Ein Arbeiter macht Siesta (Symbolbild)
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Bauarbeiter hält ein Schläfchen (Symbolbild)

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Siesta halten auch in Deutschland - Wäre das sinnvoll?

Die Spanier und Süditaliener machen es vor: Die heißen Mittagsstunden überbrücken sie mit einem Nickerchen. Wäre eine Siesta auch für Deutschland sinnvoll? Wo tropische Temperaturen auch hierzulande häufiger werden.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Mittags, wenn die Sonne besonders heiß vom Himmel brennt, kann man den Menschen in Südeuropa beim Herunterfahren zusehen. Ladenbesitzer lassen die Rollläden vor ihren Geschäften herab, Anwohner schließen die Jalousien vor den Fenstern. In den nächsten zwei bis drei Stunden tut sich nichts mehr, es ist Siesta. Die einzig sinnvolle Antwort auf die Hitze, möchte man meinen.

Weil auch hierzulande sommerliche Hitzewellen zunehmen, schlagen Mediziner ein ähnliches Modell für Deutschland vor. "Wir sollten uns bei Hitze an den Arbeitsweisen südlicher Länder orientieren", sagt etwa der Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Johannes Nießen, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Zustimmung erhält er von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der bezeichnet eine sommerliche Siesta für einige Berufsgruppen durchaus als "sinnvoll". Was würde das konkret bedeuten?

Siesta machen: Ab welchen Temperaturen?

Die Tradition der Siesta ist grundsätzlich nicht verkehrt, findet Ulrich Sommer, Schlafmediziner vom Klinikum rechts der Isar in München, im BR-Gespräch. "Aus schlafmedizinischer Sicht ist gegen die Siesta überhaupt nichts einzuwenden. Ob wir einmal schlafen, typischerweise nachts, so wie wir es im Norden von Europa gewohnt sind, oder zweimal pro Tag schlafen, macht eigentlich aus schlafmedizinischer Sicht keinen Unterschied." Bei starker Hitze "macht es auch von der Physiologie her Sinn, weil bei hohen Temperaturen können wir nicht gut arbeiten, da sind wir nicht so produktiv."

Aus arbeitsmedizinischer Sicht gebe es in Deutschland jedoch keine Vorgabe, ab welchen Temperaturen ein Mittagsschlaf sinnvoll ist, so Sommer. "Es kommt immer darauf an, was für Temperaturen am Arbeitsplatz herrschen." Ab 26 Grad sollte ein Arbeitgeber aktiv werden, und Maßnahmen zur Kühlung einleiten - ab 30 Grad müsse er das sogar. Das bedeutet jedoch nicht zwingend ein Anrecht auf eine Siesta: Mögliche Maßnahmen seien etwa auch, Büroräume nachts durchzulüften, Ventilatoren oder gar eine Klimaanlage zu installieren oder den Mitarbeitern kühle Getränke anzubieten.

Bräuchte es also eine deutschlandweite Regelung, ein gesetzlich vorgeschriebenes Recht auf Mittagsschlaf bei Hitze etwa? Gesundheitsminister Lauterbach sieht in der Frage nicht die Politik gefordert. "Das sollten aber Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst aushandeln", so der Minister.

Muss man überhaupt durchschlafen?

Die einen schwören auf einen gelegentlichen Powernap - die anderen fühlen sich danach noch viel matter: Das Siestamachen will gelernt sein. Schlafmediziner Sommer sieht zwei Möglichkeiten: "Die eine Möglichkeit ist, einen kurzen Schlaf zu machen, das heißt zehn bis zwölf Minuten, damit man gar nicht erst in die tieferen Schlafphasen reinkommt", so der Experte.

Andernfalls müsse man sich Zeit nehmen für einen kompletten Schlafzyklus, das heißt eine Stunde bis anderthalb. "Dann durchlaufen wir wirklich Leichtschlaf, mittleren Schlaf, Tiefschlaf, und ganz am Schluss noch einen Block Traumschlaf, wachen dann oft wieder von selbst auf und sollten im Idealfall dann auch erholt sein." Alles dazwischen sei schwierig, so Sommer. "Dann reißen wir uns mit dem Wecker aus dem Tiefschlaf raus und dann haben wir Probleme, dass wir uns matschiger fühlen, als wir vor der Siesta waren."

Was würde sich im Arbeitsalltag ändern?

