Die EU will die Untersuchung von mutmaßlichen Gräueltaten in Kiews Vororten unterstützen
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Die EU will die Untersuchung von mutmaßlichen Gräueltaten in Kiews Vororten unterstützen

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Kriegsgräuel in Butscha: Scholz kündigt weitere Sanktionen an

Nach dem Bekanntwerden von mutmaßlichen Gräueltaten der russischen Armee in den Vororten von Kiew reagieren Bundesregierung und EU empört. Kanzler Scholz sprach von einem "Kriegsverbrechen" im Ort Butscha und kündigte weitere Sanktionen an.

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Massengräber, mit Leichen übersäte Straßen und völlige Zerstörung – dramatische Berichte und Aufnahmen aus mittlerweile von der ukrainischen Armee zurückeroberten Gebieten bei Kiew haben international für Entsetzen gesorgt. EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich am Sonntag "erschüttert" über Bilder aus dem Ort Butscha und sprach von "Gräueltaten" und einem "Massaker". Die EU werde bei der "Sammlung der notwendigen Beweise für die Verfolgung vor internationalen Gerichten" helfen, versicherte er.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warf Russland schwere Kriegsverbrechen vor. "Die Bilder aus Butscha erschüttern mich, sie erschüttern uns zutiefst." Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verlangte, die "Verbrechen des russischen Militärs" müssten "schonungslos" aufgeklärt werden. Er sprach von "furchtbaren und grauen-erregenden Aufnahmen".

Die Ermordung von Zivilisten "ist ein Kriegsverbrechen", betonte der Kanzler. Die Bundesregierung werde zusammen mit ihren Verbündeten in den nächsten Tagen "weitere Maßnahmen" gegen Russland beschließen. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kündigte härtere Sanktionen gegen Moskau und weitere Hilfen für das ukrainische Militär an.

Kanzler Olaf Scholz
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"Alle diese Menschen wurden erschossen"

Die russische Armee hatte sich zuletzt in der Region um Kiew zurückgezogen. In Butscha wurden danach laut Angaben der ukrainischen Behörden fast 300 Leichen gefunden. Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten, dass zahlreiche Tote zivile Kleidung getragen hätten. Sie sahen auf einer einzigen Straße in Butscha mindestens 20 Leichen liegen.

"Alle diese Menschen wurden erschossen", sagte Bürgermeister Anatoly Fedoruk. "Sie haben sie mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet." Es stünden Autos auf den Straßen, in denen "ganze Familien getötet wurden: Kinder, Frauen, Großmütter, Männer". Nach Angaben des Bürgermeisters mussten 280 Menschen in Butscha in Massengräbern beigesetzt werden, da die drei städtischen Friedhöfe noch in Reichweite des russischen Militärs lagen.

Insgesamt haben die ukrainischen Behörden nach Angaben von Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa 410 Leichen in Orten rund um Kiew gefunden. Es seien viele Verbrechen begangen worden und würden noch immer begangen, erklärte sie.

Ukraine spricht von Völkermord, Russland dementiert

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschuldigte Russland des Völkermordes in der Ukraine. "Gewiss, das ist Völkermord", sagt Selenskyj im US-Sender CBS. "Die Auslöschung einer Nation und seines Volkes." Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sprach ebenfalls von "Völkermord". "Das, was in Butscha und anderen Vororten von Kiew passiert ist, kann man nur als Völkermord bezeichnen", sagte Klitschko der "Bild"-Zeitung. "Es sind grausame Kriegsverbrechen, die Putin dort zu verantworten hat."

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sprach von einem "absichtlichen Massaker" und forderte verschärfte Sanktionen. "Die Russen wollen so viele Ukrainer wie möglich vernichten", schrieb er bei Twitter. "Wir müssen sie aufhalten und rausschmeißen." Er forderte die Gruppe sieben wichtiger Industriestaaten (G7) auf, "neue verheerende" Sanktionen zu verhängen.

