Auf Social Media streiten sich die Mitglieder von "Familien in der Krise" (jetzt: "Initiative Familien") mit anderen Elterninitiativen.
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Auf Social Media streiten sich die Mitglieder von "Familien in der Krise" (jetzt: "Initiative Familien") mit anderen Elterninitiativen.

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Warum sich Corona-Elterninitiativen auf Twitter streiten

Die einen wollen Schulen auch bei steigenden Zahlen offenhalten, die anderen finden das "absurd". Von Beleidigungen und Diffamierungen ist die Rede. Und nicht immer gelingt es den Beteiligten, sich von Corona-Verharmlosern abzugrenzen.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Sonntagvormittag am .

Homeoffice, Homeschooling und die ständige Angst vor dem Virus: Eltern und Kinder sind von der Pandemie besonders betroffen. Schon im ersten Lockdown, im Frühjahr 2020, gründeten sich deshalb Elterninitiativen, die sich für die Rechte von Kindern und Familien stark machen.

Doch welche Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie die richtigen und wirksamsten sind, darüber wird vielerorts teils erbittert diskutiert. Nicht nur in der Politik, sondern auch und vor allem in den sozialen Netzwerken. Auf Twitter hat sich die Diskussion zwischen Vertretern verschiedener Elterninitiativen zuletzt zu einem Streit hochgeschaukelt. Von einer "Hasskampagne" ist die Rede, von Verleumdungen beim Arbeitgeber und sogar eine Morddrohung soll es gegeben haben.

Auf der einen Seite stehen die, die sich wie die "Initiative Familien" für offene Schulen und Kitas einsetzen, mit Tests und Impfungen, aber unabhängig von Inzidenzwerten. Auf der anderen Seite - etwa bei der Initiative "Sichere Bildung Jetzt" oder der Twitter-Kampagne #Bildungabersicher findet man solche Forderungen "absurd" und stellt die Gefahr von Infektionen in den Vordergrund.

Aus "Familien in der Krise" und "Kinder brauchen Kinder" entstand die "Initiative Familien"

Diane Siegloch ist Mitbegründerin der "Initiative Familien", einem Verein, der aus dem Zusammenschluss der zwei Vorgängerprojekte "Familien in der Krise" (kurz: FidK) und "Kinder brauchen Kinder" entstanden ist. Das Ziel des Vereins, so formuliert Siegloch es selbst, sei "Verhältnismäßigkeit" bei den Corona-Maßnahmen, die Familien und Kinder betreffen.

Die Wurzeln von "Initiative Familien" liegen in der Facebook-Gruppe "Eltern in der Krise", in der sich im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 schnell Tausende gefrustete Eltern zusammenfanden. Irgendwann habe ihr das nicht mehr gereicht, erzählt Siegloch, sie wollte die Proteste "auf die Straße" bringen. Die Gründerinnen von "Eltern in der Krise" wollten in Pandemiezeiten keine Demonstrationen organisieren und so entstand "Familien in der Krise“, eine erste Abspaltung, die sich wiederum Anfang Februar dieses Jahre mit "Kinder brauchen Kinder" zur "Initiative Familie" zusammenschloss.

Schon kurz nach der Gründung von "Familien in der Krise" im ersten Lockdown fand Sieglochs Gruppe hochrangige Unterstützer: die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder gab Tipps für die Pressearbeit, auf einer Demo in München schaute im Sommer Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im bayerischen Landtag, vorbei, viele Medien berichteten.

Andere Eltern forderten strengere Maßnahmen und ein Recht auf Distanzunterricht

Doch der Erfolg rief bald auch Kritiker auf den Plan. Darunter vor allem: Eltern und Erzieher, die Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus haben. Im Juni 2020 begannen sich auf Twitter auch Eltern zu organisieren, die dafür kämpften, dass auch an Grundschulen Mindestabstände eingehalten und Masken getragen werden müssen – und dass Eltern ihre Kinder auch bei niedrigen Inzidenzwerten zuhause beschulen dürfen. Die Twitterkampagne #Bildungabersicher war geboren.

Eine der Gründerinnen ist Eugenia Cerda, Immobilienmanagerin aus Leipzig und Mutter von vier Kindern. Auf Twitter sammelte sie im Juni letzten Jahres Medienberichte über Coronaausbrüche an Schulen – um darauf hinzuweisen, dass sich durchaus auch Kinder anstecken und eine Rolle im Infektionsgeschehen spielen. Eine These, die Sprengkraft barg:

"Im Juni wurden wir massenhaft attackiert von Accounts, die uns gänzlich unbekannt waren. Das Argument: Es wäre lächerlich, wenn man über jeden Einzelfall auf Twitter berichtet. Und da waren auch die Gründer von 'Kinder brauchen Kinder' dabei." Eugenia Cerda, #BildungAberSicher

