An der Tür eines Restaurants steht "Ab hier 2G" angeschrieben
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An der Tür eines Restaurants steht "Ab hier 2G" angeschrieben

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Vierte Corona-Welle: Debatte über neue Maßnahmen

Impfpflicht, mehr 2G oder neue Kontaktbeschränkungen: Angesichts der sich zuspitzenden Corona-Lage ist die Debatte über neue Maßnahmen in vollem Gange. Einig sind sich alle Experten, dass die Impfquote in Deutschland bislang zu niedrig ist.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die stark steigenden Corona-Zahlen heizen die Debatte über den weiteren Kurs in der Pandemie an. In Politik und Wissenschaft mehren sich die Rufe nach bundesweiten Einschränkungen für Ungeimpfte. So fordert etwa SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach eine bundesweit geltende 2G-Regelung - also Zutritt etwa zu Veranstaltungen nur für Geimpfte oder Genesene. "Wir brauchen entweder einen Lockdown oder eine 2G-Regel, und einen Lockdown wird es nicht mehr geben", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Eine deutschlandweite Einführung der 2G-Regel sei im Bund jedoch ohne die Länder nicht durchzusetzen. "Ich rate daher jeder Landesregierung zur Einführung von 2G."

Mehr 2G gefordert

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch mahnte: "Es geht um eine Güterabwägung und um die Frage, was ist der größere Grundrechtseingriff: Ein erneuter Lockdown mit katastrophalen Folgen, insbesondere für Kinder und Familien, oder ein bundesweit geltendes 2G-Modell." Der Ärzteverband Marburger Bund mahnte: "Sollten wir keine bundesweite 2G-Regel einführen, wäre das der nächste Fehler in der Pandemiebekämpfung." Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina empfiehlt, 2G solle "eine größere Geltungsreichweite" erhalten. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, Christian Karagiannidis, forderte, spätestens in der kommenden Woche in Deutschland flächendeckend 2G einzuführen.

Spahn für bundesweit einheitliche Regelung

Die Parteien der voraussichtlichen Ampel-Koalition - SPD, Grüne und FDP - stellen es in ihrem Gesetzentwurf für das künftige bundesweite Corona-Regelwerk, der ab dieser Woche im Bundestag beraten wird, den Bundesländern frei, ob sie 3G- oder 2G-Regeln anordnen. Einige Länder haben bereits 2G-Vorschriften erlassen. Bei 3G-Regeln haben zusätzlich auch Getestete Zugang.

Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verlangte ein bundesweites Vorgehen bei der Anwendung der 2G-Regel. Es werde Einheitlichkeit in der Frage 3G oder 2G gebraucht, sagte Spahn bei RTL/ntv. "Wir haben jetzt bald wieder 16 unterschiedliche Regelungen, das führt nicht per se zu mehr Akzeptanz."

Drosten hält Kontaktbeschränkungen für notwendig

Der Virologe Christian Dosten ist der Meinung, Maßnahmen wie 3G oder selbst 2G reichten vermutlich nicht aus, um angesichts der Delta-Variante die Zahl der Infektionen genug zu senken. Er erwartet "einen sehr anstrengenden Winter" und spricht sich dafür aus, auch neue Kontaktbeschränkungen zu erwägen. "Wir haben jetzt im Moment eine echte Notfallsituation", sagte der Leiter der Virologie in der Berliner Charité angesichts der Lage auf den Intensivstationen im NDR. "Wir müssen jetzt sofort etwas machen."

Dabei müsse man auch Maßnahmen diskutieren, "die wir eigentlich hofften, hinter uns zu haben", sagte Drosten. "Wir müssen also jetzt die Infektionstätigkeit durch Kontaktmaßnahmen wahrscheinlich wieder kontrollieren - nicht wahrscheinlich, sondern sicher."

Pflicht-Tests auch für Geimpfte

Auch andere Forscher haben Vorschläge, wie der aktuellen Corona-Welle beizukommen ist. "2G plus Test dürfte Standard werden über den Winter", erklärte Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Das würde bedeuten, dass nur Geimpfte und Genesene Zutritt zu bestimmten Orten haben und zusätzlich getestet sein müssen. Denn auch Geimpfte und Genesene (2G) könnten sich infizieren. Regelmäßiges Testen besonders im beruflichen Umfeld und in Schulen müsse am besten wieder zur Pflicht werden. Aus Sicht von Zeeb sollte auch die Maskenpflicht in engen Innenräumen beibehalten beziehungsweise wieder ausgeweitet werden.

Experten: Auffrischungsimpfung entscheidend

Der Münchner Infektiologe Christoph Spinner betonte: "Entscheidend für den Winter sind aus meiner Sicht breit angelegte Booster-Impfungen bei Menschen, deren Impfung mehr als sechs Monate zurückliegt". Dadurch ließen sich Studien zufolge bis zu 95 Prozent symptomatischer Infektionen verhindern. Auch Spinner meint, die 2G-Regel könne bedeutend zur Pandemie-Kontrolle beitragen und den einen oder anderen Unentschlossenen zur Impfung bewegen.

Die Virologin Ulrike Protzer sagte im Gespräch mit BR24: "Am meisten würde es helfen, die Impfungen zu verstärken und die Booster-Impfungen zu beschleunigen." Die bisherige Impfquote (Stand 10.11.21) in Bayern liegt bei 65,2 Prozent (vollständig Geimpfte), deutschlandweit liegt sie bei 67,2 Prozent. Dass dies nicht ausreicht, da sind sich alle Experten einig.

Der Virologe Drosten erklärte, man müsse der Bevölkerung klar machen, "dass es sehr ernst ist im Moment". "Wir sind in einer schlechten Situation: Wir haben 15 Millionen Leute, die eigentlich hätten geimpft sein könnten und die geimpft sein müssten." Der Weg aus der Pandemie sei klar: "Wir müssen die Impflücken schließen." Sollte es beim Impfen keinen Fortschritt geben, müsse sich Deutschland auf mindestens 100.000 weitere Corona-Tote vorbereiten, "bevor sich das Fahrwasser beruhigt", sagte Drosten. "Das ist eine konservative Schätzung."

Debatte um Impfpflicht

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina plädiert inzwischen für eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen. In einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme schreibt Leopoldina-Präsident Gerald Haug, "Impfpflichten für Multiplikatorengruppen" seien eine Möglichkeit, "unsere Instrumente für die Eindämmung der Pandemie zu verbessern". Zu diesen Gruppen könne man Pflegepersonal, Lehrer und andere Berufsgruppen mit viel Kontakt zu anderen Menschen zählen.

Der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, Andreas Zick, warnte im Redaktionsnetzwerk Deutschland allerdings: "Wir können über einen Impfzwang diskutieren. Doch der Preis dafür wird sein, dass bestimmte Gruppen unter den Impfgegnern noch sehr viel aggressiver vorgehen." Man habe gehofft, dass die Herdenimmunität einen Ausweg biete und man damit jede Form von Zwangsmaßnahmen umgehen könne. Jetzt werde sich die Lage weiter verschärfen. "Wir rennen immer weiter in ein Dilemma hinein, das dramatisch ist. Mit der vierten Welle geht die nächste Welle der Radikalisierung einher."

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