Angenommen, der mittagsruhelose Deutsche darf sich ab sofort für mehrere Stunden zur Siesta zurückziehen. Was würde sich im Arbeitsalltag ändern?

In Spanien hält man in den Stunden zwischen 14 und 17 Uhr Siesta. Je nachdem, wie nahe die Menschen an ihrem Arbeitsplatz wohnen, zahlt es sich aus, dafür nach Hause zu fahren oder nicht. Besonders in den Großstädten verbringen viele die Siesta im Fitnessstudio oder bei einem langen Mittagessen. Das bedeutet allerdings auch, dass die Arbeitnehmer diese Stunden abends nachholen müssen und länger im Büro sitzen - teils bis 20 oder gar 21 Uhr. Für Eltern heißt das, dass sie abends weniger Zeit zusammen mit den Kindern verbringen können. Abendessen, Fernsehen, Beisammensein mit der Familie - all das verlagert sich in die Nacht hinein.

Längst nicht alle Spanier sind glücklich über die allgemeine Siesta. Heutzutage, wo es in vielen Büros und Geschäften Klimaanlagen gibt, ließe sich die Arbeit auch über die Mittagsstunden gut erledigen - zumindest für einige Berufsgruppen. Verbände wie etwa die gemeinnützige Organisation ARHOA setzen sich deshalb für eine "Rationalisierung der Arbeitszeit" ein und fordern flexiblere Modelle. Der Verband sieht sich als Vertreter der Arbeitnehmer und fordert etwa eine Anpassung der Arbeitszeiten an westeuropäische Standards.

Im Audio: Wie die Italiener Siesta halten

Rom im Hochsommer
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Hitze in Rom

Siesta für alle? Handelsvertreter und Lehrerverband nicht begeistert

In Deutschland hätte eine allgemeine Siesta insbesondere für den Handel weitreichende Folgen, sagt Christian Spielvogel, Bezirksgeschäftsführer des Handelsverbands, im Gespräch mit dem BR: "Wir haben hier in Bayern Öffnungszeiten von sechs bis 20 Uhr." Das sei der gesetzliche Rahmen, an den die Händler sich halten müssten. "Zweitens: In Einkaufszentren gibt es eine Anwesenheitspflicht, die besagt, dass die Geschäfte in einer gewissen Zeitphase besetzt werden müssen. Auch hier müsste man Änderungen herbeiführen, damit die Händler nicht abgestraft werden", so Spielvogel.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, hält eine Siesta an deutschen Schulen indessen nicht für nötig. Die meisten Schüler hätten ohnehin bereits Schulschluss, bevor es richtig heiß wird, so Düll. Wichtig seien aber Lüftungsanlagen, um in der Nacht die Gebäude wieder runterzukühlen.

Eine allgemeine Siesta sei für Deutschland kaum durchzusetzen, sagt auch Arbeitsmarktexperte Alexander Spermann im BR-Gespräch. Aber: "Man kann schon über eine längere Mittagspause nachdenken, es müssen ja nicht gleich drei Stunden sein." Eine höhere Produktivität bei den Arbeitnehmern sei dadurch zwar nicht zu erwarten - aber immerhin Vorteile für die Gesundheit.

Wie der Powernap in der Mittagspause doch klappt

Auch wenn in Deutschland keine allgemeine Siesta gehalten wird, kann sich niemand davon abhalten lassen, sich in der Mittagspause kurz aufs Ohr zu hauen. Einige Arbeitgeber bieten einen sogenannten Rückzugsraum an, in dem eine Couch oder ein Bett steht.

Der Blick zu den benachbarten Franzosen zeigt: Auch dort suchen die Menschen in der Mittagspause zunehmend Entspannung. In mehreren Städten gibt es bereits sogenannte Schlummercafés. Der Name ist trügerisch: Dort wird man nicht mit Kaffee oder heißer Schokolade erwartet, sondern mit Möglichkeiten zur Massage und Rückzugsorten für ein Schläfchen. Man mietet sich sozusagen ein Bett auf Zeit. Auch in Berlin gibt es bereits vereinzelt solche Angebote. Und am Münchner Flughafen laden Napcabs erschöpfte Reisende zum Erholen ein: Die abgeschlossenen kleinen Schlafkabinen bieten einen Arbeitsplatz, ein Bett und etwas Privatsphäre. Vielleicht entwickelt sich Deutschland doch noch zur Siesta-Nation.

Mit Informationen von dpa

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