"Kinder brauchen Kinder" ist eine der beiden Vorläufer der "Initiative Familien". Deren Mitgründerin Stephanie Schläfer ist heute auch im Vorstand der "Initiative Familien". Was Cerda "Attacken" nennt, stellt sich in den Screenshots, die sie selbst mitschickt, als überwiegend hitzige Wortgefechte dar. Echte Beschimpfungen finden sich eher selten darunter. Cerda stört sich bis heute vor allem daran, dass einige der Lockerungs-Vertreter damals argumentierten, man dürfe nicht alles dem Schutz des Lebens unterordnen – eine These, die damals auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vertrat und die Cerda als "kinder- und menschenfeindlich" bezeichnet.

Der Vorwurf: Die "Initiative Familien" grenze sich nicht ausreichend von Corona-Verharmlosern ab

Auf Twitter wird der Initiative immer wieder vorgeworfen, inhaltlich Corona-Verharmlosern und Querdenkern nahezustehen. Auch Cerda argumentiert so:

"Die vertreten inhaltlich das Lager von Maßnahmenkritikern, Lockdown-Gegnern und Wissenschaftsleugnern – streiten dies aber natürlich ab und sagen, dass sie für Infektionsschutz sind, denn sonst würden sie sich unglaubwürdig machen. Aber ihr Agieren ist ganz auf dieser Linie." Eugenia Cerda, #BildungAberSicher

Doch was ist dran an den Vorwürfen? Diane Siegloch distanziert sich im Gespräch mit BR24 explizit von Gruppen wie den Querdenkern und anderen Corona-Verharmlosern. Auch auf der Webseite der "Initiative Familien" betonen die Organisatorinnen, dass sie die Pandemie ernst nehmen und "zielgerichtete Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung" befürworten.

Dennoch passiert es immer wieder, dass Corona-Verharmloser in der Facebook-Gruppe der Initiative maskenkritische Inhalte posten, die auch in Querdenker-nahen Gruppen wie "Eltern stehen auf" geteilt werden. Und es kommt vor, dass Verschwörungstheoretiker in ihren Kanälen auf Aktionen der "Initiative Familien" verweisen. Siegloch beteuert, die Organisatorinnen bemühten sich, solche Inhalte wenn möglich zu löschen – aber die Initiative arbeite ehrenamtlich und "man kann in den sozialen Medien nicht 1:1 kontrollieren, wer was wohin postet".

"Ich habe schon das Gefühl, dass da eine verzerrte Evidenz ist"

Pia Lamberty, Sozialpsychologin und Expertin für Verschwörungsideologien, hat sich die Social-Media-Auftritte der Initiative für BR24 angeschaut und sagt, sie habe "keine offenen Sympathiebekundungen mit Querdenken gefunden". Doch auch sie sieht die Initiative kritisch: Zwar würden in den Posts meist seriöse Quellen und wissenschaftliche Studien zitiert, "aber wenn man sich das so anschaut, habe ich schon das Gefühl, dass da eine verzerrte Evidenz ist: In dem Sinne, dass da eigentlich nur Studien präsentiert werden, die sagen: 'Kinder sind keine Treiber in der Pandemie, das ist alles nicht so schlimm'."

Vor der dritten Welle und der Ausbreitung der britischen Variante mögen viele noch so argumentiert haben – doch Mitglieder der Initiative argumentieren zum Teil auch jetzt noch so, wo die dritte Welle längst im Rollen ist, die Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen rasant steigen und immer mehr Medien auch über schwere Erkrankungen bei Kindern berichten. Noch Mitte März etwa fordert die "Initiative Familien", Schulen und Kitas offenzuhalten – unabhängig von den Inzidenzwerten.

Zu wenig Gehör in den Medien

Doch es ist nicht nur Cerdas Initiative #Bildungabersicher, die sich daran stört, dass "Kinderrechte" bei Siegloch und ihren Mitstreiterinnen vor allem offene Schulen zu bedeuten scheint – und nicht genauso, Kinder und deren Familien vor einer Infektion zu schützen. Im September 2020 gründete der Kinderpfleger Bruno Capra zusammen mit anderen Eltern und Erziehern in Berlin das Projekt "Sichere Bildung Jetzt". Forderungen wie die nach offenen Schulen auch bei steigenden Infektionszahlen findet er "absurd".

