Ein Kühlturm und Stromleitungen
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EU-Kommission will Öko-Siegel für Atomkraft durchsetzen

Atomkraft könnte in der EU bald als klimafreundlich eingestuft werden. Die Brüsseler Kommission hat ihr Vorhaben jetzt endgültig auf den Weg gebracht. Um diese Pläne noch zu ändern, müssten hohe Hürden überwunden werden.

Die Europäische Kommission bleibt dabei – trotz der Kritik aus EU-Staaten wie Deutschland: Atomkraft und Gas sollen ein Öko-Siegel bekommen. Die Brüsseler Behörde hat heute beschlossen, beide Energieträger in die entsprechende Verordnung aufzunehmen.

Atomkraftwerke können demnach als nachhaltig eingestuft werden, wenn die Anlagen neuesten Technikstandards entsprechen und ein konkreter Plan für die Entsorgung hoch radioaktiver Abfälle vorgelegt wird. Auch Gaskraftwerke sollen nach dem Vorschlag der EU-Kommission als nachhaltig eingestuft werden – vorausgesetzt, dass sie schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 auf klimafreundliche Gase wie Wasserstoff umgerüstet werden.

Taxonomie-Verordnung soll "Green Deal" voranbringen

Mithilfe der sogenannten Taxonomie-Verordnung will die Europäische Kommission ihren "Green Deal" umsetzen. Der Plan sieht vor, dass Europa bis zum Jahr 2050 klimaneutral wird – also nicht mehr Treibhausgase ausstößt als kompensiert werden kann. Dafür sind nach Einschätzung der Kommission jährliche Investitionen von 350 Milliarden Euro nötig.

Investitionen, die die Kommission mit der geänderten Verordnung erleichtern will. Diese enthält eine Liste, die Anlegern als Orientierung für Investitionen dienen soll. Ziel ist es, Geldströme in klimafreundliche Technologien zu lenken. Bisher umfasst diese Liste Energiequellen wie Wind- und Solarstrom, nun soll sie um Gas und Atomkraft erweitert werden.

  • Zum Artikel: "EU-Taxonomie - "Niemand gezwungen, in Atomkraft zu investieren""

Bundesregierung gegen Öko-Siegel für Atomkraft

Die Bundesregierung bleibt bei ihrem Nein zu den Plänen, Atomkraft mit einem Öko-Siegel zu versehen. Das machte Regierungssprecher Steffen Hebestreit kurz nach Bekanntgabe der Brüsseler Entscheidung deutlich. Die Position des Bundes sei bekannt und habe sich nicht verändert.

Was den Umgang mit Gaskraftwerken betrifft, hat die Bundesregierung allerdings sogar noch Lockerungen der Regeln durchgesetzt. Begründung: Man brauche solche Kraftwerke als Brückentechnologie, solange es noch nicht ausreichend Energie aus erneuerbaren Quellen gibt.

Grüne halten Klage gegen EU-Pläne für möglich

Innerhalb der Ampel-Koalition ist vor allem bei den Grünen der Ärger über die EU-Kommission groß. Die neue Parteichefin Ricarda Lang sieht durch die heutige Entscheidung das EU-Ökosiegel für nachhaltige Investitionen entwertet. Sie spricht von "Greenwashing" – also dem Versuch, umweltschädliche Technologien als umweltfreundlich darzustellen. Aus ihrer Sicht sollte die Koalition prüfen, welche Erfolgsaussichten eine Klage gegen die Pläne hätte.

Auch Umweltschützer kritisieren Öko-Siegel für Atomkraft

Kritik an der Brüsseler Entscheidung kommt auch von Umweltschützern. Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner, sagte dem ARD-Hauptstadtstudio, es könne nicht angehen, "dass die Europäische Kommission Atomkraft und fossilem Erdgas ein Öko-Label verpasst".

Es handele sich nicht um nachhaltige Geldanlagen, Verbraucherinnen und Verbraucher würden damit getäuscht, so Müller-Kraenner. Ziel der EU-Verordnung sei es schließlich, Milliardeninvestitionen in Zukunftstechnologien zu lenken – beispielsweise in erneuerbare Energien oder grünen Wasserstoff. Insofern sei der Vorschlag der EU-Kommission ein Rückschritt.

AfD begrüßt Pläne der EU-Kommission

Positiv reagierte die AfD-Fraktion im Bundestag auf die Brüsseler Pläne. Nach Ansicht von Fraktionsvize Norbert Kleinwächter gibt die Kommission damit grünes Licht für neue Investitionen. Die Pläne würden die Energieversorgung sichern und der Umwelt helfen. Er forderte die Bundesregierung zu einer Kehrtwende in der Energiepolitik auf.

Österreich will gegen Atomkraft-Pläne der EU klagen

Außer Deutschland haben sich auch Österreich, Luxemburg sowie Dänemark und Portugal gegen ein Öko-Siegel für die Atomkraft ausgesprochen. Die Regierung in Wien will sogar vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, um die Pläne zu stoppen. Ob sich Deutschland anschließt, ist unklar. Regierungssprecher Hebestreit sagte dazu lediglich, die Koalitionspartner würden sich den Beschluss aus Brüssel genau anschauen und dann eine gemeinsame Stellungnahme abgeben.

Frankreich unterstützt Öko-Siegel für Atomkraft

Allerdings gibt es in der EU auch Staaten, die die Pläne der Brüsseler Behörde unterstützen. Allen voran Frankreich, das den Großteil seines Stroms aus Reaktoren bezieht: Präsident Macron macht sich seit langem auf EU-Ebene für die Kernenergie stark. Aus seiner Sicht ist sie nötig, um die europäischen Klimaziele zu erreichen und Europa unabhängiger von russischen Energielieferungen zu machen.

Hohe Hürden für Scheitern der EU-Pläne

Nachdem die EU-Kommission nun ihren endgültigen Vorschlag zur Taxonomie gemacht hat, tickt die Uhr. Die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament haben höchstens sechs Monate Zeit zur Stellungnahme. Falls sie die Pläne noch ändern wollten, müssten hohe Hürden überwunden werden.

Mindestens 20 Länder müssten sich zusammentun – und zwar solche, die insgesamt 65 Prozent der europäischen Bevölkerung stellen. Das ist zurzeit nicht in Sicht. Die zweite Möglichkeit wäre, dass das EU-Parlament ein Stopp-Schild aufstellt. Allerdings müssten mehr als der Hälfte der Abgeordneten gegen die Pläne der Kommission stimmen – eine einfache Mehrheit würde nicht reichen.

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