Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
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Ökonom Fratzscher: Fachkräftemangel hat auch "viele gute Seiten"

Viele Unternehmen sorgen sich wegen des Fachkräftemangels. Aus der Perspektive der Beschäftigten hat er aber "viele gute Seiten", sagt DIW-Chef Fratzscher bei BR24 und verweist auf Auswahl-Möglichkeiten bei der Jobsuche und bessere Löhne.

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Die Industrie gilt nach wie vor als Taktgeber der deutschen Konjunktur. Ihr Anteil an der Wertschöpfung ist in Deutschland etwa doppelt so hoch wie in Frankreich, Großbritannien oder den USA. Aber: Die Sorgen sind groß.

Deswegen werden beim Tag der Deutschen Industrie in Berlin, organisiert vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), heute und morgen Themen wie Energiepreise, Cyber-Attacken, Unternehmensabgaben, Klimawandel, Billig-Konkurrenz und auch der Fachkräftemangel besprochen. Warum Letzterer auch eine Chance sein kann, erklärt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW), im Gespräch mit BR24.

Fachkräftemangel hat "viele gute Seiten" für Beschäftigte

Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Industrie ächzen unter der Arbeitsbelastung - überall gibt es Lücken. Deutschland braucht dringend Fachkräfte um sie zu füllen. Marcel Fratzscher, Professor für Makroökonomie an der Berliner Humboldt-Universität und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW, sieht das dennoch als Chance: Zwar sei der Fachkräftemangel aus der Perspektive der Unternehmen natürlich ein riesiges Problem, so Fratzscher.

"Aus der Perspektive der Beschäftigten hat er viele gute Seiten. Weil Menschen heute viel leichter Arbeit finden können, in vielen Fällen sogar eine Auswahl haben", erklärt der Ökonom. "Fachkräftemangel heißt mehr Optionen für die Beschäftigten, bessere Arbeitsbedingungen, bessere Löhne", fügt er hinzu. Das zwinge dann gleichzeitig auch die Arbeitgeber, sich zu verändern und ihre Arbeitskräfte produktiver zu machen.

"Das größte Potenzial im Arbeitsmarkt ist die Erwerbstätigkeit von Frauen"

DIW-Präsident Fratzscher nennt flexibles Arbeiten, Wertschätzung und bessere Bezahlung als Teil der Lösung des Arbeitsmarktproblems. Viel wichtiger sei es jedoch, vorhandene Möglichkeiten zu nutzen: "Wir tun immer so, als sei der Fachkräftemangel Naturgesetz. Das ist er natürlich nicht. Das größte ungehobene Potenzial im Arbeitsmarkt ist die Erwerbstätigkeit von Frauen", sagt Fratzscher.

Würden die Randbedingungen stimmen, wären viele Frauen bereit, mehr zu arbeiten. Dazu gehörten seiner Ansicht nach Vereinbarkeit von Familien Beruf, mehr Kitas und Schulen, steuerliche Anreize und wenn beim Arbeitgeber mehr auf die Bedürfnisse eingegangen würde. Als Vorbild nennt er die Niederlande: In keinem anderen Land weltweit seien mehr Frauen in Teilzeit beschäftigt.

Definition von Wohlstand ändert sich in der jungen Generation

Immer mehr Mitarbeiter in deutschen Unternehmen fühlen sich gestresst. Sie sind mit den Führungskräften unzufrieden, und sie empfinden eine zunehmende emotionale Distanz zu ihrem Arbeitgeber. Dafür nennt Fratzscher verschiedene Gründe: "Einmal werden die Anforderungen an Beschäftigte immer höher. Man erwartet, dass man extrem flexibel ist, verschiedene Aufgaben annimmt, sehr schnell wechseln und Multitasking machen kann." Als zweiten Grund nennt er, dass es für die Menschen immer schwieriger werde "zwischen Arbeit und Privatleben zu trennen." Schuld daran sei auch die Erwartung des Arbeitgebers, ständig verfügbar sein zu müssen.

Um den Erfolg einer Generation zu messen, sei das Bruttoinlandsprodukt im Übrigen "nicht der Weisheit letzter Stein", fügt Fratzscher hinzu. Viel mehr strebe die junge Generation nach einer neuen Definition von Wohlstand. Dazu gehöre Glück, Gesundheit, Lebenszufriedenheit, sozialer und geopolitischer Frieden, sowie Klimaschutz und Nachhaltigkeit, sodass "auch künftige Generationen eine intakte Umwelt haben."

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