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Andrea Nahles (M.), die neue SPD-Chefin

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Nahles bekommt ein schwaches Ergebnis nach starker Rede

Andrea Nahles ist zur neuen SPD-Chefin gewählt – sie bekam beim Parteitag in Wiesbaden aber nur zwei Drittel der Stimmen. Ein mageres Ergebnis. Applaus im Stehen gab es am Ende für einen anderen. Eine Analyse von Daniel Pokraka

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Es gab zwei Kandidatinnen. Bei den Grünen mag das normal sein, für die SPD war das neu. Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, klare Außenseiterin, bekam 172 Stimmen, Andrea Nahles 414. Das bedeutet: Nahles wurde mit 66,4 Prozent gewählt.

Das sind weniger als zwei Drittel – und ganz sicher weniger als sich Andrea Nahles erhofft hatte. Man konnte das an ihrem Gesicht ablesen. Ein Ergebnis "mit einer 7 vorne“ wäre nach Meinung prominenter Genossen in Ordnung gewesen. Aber 66,3 Prozent – das enttäuschte viele.

Viel Applaus für die Rede von Andrea Nahles

Eine Stunde früher hatte das noch ganz anders ausgesehen. Andrea Nahles hielt eine fulminante Bewerbungsrede. Emotional und eindringlich. Und erkennbar sprach sie die Themen an, die die Delegierten hören wollten. Es gab viel Applaus.

Nahles begann mit Understatement. Stellte sich vor, als wüsste das nicht jeder, als Andrea Nahles, eine Tochter, Ella, mit der sie in der Eifel wohnt. Und sie begrüßte ihre Mutter: "Hallo Mama. Auch du hast damals sicher nicht gedacht, dass ich hier heute mal stehen würde."

Katholisch, Arbeiterkind, Mädchen vom Land. Das waren die Startvoraussetzungen von Andrea Nahles. Es gehört zu den Narrativen der Sozialdemokratie, dass es die SPD war, die Kindern aus "kleinen Verhältnissen" den Zugang zu Bildung und damit den gesellschaftlichen Aufstieg ermöglichte. Diese Erzählung bediente Nahles: Dass sie kandidiert, verdanke sie ihren Eltern und dem Bildungssystem – und damit der SPD.

"Solidarität" als Schlüsselwort von Andrea Nahles

Durch Nahles' Rede zog sich der Begriff der Solidarität. Zum Beispiel: Solidarität mit Arbeitnehmern, für die kein Tarifvertrag gilt. Die jahrelang keine Lohnerhöhung bekämen, weniger Urlaub als andere, keinen Überstundenausgleich. Nahles sagte selbstkritisch: Diese Leute spürten die Solidarität der SPD nicht mehr.

Die neue Parteichefin will das ändern. Arbeitnehmer, für die kein Tarifvertrag gilt, bräuchten einen starken Arm in der Politik. Und dieser starke Arm sei die SPD: "Wer denn sonst, wenn nicht wir", rief Nahles den Delegierten zu.

Es war eine starke Rede, klug aufgebaut, und sie kam gut an bei den Genossen. Aber warum dann nur 66 Prozent Zustimmung für Nahles?

Genossen unzufrieden mit Parteiführung

Vielleicht, weil viele in der SPD mit der Parteiführung in Berlin noch etwas unzufriedener sind als man in der Hauptstadt befürchtet hatte. Weil viele der altbekannten Genossin Andrea Nahles eben keinen Neuanfang zutrauen.

Das Ventil für all diese Unzufriedenen hieß Simone Lange. Die Flensburger Oberbürgermeister distanzierte sich von Hartz IV, stellte fest, der SPD fehle es an Teamspiel, Offenheit und Glaubwürdigkeit – und pries sich selbst als "eure Alternative für eine echte Erneuerung der SPD".

Wenig Applaus für Simone Lange

Langes Rede kam aber bedeutend schlechter an als die von Nahles. Man hatte zwischenzeitlich den Eindruck, das Ganze sei für die Flensburger Oberbürgermeisterin dann doch eine Nummer zu groß. Umso bemerkenswerter, dass die Außenseiterin trotzdem mehr als ein Viertel der Delegiertenstimmen bekam.

Die neue Parteichefin Nahles erhielt dagegen weniger Stimmen als von den meisten erwartet und von vielen erhofft. Das Vertrauen des Drittels, das heute nicht für sie stimmte, wird sie sich erarbeiten müssen.

Natascha Kohnen blickt demonstrativ nach vorn

Dass auch Bayerns SPD-Chefin Natascha Kohnen mit dem Ergebnis nicht glücklich ist, darf man annehmen – allerdings kommentierte sie das Wahlergebnis trotz mehrerer Nachfragen nicht. Sie sagte, die SPD habe einen schwierigen Prozess hinter sich – aber jetzt seien alle Entscheidungen getroffen und der Blick richte sich nach vorn.

Kohnens Botschaft: Schluss mit Vergangenheitsbewältigung. Natascha Kohnen braucht von der Bundes-SPD Rückenwind – für den Landtagswahlkampf in Bayern.

Versöhnlicher Abgang für Martin Schulz

Etwas überraschend war der Auftritt von Ex-Parteichef Martin Schulz kurz vor Ende des Parteitags. Dass er sprechen würde, war bekannt, über das Thema Europa, Krieg und Frieden.

Aber wie gut Schulz‘ Rede bei den Delegierten ankam, darf dann doch als überraschend gelten. Der Ex-Parteichef wirkte aufgeräumter, selbstbewusster und überzeugender als in seiner Zeit als Vorsitzender – und bekam am Ende "Standing Ovations".