt, bzw. die Versorgung günstiger gestaltet. Zu Lieferengpässen kommt es durch ganz andere Gründe." Dr. Kai Behrens, Sprecher des AOK-Bundesverbands

Wir hätten sehr gern mit Gesundheitsminister Spahn über die Misere gesprochen. Er lehnt ein Interview mit report München aber ab. Schriftlich heißt es nur aus dem Bundesgesundheitsministerium: "Das Bundesministerium für Gesundheit wird das Geschehen aufmerksam verfolgen." (Autoren: Fabian Mader und Ann-Kathrin Wetter)