Noch mehr aber stört ihn, dass die Stimmen der Vorsichtigen, die keine Lockerungen wollen, auch in der dritten Welle der Pandemie von Politik und Medien kaum gehört würden:

"Es werden Entscheidungen begründet, nach dem Motto: Die Leute können nicht mehr. Das war das Motto Anfang März. Man müsse jetzt einen Plan vorlegen, weil die Leute nicht mehr können. Und ich habe Tausende von Tweets gesehen, wo drinstand: ‚Ne, wir können noch." Bruno Capra, Sichere Bildung Jetzt

Explizit wirft er das auch dem BR vor und fragt mit Bezug auf den "Initiative Familien"-Vorgänger "Familien in der Krise":

"Warum kommen Sie jetzt erst nach sechs Monaten auf uns zu? Wie kommt Familien in der Krise zu dieser wirklich enormen Relevanz? Wie kommen sie dahin und warum werden wir von den Medien ignoriert?" Bruno Capra, Sichere Bildung Jetzt

Ob es dieses Ungleichgewicht tatsächlich so gibt, ist schwer zu belegen. Immerhin: Über die #NoCovid-Initiative, die ähnliche Positionen vertritt wie #BildungAberSicher und "Sichere Bildung Jetzt", wurde in der Presse breit berichtet, auch im BR.

Auch Lobbyismus-Vorwürfe gibt es - Belege allerdings nicht

Richtig ist allerdings, dass die "Initiative Familien" – und deren Vorgänger "Familien in der Krise" – für eine ehrenamtliche Initiative erstaunlich professionell auftritt. So professionell, dass einige Twitter-Nutzer bereits eine Wirtschaftslobby dahinter vermuteten, die sich nur als Graswurzelbewegung ausgibt. Der Verdacht: Man wolle die Schulen offenhalten, damit die Eltern weiterarbeiten könnten.

Es ist eine These, für die bis heute jegliche Belege fehlen und die vor allem darauf fußt, dass viele der Gründerinnen von "Initiative Familie" und deren diversen Vorläufern-Organisationen gut vernetzt sind und als PR-Profis für große Unternehmen arbeiten. Im Vergleich zu anderen ehrenamtlichen Initiativen mag das ein Vorteil sein, ein Beleg für geheime Absprachen ist es nicht.

Die "Initiative Familien" fühlt sich verunglimpft, in einem Schreiben an Journalisten beklagte sie persönliche Diffamierungen. In Tweets würde eine "primär anonyme Gruppierung sowie deren Follower" die Initiative mit der RAF oder "Nazibanden" vergleichen, es habe Anrufe beim Arbeitgeber gegeben, sogar ein Jobverlust wurde "in Kauf genommen".

Das Problem: Von wem die Drohungen ausgehen, lässt sich nicht sagen. Es können Mitglieder der Gegen-Initiativen sein, oder auch Trittbrettfahrer. Denn jeder kann in sozialen Netzwerken Hass und Diffamierungen über anonyme Accounts verbreiten – und dabei die Hashtags der jeweiligen Gruppen verwenden. Bruno Capra und Eugenia Cerda jedenfalls distanzieren sich auf Nachfrage entschieden von einem solchen Vorgehen – und weisen auf Drohungen und Diffamierungen hin, denen sie selbst ausgesetzt seien. Eine ihrer Mitstreiterinnen habe Twitter nach einer Morddrohung verlassen, sagt Cerda.

Die Polarisierung nimmt zu - und verstellt den Blick auf Gemeinsamkeiten

Doch auch wenn die Anfeindungen gar nicht von Mitgliedern der organisierten Initiativen selbst kommen – sie tragen dazu bei, die Debatte in den sozialen Netzwerken weiter anzuheizen. Es ist diese Polarisierung, die der Sozialpsychologin Pia Lamberty vor allem Sorgen macht:

"Da sind zwei Gruppen, die sich nicht einig sind im Grundsatz, aber natürlich haben die wahrscheinlich auch Punkte, wo sie sich näher sind, als sie eigentlich denken. Doch in dem Moment, wo man in der Grundsache nicht mehr übereinstimmt und dem anderen misstraut, kann man auch kein Zugeständnis mehr machen, weil man Angst hat, dass die andere Seite das instrumentalisiert." Pia Lamberty, Sozialpsychologin

Tatsächlich gibt es durchaus auch Überschneidungen bei den Forderungen der "Initiative Familien" und von #BildungAberSicher und "Sichere Bildung Jetzt". Beide Seiten wollen, dass Kinder aus Risikofamilien nicht zur Schule gehen müssen. Auch auf mehr Tests an Schulen können sich alle einigen.

Im Gespräch mit BR24 räumt auch Diane Siegloch von der "Initiative Familien" ein: "Den anderen und uns geht es ja im Prinzip um das Gleiche: wie die Kinder und die Familien gut durch diese Krise kommen können.“ Auch Bruno Capra von "Sichere Bildung Jetzt" sagt, es gebe auch "auf der anderen Seite" durchaus moderate Menschen, mit denen konstruktive Gespräche möglich seien.

Ganz so groß müsste die Kluft trotz der Twitter-Gefechte also eigentlich nicht sein.

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