Olaf Scholz (SPD) bei der 1. Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds zum Tag der Arbeit.
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Olaf Scholz (SPD) bei der 1. Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds zum Tag der Arbeit.

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Ruf nach Entlastung: Scholz startet Aktion gegen Preissteigerung

Im Kampf gegen steigende Preise startet am Montag im Kanzleramt die "Konzertierte Aktion". Kanzler Scholz wird mit zahlreichen Forderungen konfrontiert. Er selbst verspricht für den Auftakt noch nicht viel.

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Mit der sogenannten "Konzertierten Aktion" will Kanzler Olaf Scholz (SPD) Lösungen für die derzeit hohen Preissteigerungen und Belastungen für die Bürger finden. Start der Auftaktsitzung mit Vertretern der Arbeitgeber, der Gewerkschaften und der Politik ist an diesem Montagnachmittag. Kurz vorher werden Rufe nach zusätzlichen Entlastungen laut.

Konkrete Ergebnisse sollen aber erst im Herbst vorliegen. Das kündigte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin an. Dem Auftakttreffen im Kanzleramt werde eine ganze Reihe von weiteren Treffen folgen. "Wir reden über eine lange Strecke", sagte Hebestreit. Aber: "Das soll jetzt keine Dauereinrichtung sein, in der sich alle gesellschaftlichen Gruppen zum Gespräch mit der Bundesregierung versammeln."

Seitens der Regierung seien neben Scholz auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Finanzminister Christian Lindner (FDP), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sowie Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) dabei.

"Konzertierte Aktion": Ziele von Kanzler Scholz

Scholz macht sich große Sorgen über die steigenden Energiepreise, wie er am Sonntag in einem ARD-Interview sagte. "Wenn plötzlich die Heizrechnung um ein paar hundert Euro steigt, dann ist das eine Summe, die viele nicht wirklich bewältigen können. Das ist sozialer Sprengstoff." Der Kanzler strebt mit der "Konzertierten Aktion" einen längerfristigen Prozess an. Beobachter erwarten, dass entscheidende Runden erst nach der Sommerpause folgen - wenn das tatsächliche Ausmaß der Energie- und Preiskrise klarer wird.

Das drängendste Problem ist derzeit der Gaspreis. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte vor einer Preisexplosion bei Stadtwerken, falls Russland den Gashahn zudreht und große Versorger weiter in Not geraten. Die größten Herausforderungen bei den Preisen insgesamt aber - so sagte es Scholz - folge erst im nächsten Jahr.

Aktion mit historischem Vorbild

Die Aktion hat ein historisches Vorbild: 1967 gab es den ersten Abschwung im Wirtschaftswunderland Deutschland. Der damalige SPD-Wirtschaftsminister, Karl Schiller, wollte deshalb die Anti-Krisenpolitik in einer "Konzertierten Aktion" mit Arbeitgebern und Gewerkschaften abstimmen.

Der Staat wollte also mit eigenen Maßnahmen Preisentwicklung und Wirtschaft beeinflussen. Konsens mit den Sozialpartnern sollte in der Sache helfen - und Demokratie und Gemeinsinn festigen. Das will auch Scholz. Sein Motto: "Wir müssen uns unterhaken und zusammenhalten."

Forderungen der Gewerkschaften

Die Liste an Forderungen ist lang. DGB-Chefin Yasmin Fahimi machte sich am Sonntag für eine Preisgarantie bezüglich eines Grundbedarfs an Strom und Gas stark. Der "Bild am Sonntag" sagte sie, der Grundbedarf solle für jeden Erwachsenen und jedes Kind im Vorhinein festgelegt werden.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann möchte die Erwartungshaltung an das erste Treffen aber nicht zu hoch hängen. "Wenn wir zu einem Grundverständnis für die jeweils andere Seite kommen würden, wäre das schon viel wert", sagte er den Zeitungen der "Funke Mediengruppe". Eine klare Absage erteilte Hofmann einer Lohnmoderation durch die Ampelkoalition: "Ob die Tariferhöhung über eine Einmalzahlung oder eine Tabellenerhöhung zwischen den Tarifparteien verhandelt wird - das sollte man aber denen überlassen, die am Verhandlungstisch sitzen. Wir brauchen keine Ratschläge für tarifpolitisches Handeln." Gut sei, wenn es der Gesetzgeber ermögliche, dass bei den Beschäftigten mehr Netto vom Brutto bleibe.

Grundsätzlich wehren sich die Gewerkschaften gegen die Vorstellung, Preissteigerungen würden durch höhere Löhne angeheizt. So sagte Verdi-Chef Frank Werneke: "Dauerhaft steigende Preise müssen durch dauerhaft wirkende Tariflohnsteigerungen vollumfänglich ausgeglichen werden." Das gelte in der Folge auch für Rentenanpassungen und den Mindestlohn. Bei den Entlastungen müsse nachgeliefert werden.

