Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Freisinger Bischofskonferenz und Erzbischof von München und Freising
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Kardinal Marx begrüßt Segnung gleichgeschlechtlicher Paare

Kampf um die Deutungshoheit: Nach der Entscheidung des Vatikans, homosexuelle Paare zu segnen, sind die einen "hemmungslos begeistert", die anderen sprechen von "an Naivität grenzendem Optimismus". Kardinal Marx findet: Es ist ein Schritt nach vorne.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx war nach eigenen Worten über die jüngste Vatikan-Erklärung zur Segnung homosexueller und wiederverheirateter Paare schon ein bisschen überrascht. Er habe so schnell nicht erwartet, "dass so ein Signal kommt", sagte Marx am Dienstag im Münchner Presseclub.

Zwar sei der Text und die darin enthaltene Rede von 'irregulären Beziehungen' "ein bisschen eiern" und die Wortwahl sei auch nicht ganz glücklich, es sei aber ein Schritt voran, so der Erzbischof. Bei römischen Texten werde immer versucht, die Kontinuität herauszuarbeiten. Man wolle nicht den Anschein erwecken, dass frühere Verfasser im Irrtum gewesen seien. Aber wer die jetzige Erklärung lese, merke, das klappe nicht immer.

Kardinal Marx: "Für manche in der Weltkirche ist das gewaltig"

"Für uns mag das nur ein kleiner Schritt sein", erklärte Marx weiter. "Aber für manche in der Weltkirche ist das gewaltig, das so zu hören, dass das möglich sein soll. In Afrika werden da einige mit dem Kopf schütteln." Die Ausführungsbestimmungen zum römischen Beschluss müsse jetzt jede Kultur für sich gestalten, ergänzte der Kardinal. "Für uns ist es nichts Neues. Da sind wir schon dran." Leitlinien würden bereits erarbeitet, um sie den Seelsorgerinnen und Seelsorgern an die Hand zu geben.

Weiter verriet Marx, dass er dem Papst 2021, nachdem zu der gleichen Thematik eine ablehnende Antwort aus dem Vatikan gekommen war, gesagt habe, dass das so nicht gehe. Seinen Worten nach soll auch Franziskus über das damalige Schreiben nicht glücklich gewesen sein. "Was jetzt kommt, ist durchaus in seinem Sinne", bekräftigte der Kardinal.

Bischof Bätzing: Schritt des Papstes ist zeitgemäße Seelsorge

Bereits am Montag hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Georg Bätzing, das Schreiben begrüßt. Für ihn sei der jetzige Schritt des Papstes die konsequente Umsetzung zeitgemäßer Seelsorge, sagte er im SWR.

Dass der Papst jetzt die deutsche Forderung nach einer Segnung homosexueller Paare befürwortet, darf Bätzing auch als persönlichen Erfolg ansehen. Denn er hatte sich nicht nur für dieses Anliegen stark gemacht, sondern auch, wie zahlreiche seiner Mitbrüder, die Hand schützend über Seelsorger gehalten, die solche Segnungen bislang schon praktiziert haben.

"Froh und überrascht" zeigte sich die Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZDK), Irme Stetter-Karp. Es sei gut, "dass die Kirche jetzt eine gewisse Beweglichkeit im Sinne der Menschenwürde beweist", so Stetter-Karp. "Katholisch sein heißt, in diesen Zeiten mit Veränderungen zu rechnen", ergänzte sie im Gespräch mit dem SWR.

"Das ist geradezu eine Zeitenwende"

Angesichts der Tatsache, dass der Vatikan die Segnung homosexueller Paare noch 2021 ausdrücklich verboten habe, sei die Nachricht aus Rom "mehr als ein Paukenschlag", sagte der Münchner Priester Wolfgang Rothe in einer ersten Reaktion auf BR24-Anfrage. "Ich bin hemmungslos begeistert! Das ist geradezu eine Zeitenwende."

Zum ersten Mal habe der Vatikan eine Entscheidung, die er ausdrücklich getroffen habe, ebenso ausdrücklich wieder widerrufen, so Rothe, der sich schon vor etlichen Jahren als schwul geoutet hat. Mit dieser Entscheidung habe man zum jetzigen Zeitpunkt kaum rechnen können. "De facto wird das bisherige Verbot aufgehoben und in eine Erlaubnis umgewandelt."

Konservative Katholiken: "An Naivität grenzender Optimismus"

Ganz anders sehen das konservative Katholikinnen und Katholiken der Initiative "Maria 1.0". Das vatikanische Schreiben mit dem Titel "Fiducia supplicans" (deutsch: Das flehende Vertrauen) sei "ein theologisch sehr ambivalentes und mehrdeutiges sowie unpräzises Dokument, das dazu noch von einem fast schon an Naivität grenzenden Optimismus" bezüglich der Umsetzung strotze.

In ihrer Stellungnahme argumentiert die Vorsitzende der Initiative, Clara Steinbrecher, dass homosexuelle Beziehungen grundsätzlich nicht gesegnet werden könnten. "Ein frommes moralisch gutes Bemühen" sei die Bedingung für eine Wirkung des Segens, "was bei dem in sich schlechten Objekt des Segens, der schlechten Handlung, unmöglich ist".

Nächster Schritt: Weiterentwicklung der katholischen Sexualmoral?

Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler hält das jetzt erschienene vatikanische Schreiben dagegen nur für einen ersten Schritt, "aber die Arbeit geht weiter". Jeder wisse, was zu tun sei, sagte er in der Abendschau im BR Fernsehen. "Es geht um die verheirateten Priester, es geht um die Stellung der Frau, es geht um die neue Formulierung der Sexualmoral."

