Plakat mit der Aufschrift "Women. Life. Freedom!" auf einer Solidaritätskundgebung mit den Protestierenden im Iran (Symbolbild)
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Plakat mit der Aufschrift "Women. Life. Freedom!" auf einer Solidaritätskundgebung mit den Protestierenden im Iran (Symbolbild)

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Iran-Kennerin Amiri glaubt nicht an Auflösung der Sittenpolizei

"Typisches Ablenkungsmanöver": Natalie Amiri, BR-Journalistin und frühere ARD-Korrespondentin im Iran, rechnet nicht mit einem ein Aus der dortigen Sittenpolizei – sondern mit noch mehr Brutalität. Derweil planen Aktivisten neue Proteste und Streiks.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Die deutsch-iranische BR-Journalistin Natalie Amiri glaubt nicht an ein Ende der Sittenpolizei im Iran. "Es ist ein typisches Ablenkungsmanöver", sagte Amiri in der radioWelt bei Bayern 2. Es handle sich um einen "Versuch des Regimes der Beschwichtigung".

Weiter machte die ehemalige Leiterin des ARD-Studios in Teheran klar: "Die Bevölkerung hat die Aussage des Generalstaatsanwalts, dass die Sittenpolizei aufgelöst sei, sowieso nicht ernst genommen." Amiri ergänzte: "Sie wissen auch, dass sie nichts davon erwarten können."

Bundesregierung: Abschaffung würde nichts am Protesten ändern

Auch nach Einschätzung der Bundesregierung würde eine Abschaffung der Sittenpolizei im Iran nichts an den Forderungen der iranischen Bevölkerung ändern. Es gehe den seit Monaten im Iran Protestierenden nicht nur um die Auflösung der Sittenpolizei oder die Abschaffung des Kopftuchzwangs, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes (AA) in Berlin. Die Menschen wollten "frei und selbstbestimmt" leben.

Es sei nun abzuwarten, wie sich diese Ankündigung auswirken werde, erklärte die AA-Sprecherin. Sie wies darauf hin, dass der Generalstaatsanwalt die Sittenpolizei nicht selbst auflösen könne. Eine offizielle Bestätigung für einen solchen Schritt sei ihr bisher nicht bekannt.

Sittenpolizei will Frauen zu bestimmter Kleidung zwingen

Seit Sonntag sorgen Meldungen für Schlagzeilen, wonach die iranische Führung die Sittenpolizei im Land auflösen will. Der iranische Generalstaatsanwalt Mohammed Dschafar Montaseri hatte die Auflösung in seiner Antwort auf eine Frage bei einer Konferenz verkündet. Darüber hinaus wurde dieser Schritt bisher aber nicht bestätigt. Die Sittenpolizei sieht sich im Iran für die Einhaltung der strengen Kleidungsvorschriften für Frauen zuständig.

Das Vorgehen der Sittenpolizei war zudem Auslöser der seit über zwei Monaten andauernden systemkritischen Aufstände in dem Land. Mitte September verhafteten die islamischen Sittenwächter die 22-jährige Mahsa Amini, weil unter ihrem Kopftuch angeblich ein paar Haarsträhnen hervorgetreten waren. Amini starb wenige Tage später im Gewahrsam der Sittenpolizei. Seitdem protestieren im Iran Menschen gegen das islamische System und dessen unzeitgemäße Vorschriften.

Amiri über Kopftuchzwang: "Grundpfeiler des Regimes"

Beobachter sind sich einig, dass das Ende der Sittenpolizei ohne eine Aufhebung des vor über 40 Jahre verhängten Kopftuchzwangs für die iranischen Frauen sinnlos wäre. "Die Auflösung der Sittenpolizei war notwendig, reicht aber nicht aus bis das Gesetz der obligatorischen Kleidervorschrift revidiert ist", kommentierte der Politologe Abbas Abdi auf Twitter.

Ein Ende des Kopftuchzwangs sieht Iran-Kennerin Amiri aber nicht: "Nein, es gehört zu den Grundpfeilern des Regimes." Selbst wenn darüber diskutiert werde, "sind da die Hardliner im System dagegen. Denn sie wissen, das wäre der Anfang vom Ende. Wenn sie das Kopftuch lockern oder es gar beseitigen, dann würde es an die Grundstatuten der Islamischen Republik gehen."

Amiri befürchtet eine weitere Zunahme der brutalen Gewalt gegen die Protestierenden, die einen "Regime-Change" wollten: "Je länger sie auf der Straße sein werden, je mehr das Regime in Bedrängnis kommt, desto brutaler wird es vorgehen. Dieses Regime wird nicht, wie es 1979 der Schah getan hat, gehen." Denn viel zu viele Menschen seien finanziell abhängig vom Regime.

Iran: Dreitägige Proteste samt Einkaufs-Boykott bis Mittwoch

Unterdessen haben Aktivisten im Iran zu neuen landesweiten Protesten und Streiks aufgerufen. Die sogenannten 14-15-16-Proteste – die Zahlen sind das Datum im persischen Kalendermonat Azar – sollen von Montag bis Mittwoch dauern und das islamische System insbesondere wirtschaftlich treffen. Daher wurden die iranischen Bürger aufgerufen, an den drei Tagen Einkäufe zu vermeiden, um jegliche Geldzirkulation im iranischen Bankensystem zu verhindern. Besonders in den wirtschaftlichen Zentren wie Basars in Großstädten sollen möglichst viele Geschäfte geschlossen bleiben.

Offenbar hängen diese Ankündigungen mit dem vermeintlichen Aus für die Sittenpolizei zusammen: Für Beobachter sind Aussagen wie die Auflösung der Sittenwächter, Versprechen im Parlament über eine Revision der Gesetze oder geplante Untersuchungsausschüsse nur der Versuch des Systems, die angespannte Lage vor den dreitägigen Protesten zu beruhigen.

Mit Informationen von dpa und AFP

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