"Diejenigen, die diese Taten begangen haben, sollen nicht glauben, dass wir dieses Land verlassen werden. Ich lebe in diesem Land und ich gehöre hierher." Elif Kubaşık
Im Gerichtssaal ist es still als Elif Kubaşık spricht - als erste Angehörige eines NSU-Mordopfers während der Plädoyers. Sie redet türkisch, ihre Worte werden von einem Dolmetscher übersetzt. Eindringlich schildert Kubaşık, wie hilfsbereit, gastfreundlich, was für ein guter Vater ihr Mann Mehmet Kubaşık gewesen sei und wie glücklich das Familienleben - trotz eines Schlaganfalls ihres Mannes, trotz der vielen Arbeit in dem Kiosk im Dortmunder Norden, den die Kubaşıks betrieben - bis zum 4. April 2006. Dem Tag, an dem der NSU Mehmet Kubaşık in dem Kiosk regelrecht hinrichtete. "Mein Herz ist mit Mehmet begraben", sagt die Witwe und schildert, wie sehr sich danach alles veränderte, sich die Kinder zurückzogen, sie selbst unter Alpträumen und ständigen Angstzuständen litt. Und wie schwer es ihr gefallen ist, zum Prozess nach München zu kommen. Von dem Verfahren selbst ist Elif Kubaşık enttäuscht, zu viele Fragen zur NSU-Terrorserie seien nicht geklärt: Warum mein Mann? fragt sie Gab es Helfer in Dortmund? Was wusste der Staat?
Der institutionelle Rassismus der Ermittler
Fragen die auch die Angehörigen der beiden Nürnberger NSU-Mordopfer Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar umtreiben. Ihr Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler erhob erneut schwere Vorwürfe gegen die Ermittler. Der institutioneller Rassismus der Behörden habe dazu geführt, dass die Taten der NSU-Terroristen nicht aufgeklärt und weitere Morde nicht verhindert wurden.
"Wir haben hier keine Pannen, wir haben Ermittlungen, die von vornherein rassistisch eingefärbt waren, die ein türkischen Opfer nicht Opfer sein ließen. Die Hinweise auf die wirklichen Täter ignorierten, weil die nicht südländisch genug aussahen. Stattdessen wurden die Toten kriminalisiert, stattdessen wurden die Witwen kriminalisiert und die Halbwaisen." Elif Kubaşık
Wie hätten die Ermittler gehandelt, wenn die Ermordeten nicht Özüdoğru oder Yaşar geheißen hätten, sondern Müller?, fragt Rechtsanwalt Daimagüler. Hätte man die Opfer dann auch des Drogenhandels beschuldigt, hätte man die Witwen monatelang überwacht und angebliche Geliebte erfunden?
Ermittlungen bis in die Türkei, aber nicht im Neonazimilieu
Erfahrungen, die nicht nur die Angehörigen der Nürnberger NSU-Opfer machen mussten, sondern auch Elif Kubaşık - wie ihr Anwalt Carsten Ilius in seinem Plädoyer heute ausführlich schilderte: Nicht nur seien sämtliche Nachbarn befragt worden, ob das Mordopfer in Drogengeschäfte verwickelt gewesen sei oder mit der PKK zu tun gehabt habe. Die Ermittlungen seien mit größter Akribie bis in die Türkei ausgedehnt worden - mit der Folge, dass der Ruf der Ermordeten und der Hinterbliebenen bei Nachbarn und Verwandten völlig ruiniert war. Auch als die Familie von sich aus rechtsextreme Täter ins Spiel gebracht habe, blieb die Polizei stur bei ihrer Linie.
Persönliche Schuld der Angeklagten
Der institutionelle Rassismus der Ermittlungsbehörden habe dazu geführt, dass die Taten der Neonazi-Terroristen nicht aufgeklärt und weitere Morde nicht verhindert werden konnten, betont Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler. Das ändere aber nichts an der persönlichen Schuld der Angeklagten - insbesondere nicht an der von Beate Zschäpe. Ihre vor Gericht vorgetragene schriftliche Erklärung samt Entschuldigung sei völlig inakzeptabel.
"Wenn man ihrer Selbstbeschreibung folgen würde, war sie eine arme verliebte Frau, die immer zur falschen Zeit am falschen Ort war. In der Realität war sie von vornherein eine überzeugte Nationalsozialistin, Rassistin und Antisemitin. Sie wusste, was sie wollte, sie tat, was sie wollte. Sie ist keine Frau, die unter der Knute von irgendjemandem stand." Mehmet Daimagüler
Dementsprechend deutlich ist die Erklärung, die Rechtsanwalt Daimagüler im Namen seiner Mandanten persönlich an Beate Zschäpe richtet: "Wir nehmen Ihre Entschuldigung nicht an, wir verzeihen Ihnen nicht." Auch Elif Kubaşık geht hart mit Zschäpe ins Gericht. Ihre Aussage empfinde sie als ekelhaft, die Art und Weise, wie sie ihre angebliche Entschuldigung bei den NSU-Opfern formuliert habe, sei geradezu beleidigend. Es falle ihr schwer, den Anblick der Hauptangeklagten zu ertragen. Unmissverständlich macht sie klar, dass sie enttäuscht ist von Polizei, Justiz und Politik in Deutschland. Auch von der Bundeskanzlerin persönlich. Merkel habe ihr im Februar 2012 gegebenes Versprechen, die Hintergründe des NSU rückhaltlos aufzuklären, nicht gehalten.