Vom Russland zurückgelassenes Militärgerät in der Region Charkiw
Bildrechte: Press service of the Commander-in-Chief of the Armed Forces of Ukraine/Handout via REUTERS

Vom Russland zurückgelassenes Militärgerät in der Region Charkiw

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Ukraine weiter auf dem Vormarsch – Russland verhandlungsbereit?

Russlands Armee erleidet in der Region Charkiw eine schwere Niederlage: Auch Gebiete nördlich der Metropole sind jetzt wieder unter ukrainischer Kontrolle. Russlands Außenminister Lawrow deutet Verhandlungsbereitschaft an.

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Die ukrainischen Streitkräfte haben nach Angaben der Heeresleitung seit Anfang September mehr als 3.000 Quadratkilometer russisch besetzten Gebiets zurückerobert und weiten ihre Offensive vom Großraum Charkiw in den Nordosten aus. Geländegewinne habe es vor allem um die zweitgrößte ukrainische Stadt gegeben, wo die Streitkräfte bis zu 50 Kilometer an die russische Grenze herangerückt seien, teilte der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, am Sonntag mit. Ausgehend von der Großstadt komme das ukrainische Militär auch Richtung Süden und Osten voran.

Offenbar rückten die russischen Truppen nördlich von Charkiw bereits weitgehend ab. Den am Sonntag vom Verteidigungsministerium in Moskau gezeigten Karten zufolge räumten die russischen Einheiten das Grenzgebiet und zogen sich auf eine Linie hinter die Flüsse Oskil und Siwerskyj Donez zurück. In der Ortschaft Kosatscha Lopan, das nur vier Kilometer entfernt zur russischen Grenze liegt, hissten Einwohner wieder die ukrainische Flagge.

Russische Armee unter Druck

Am Samstag hatte Moskau bereits den Rückzug von Truppen aus strategisch wichtigen Städten im Süden des Gebiets Charkiw bekannt gegeben. Offiziell begründete Moskau den Abzug damit, dass Einheiten im angrenzenden Gebiet Donezk verstärkt werden sollen. Viele Experten gehen jedoch davon aus, dass die Russen angesichts des ukrainischen Vorstoßes im Charkiwer Gebiet zuletzt so stark unter Druck geraten sind, dass sie sich zur Flucht entschieden haben.

Das russische Verteidigungsministerium erklärte Sonntagmittag, dass man Stellungen der ukrainischen Armee in der Region Charkiw weiter angreife. Die Angriffe erfolgten durch Luftlandetruppen, Raketen und Artillerie, teilte das Ministerium in sozialen Medien mit. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben ist nicht unmittelbar möglich.

Kommt es wieder zu Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland?

Zugleich stellte die russische Führung wieder Verhandlungen mit Kiew in Aussicht. "Russland lehnt Verhandlungen mit der Ukraine nicht ab, doch je länger der Prozess hinausgezögert wird, desto schwerer wird es, sich zu einigen", sagte Außenminister Sergej Lawrow am Sonntag im Staatsfernsehen. Die Verhandlungen, die kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen das Nachbarland begannen, sind seit Monaten ausgesetzt.

Russland stellte für einen Frieden bislang allerdings harte Bedingungen. So soll die Ukraine nicht nur auf einen Nato-Beitritt verzichten, sondern auch hohen Gebietsverlusten zustimmen. Weitere offizielle Forderungen des Kremls bestehen in einer "Entmilitarisierung" und einer "Entnazifizierung" der Ukraine.

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Karte: Die militärische Lage in der Ukraine

Selenskyj: "Dieser Winter ist der Wendepunkt"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj pries den russischen Rückzug aus der Stadt Isjum gut 120 Kilometer südöstlich von Charkiw als Durchbruch in dem seit sechs Monaten andauernden russischen Angriffskrieg. Dieser Winter könne weitere schnelle Geländegewinne bringen für die Ukraine, vor allem wenn die Streitkräfte weiterhin mit schweren Waffen versorgt würden. Der Fall von Isjum ist die größte Niederlage für das russische Militär, seit sie aus dem Gebiet um die Hauptstadt Kiew zurückgeschlagen wurden.

"Ich glaube, dieser Winter ist der Wendepunkt, und er kann zur schnellen Befreiung der Ukraine führen", sagte Selenskyj am späten Samstagabend. "Wir sehen, wie sie in einige Richtungen fliehen", sagte der Präsident mit Blick auf die russischen Streitkräfte. "Wenn wir noch ein bisschen stärker mit Waffen wären, würden wir noch schneller vorankommen."

Folgt die Rückeroberung von Lyssytschansk?

Der Militärexperte Oleh Schdanow sagte von Kiew aus, die Gewinne der Ukraine könnten den Weg ebnen in die Region Luhansk, die von Russland seit Anfang Juni gehalten wird. Luhansk, das zusammen mit der Region Donezk den industriell geprägten Donbass der Ukraine bildet, liegt rund 340 Kilometer südöstlich von Charkiw.

Es war von Anfang an das erklärte Ziel Russlands, vor allem dieses Gebiet einzunehmen, das teilweise bereits seit 2014 von prorussischen Separatisten kontrolliert wird. "Wenn Sie sich die Karte anschauen, ist es logisch anzunehmen, dass sich die Offensive Richtung Swatowo, Starobelsk, Siewerodonezk und Lyssytschansk entwickelt", sagte Schdanow. "Das sind zwei vielversprechende Richtungen."

Weiter Sorge um AKW Saporischschja

Sorge bereitet weiterhin die Lage am Atomkraftwerk Saporischschja im Südosten der Ukraine. Der Betrieb des von russischen Truppen besetzten AKWs ist nach Angaben des staatlichen Betreibers mittlerweile vollkommen eingestellt worden. Auch der sechste und damit letzte Block der Anlage sei vom Stromnetz genommen worden, teilte Energoatom mit.

Rings um das größte AKW in Europa kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen ukrainischen und russischen Truppen. Das Gelände des in der Stadt Enerhodar gelegenen Kraftwerkes wurde wiederholt getroffen. Für die Gefechte machen sich Russland und die Ukraine gegenseitig verantwortlich.

Mit Material von Reuters und dpa

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