Russland dementierte die Tötung von Zivilisten. "Während der Zeit, in der diese Ortschaft unter der Kontrolle der russischen Streitkräfte stand, ist kein einziger Einwohner Opfer von Gewalttaten geworden", erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau. Die Fotos und Videos von Leichen in den Straßen von Butscha seien "eine weitere Produktion des Kiewer Regimes für die westlichen Medien".

Michel und Baerbock wollen Sanktionen erweitern

EU-Ratspräsident Michel kündigte an, angesichts der "erschütternden Bilder" aus Butscha den wirtschaftlichen Druck auf Russland weiter erhöhen zu wollen. "Weitere EU-Sanktionen und Unterstützung sind auf dem Weg", schrieb er bei Twitter.

Außenministerin Baerbock schrieb bei Twitter, die Bilder aus Butscha seien "unerträglich". Wladimir Putins "hemmungslose Gewalt löscht unschuldige Familien aus und kennt keine Grenzen", erklärte sie weiter. Die Verantwortlichen für diese Kriegsverbrechen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. "Wir werden die Sanktionen gegen Russland verschärfen und die Ukraine noch stärker bei ihrer Verteidigung unterstützen", versprach Baerbock.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) schloss einen Stopp russischer Gaslieferungen nicht aus. "Es muss eine Reaktion geben. Solche Verbrechen dürfen nicht unbeantwortet bleiben", sagte sie der ARD. Im Kreise der EU-Minister müsse ein Stopp der Gaslieferungen "miteinander besprochen werden".

Verteidigungsministerin Lambrecht
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Verteidigungsministerin Lambrecht

Blinken: "Schlag in die Magengrube"

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell twitterte, er sei über die Berichte über Gräueltaten der russischen Truppen "schockiert". Sie müssten vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) aufgeklärt werden.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte dem US-Sender CNN: "Es handelt sich um eine Brutalität gegen Zivilisten, wie wir sie in Europa seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben, und das ist entsetzlich und absolut inakzeptabel."

US-Außenminister Antony Blinken sprach von "einem Schlag in die Magengrube" angesichts der Bilder aus Butscha. "Das ist die Realität dessen, was jeden einzelnen Tag passiert, solange die russische Brutalität gegen die Ukraine anhält", sagte er CNN.

Die britische Außenministerin Liz Truss sprach von "empörenden Taten" und forderte, dass "wahllose Angriffe gegen unschuldige Zivilisten während Russlands illegaler und ungerechtfertigter Invasion der Ukraine als Kriegsverbrechen untersucht werden müssen".

UN fordern "unabhängige Untersuchung"

UN-Generalsekretär António Guterres reagierte "zutiefst schockiert" auf die Bilder von getöteten Zivilisten in Butscha. Es sei "unerlässlich", dass die Verantwortlichen nach einer "unabhängigen Untersuchung zur Rechenschaft" gezogen würden.

UN-Mitarbeiter vor Ort hätten noch nicht die von den ukrainischen Behörden übermittelten Zahlen oder Informationen überprüfen können, teilte das UN-Menschenrechtsbüro in Genf mit. Da die Möglichkeit von Kriegsverbrechen bestehe, sei es wichtig, "alle Leichen zu exhumieren und zu identifizieren".

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch forderte Ermittlungen gegen die russische Armee. Dokumentierte Fälle zeigten "unaussprechliche, vorsätzliche Gräueltaten und Gewalt gegen ukrainische Zivilisten", sagte der HRW-Regionaldirektor für Europa und Zentralasien, Hugh Williamson. Gleichzeitig mahnte Human Rights Watch auch die ukrainische Armee zur Einhaltung der Menschenrechte. So gebe es Berichte und Videomaterial über mutmaßliche Misshandlungen von Kriegsgefangenen durch ukrainische Soldaten.

Die russische Armee hat sich aus der Region Kiew zurückgezogen
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Die russische Armee hat sich aus der Region Kiew zurückgezogen

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