Mädchen am Beckenrand eines Schwimmbades
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Uwe Anspach

Mehr als die Hälfte aller Kinder kann am Ende der Grundschulzeit nicht sicher schwimmen.

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Keine Bäder, volle Kurse: Kritik an Schwimm-Gutscheinen

Mehr als die Hälfte aller Kinder kann am Ende der Grundschulzeit nicht sicher schwimmen. Durch die Pandemie ist der Nachholbedarf an Schwimmkursen riesig. In Bayern versucht die Politik mit Kurs-Gutscheinen gegenzusteuern. Das hilft wenig.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Im Schulschwimmbad Grafrath südlich von München sitzen 15 Kinder aufgeregt am Beckenrand. Die blauen Bahnen sind noch leer, es riecht nach Chlor. Auf diesen Moment haben die Fünf- bis Siebenjährigen lange gewartet. Endlich dürfen sie schwimmen lernen.

Schwimmlehrer Matthias Heimbach von der Schwimmschule "Flipper" rüstet sie mit Schwimmgurt und Poolnudel aus, dann geht’s auf ins Wasser. Heimbach unterrichtet derzeit rund 500 Kinder in mehreren Bädern rund um München und ist komplett ausgebucht. "Die Wartelisten sind lang, das waren sie auch vor Corona schon", sagt Heimbach. Die Corona-Situation habe die Lage noch verschlimmert, viele Kinder kämen seither nicht mehr zum Zug. "Wenn die Eltern damals schon gewartet haben, bis das Kind sechs oder sieben Jahre ist, dann waren jetzt einfach zwei Jahre Pause. Und jetzt mit den Acht- oder Neunjährigen im Kurs zu starten ist schwierig."

Eltern warten bis zu einem Jahr auf einen Schwimmkurs

Die Schwimmschule bietet fünf Termine zwischen Pfingsten und den Sommerferien an, damit die Kinder wenigstens die Grundlagen lernen. Die Eltern, die vor dem Schwimmbad in der Sonne warten, sind dankbar über jede Schwimmstunde. Teilweise haben sie bis zu einem Jahr auf diesen Kurs gewartet. Überall sind die Wartelisten lang, die Schwimmbäder ausgebucht.

In der Pandemie haben zwei ganze Jahrgänge nicht schwimmen gelernt, warnt die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, DLRG. Das sind in Bayern rund 200.000 Kinder.

Schon davor konnte mehr als die Hälfte aller Kinder am Ende der Grundschulzeit nicht sicher schwimmen, sagt Michael Förster, Sprecher der DLRG. Die DLRG hatte bereits 2017 deutschlandweit Eltern befragt, ob die Kinder ein Schwimmabzeichen haben. Ergebnis: 60 Prozent der Grundschulkinder hatte kein Schwimmabzeichen in Bronze.

Schwimmabzeichen in Bronze heißt 200 Meter am Stück schwimmen, einen Teil davon auf dem Rücken und beim Tauchen einen Gegenstand aus dem Wasser holen. Schafft ein Kind das, kann es sicher schwimmen.

Schwimmlehrerverband: Gutscheine eher kontraproduktiv

Die bayerische Politik hat zu Beginn des Schuljahrs öffentlichkeitswirksam Gutscheine verteilt. 50 Euro für Vorschulkinder und Kinder der ersten Klasse, damit sie an einem Seepferdchen-Kurs teilnehmen können. Alexander Gallitz, Vorsitzender des Deutschen Schwimmlehrerverbands, hält gar nichts davon:

"Jedem Kind einen 50 €-Gutschein zu geben, finde ich eher kontraproduktiv, denn es gibt Gegenden, wo überhaupt kein Schwimmbad vorhanden ist und die Kurse sind ohnehin schon wahnsinnig voll. Es gibt zu wenig Wasser, es gibt zu wenig Schwimmlehrer." Alexander Gallitz, Vorsitzender des Deutschen Schwimmlehrerverbands

Hinzu kommen hohe bürokratische Hürden, die Gutscheine können nicht bei allen Schwimmschulen eingelöst werden. Oder die Schwimmschulen warteten monatelang auf die Erstattung der Kosten. Auf Nachfrage bestätigt das Bayerische Innenministerium, dass bislang 22.600 Gutscheine eingelöst wurden. Nicht gerade viel bei 200.000 Kindern, die durch die Corona-Pandemie nicht schwimmen gelernt haben.

Seepferdchen-Abzeichen reicht nicht aus

Das Seepferdchen ist ein Anfänger-Abzeichen. Das Kind muss 25 Meter schwimmen können und beim Tauchen einen Gegenstand aus dem Wasser holen. Das reicht aber nicht aus, um wirklich sicher schwimmen zu können. Dafür braucht es das Bronzeabzeichen. Da sind sich alle Experten einig. Schwimmlehrer Matthias Heimbach sagt, viele Eltern würden denken, sie könnten ihr Kind mit dem Seepferdchen-Abzeichen alleine losschicken:

"Das ist megagefährlich, sich auf dieses Seepferdchen zu verlassen. 25 Meter Schwimmen muss das Kind können für das Seepferdchen und das machen die in einem Schwimmbecken, wo das Wasser ruhig ist. Wenn das Kind dann in den See geht, schwimmt es zehn Meter, dann kommt eine Welle, es erschrickt und geht unter." Matthias Heimbach, Schwimmlehrer

In keinem anderen Bundesland ertrinken mehr Menschen als in Bayern. Letztes Jahr waren es 60. Immer wieder kommt es zu Unfällen, weil Kinder, aber auch Erwachsene nicht sicher schwimmen können. Dafür braucht es mehr Schwimmkurse und auch mehr geöffnete Schwimmbäder. In Bayern ist jedes zweite Hallen- oder Freibad sanierungsbedürftig.

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