Auch Kardinal Marx zeigte sich überzeugt, dass sich die Lehre weiterentwickeln müsse. Irgendwann werde die Frage nach der katholischen Sexualmoral insgesamt aufkommen. Schon beim deutschen Reformprojekt Synodaler Weg sei in einem Grundtext zur Sexualität der Versuch gemacht worden, die Sexualmoral von einer Verbotsmoral in eine Beziehungsmoral zu bringen. Leider habe dieses Papier keine Zweidrittelmehrheit der Bischöfe gefunden, aber zumindest seien 60 Prozent dafür gewesen. Deshalb sei der Text nicht einfach erledigt, vielmehr müsse daran weiter gearbeitet werden, sagte der Kardinal.

Nicht alle bayerischen Bischöfe äußern sich

Nicht alle seiner Amtsbrüder sind so optimistisch wie der Münchner Erzbischof. Von den sieben bayerischen Ortsbischöfen haben sich abgesehen von Marx bisher drei weitere öffentlich zu dem Papier aus Rom geäußert. Der ernannte Bamberger Erzbischof Herwig Gössl hatte die Entscheidung bereits am Montagabend begrüßt. "Damit wird ein wichtiger Wunsch vieler Gläubiger aufgegriffen, der auch im Synodalen Weg seinen Ausdruck fand", so Gössl zur Katholischen Nachrichtenagentur (KNA).

Der Würzburger Bischof Franz Jung reagierte zurückhaltend. Er teilte am Dienstag gegenüber der KNA mit, der Beschluss versuche einen Spagat zwischen den Erfordernissen seelsorglicher Praxis und der offiziellen Lehre der Kirche. "Segenshandlungen werden demnach als Hilfe für ein besseres Leben betrachtet, um die Werte des Evangeliums mit größerer Treue leben zu können", so Jung. "Ob die Segenshandlungen innerhalb des Rahmens, den die Erklärung absteckt, der Erreichung dieses Ziels dienen, wird sich zeigen müssen."

Der Passauer Bischof Stefan Oster hofft, dass das Vatikan-Papier eine polarisierte Debatte in der katholischen Kirche befriedet. In einem am Mittwoch auf seiner Internetseite veröffentlichten Kommentar schreibt Oster, der Text könne in Deutschland und auf Ebene der Weltkirche "klärend wirken". Der Spielraum für die Seelsorge werde weiter, ohne dass an der kirchlichen Lehre etwas geändert werde.

Die entscheidende Neuerung, so der Bischof, liege in dem Verständnis dessen, was ein Segen sei. Dabei gehe es um ein Handeln außerhalb von Gottesdienst und Liturgie. Bereits ausformulierte Texte und Rituale, wie sie dazu in Deutschland schon erarbeitet worden seien, seien "ausdrücklich nicht erlaubt".

Aus den anderen bayerischen Bistümern kamen auf BR24-Anfrage mit Bitte um eine Stellungnahme bisher nur Absagen oder gar keine Antwort.

Kritik von Schwulen und Lesben: "Segen light"

Die katholische Reforminitiative "Wir sind Kirche" hat die Vatikan-Erklärung zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare grundsätzlich begrüßt. Es sei ein kleiner Schritt "in die richtige Richtung, der gleichgeschlechtlichen Paaren in ähnlicher Weise wie wiederverheirateten Paaren eine Segnung nun auch offiziell zugesteht", erklärte der Sprecher der Kirchenvolksbewegung, Christian Weisner. In der Haltung und dem Verständnis der römisch-katholischen Kirchenspitze in Bezug auf die Lebensrealität homosexueller wie auch wiederverheirateter Paare habe sich aber "nicht wirklich etwas geändert".

Ähnlich äußerten sich die Schwulen und Lesben in der katholischen Kirche in Deutschland. Das Katholische LSBT+-Komitee erklärte, Papst Franziskus und sein neuer Glaubenspräfekt Kardinal Víctor Fernández hätten "einen mutigen Schritt gemacht". "Damit holen sie durchaus erfolgreich den jahrzehntelangen Rückstand in Theologie und Seelsorge auf."

Allerdings sei bedauerlich, dass die vatikanische Erklärung an der bisherigen Lehre über die Ehe klebe. "Liebevolle Beziehungen außerhalb der lebenslangen Ehe zwischen Mann und Frau sind ihr fremd." Der nun ermöglichte Segen sei außerdem ein "Segen light", der eher im Allgemeinen zugesprochen werden könne, ähnlich einem Wallfahrts- oder Krankensegen.

"Ein Signal der Öffnung, ohne wirklich etwas zu öffnen"

Für den Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose geht die Entscheidung des Vatikans nicht weit genug. "Da sind mir zu viele ausschließende Kriterien dabei, um das als positives Signal zu sehen", sagte Hose im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk.

In der Grundsatzerklärung wird etwa betont, dass eine Verwechslung mit einer Eheschließung ausgeschlossen werden muss. Zudem darf ein Geistlicher den Segen nicht im Rahmen eines Gottesdienstes erteilen. Und: In der Erklärung wird bekräftigt, dass sexuelle Beziehungen nur innerhalb der Ehe zwischen Mann und Frau als erlaubt gelten. "Das ist natürlich unbefriedigend", sagt Hose. Es sei ein Signal der Öffnung, ohne wirklich etwas zu öffnen.

Mit Informationen von dpa, KNA und AFP

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