Arbeitgeber und Gewerkschaften in Bayern sehen Treffen als "positives Signal"

Gewerkschaften und Arbeitgeber in Bayern bewerteten die "konzertierte Aktion" als positives Signal und sprachen sich vor dem Treffen im Kanzleramt gegen eine steuerfreie Einmalzahlung an die Beschäftigten aus. Im Bayerischen Rundfunk sagte der Chef des DGB Bayern, Bernhard Stiedl, es sei nicht der richtige Weg, durch Einmalzahlungen die anstehenden Tarifrunden zu lösen. "Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwarten zu Recht, dass es jetzt kräftige Lohnerhöhungen gibt, weil auch die Preise sehr hoch sind", sagte Stiedl. Lohnerhöhungen seien nötig, um die Nachfrage zu stärken und eine wirtschaftliche Rezession zu vermeiden, so Stiedl - und es seien nicht steigende Löhne, die derzeit die Inflation antrieben.

Auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, betonte, Tarifpolitik sei "Sache der Tarifvertragsparteien, wenn am Ende eine Einmalzahlung herauskommt, dann ist das so." Brossardt, sprach sich jedoch gegen hohe Lohnforderungen aus und bezeichnete die acht Prozent Forderung der IG Metall als "völlig aus der Zeit gefallen". Gewinne von Unternehmen stabilisierten die Wirtschaft und seien Voraussetzung für notwendige Investitionen. Um die hohe Inflation zu senken, müssen nach Einschätzung von Brossardt "zunächst die hohen Energiekosten gesenkt werden."

Grüne für Umverteilung, FDP gegen mehr Ausgaben

Doch der Kanzler zeigte sich bereits zurückhaltend. Scholz wies auf die bisherigen Entlastungsmaßnahmen in Höhe von 30 Milliarden Euro hin. "Gerade in diesem Augenblick werden alle diese Maßnahmen ausgerollt", sagte er. "Das wird jetzt nicht gehen, indem man ein 30-Milliarden-Euro-Paket beschließt (...) und dann diskutieren wir schon wieder die nächsten."

Die Grünen fordern, Grundsicherungsbeziehende und generell kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch hat dafür einen Beitrag durch die besonders Wohlhabenden ins Spiel gebracht. Finanzminister Christian Lindner (FDP) lehnt mehr Schulden und höhere Steuern aber ab. Dies "wäre toxisch und ein Verarmungsprogramm", sagte der FDP-Chef der Nachrichtenagentur dpa. Auch massive Erhöhungen der Staatsausgaben kommen für ihn nicht infrage. Ein weiteres Entlastungspaket sieht Lindner erst im kommenden Jahr wieder.

Unterschiedliche Akzente der Ökonomen

"Nur höhere Löhne und Sozialleistungen können nachhaltig den Schaden für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen kompensieren", sagte derweil der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, der dpa.

Der Wirtschaftsweise Achim Truger sagte der "Mediengruppe Bayern" hingegen, es sollte keine übermäßigen Lohnsteigerungen geben. "Grundsätzlich wäre es auch möglich, durch befristete Energiesteuersenkungen oder Preisdeckel die Inflation zu dämpfen", so Truger. "Das wäre aber kontraproduktiv, weil dadurch die aktuell so wichtigen Einsparanreize vermindert würden."

Soziales Klimageld, Senkung der Mehrwertsteuer, Preisdeckel

Hinzu kommen zahlreiche weitere Vorschläge: Das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene soziale Klimageld dürfte bei der "Konzertierten Aktion" wieder auf den Tisch kommen. Einmal im Jahr soll dem Vorschlag zufolge so ein Klimageld gezahlt werden - für Alleinstehende, die weniger als 4.000 Euro brutto im Monat verdienen, und für Verheiratete mit zusammen weniger als 8.000 Euro.

Der CDU-Sozialflügel forderte eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Die neuen Linke-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan verlangten in der "Süddeutschen Zeitung" einen Preisdeckel für Grundnahrungsmittel.

Union äußert Zweifel an "Konzertierter Aktion"

Die Union äußerte im Vorfeld schon Zweifel an der Wirksamkeit der Beratungen. Es könne bei den Gesprächen nur darum gehen, "ein gemeinsames Verständnis für die Probleme zu bekommen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), am Montag im ARD-"Morgenmagazin". "Das ist in Ordnung, ersetzt aber nicht Regierungspolitik."

Die erste Auflage 1967 habe nicht gegen die Inflation gewirkt, "weil wir nach drei Jahren eine Verdoppelung und nach sechs Jahren gar eine Verdreifachung der Inflation hatten", fügte Frei hinzu. "Insofern darf man durchaus skeptisch sein."

Mit Material von dpa, epd und AFP.

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