"Bloß nicht schüchtern sein" – diese Parole hatte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron als Erfolgsrezept für den Umgang mit den Rechtspopulisten in Europa ausgegeben. Andere EU-Größen legten nach: Die Union müsse gerade jetzt beweisen, dass sie handlungsfähig sei. Nur: Genau das steht auf einmal in Frage – weil das größte EU-Land auf Dauer ohne Regierung zu bleiben droht.
"Nichthandlungsfähigkeit in Deutschland – oder präziser: beschränkte Handlungsfähigkeit – plus mögliche Neuwahlen ist wirklich ein Festival für die Europafeinde." EU-Abgeordneter Elmar Brok
Brok: Deutschlands Einfluss in Brüssel könnte schwinden
Der EU-Parlamentarier Elmar Brok ruft die Parteien in Deutschland dazu auf, sich und Europa Neuwahlen zu ersparen. Denn das würde bedeuten, dass man bis Ostern noch keine neue Regierung in Berlin habe, so der CDU-Politiker. Solange aber die nun eingetretene Krise anhalte, mahnt Brok, verliere Deutschland an Einfluss in Brüssel - und die EU insgesamt an Vertrauen.
"Wir haben jetzt mit Präsident Macron jemanden, der die Dinge vorwärts bringen will. Wenn jetzt aber der Partner Deutschland nicht vollgültig vorhanden ist, ist das auch ein Problem für die Europäische Union." EU-Abgeordneter Elmar Brok
Auch der Vorsitzende der SPD im EU-Parlament, Jens Geier, bedauert gegenüber der ARD, dass nun zunächst alle großen Projekte aufgeschoben werden müssten, die die Europäische Union vorangebracht hätten. Er gibt aber auch zu bedenken, dass mit der FDP in der Regierung viele Macron-Ideen seiner Meinung nach ebenfalls nicht hätten umgesetzt werden können.
"Mit einem Finanzminister Kubicki wäre eine Fortentwicklung der Eurozone, wie sie uns bei den Sozialdemokraten vorschwebt, höchstwahrscheinlich nicht möglich gewesen. Da ist mir eigentlich ein Stern von der Seele gefallen." Jens Geier, Vorsitzende der SPD im EU-Parlament
Kein Aufbruch in Europa?
Nun allerdings ist auch die SPD nicht bereit, in eine von Kanzlerin Merkel geführte Koalition einzutreten, um aus der Position heraus den von ihr hochgelobten Präsidenten Macron beim Umkrempeln Europas zu unterstützen.
Insgesamt droht sich nun also – ausgerechnet nach Wahlen in der stets als Hort der europäischen Stabilität geltenden Bundesrepublik – die gerade wieder aufkeimende EU-Aufbruchstimmung zu verflüchtigen.
"Nun scheint sich gegen Ende 2017 das Bild, wie sich die EU entwickeln wird in den nächsten Jahren, gerade wieder negativ einzutrüben." Politikexperte Julian Rappold vom 'European Policy Center'
Bedenkt man, dass große EU-Staaten wie Spanien wegen Katalonien oder Italien wegen ebenfalls bevorstehender Wahlen nicht auf allzu festen Füßen stehen, wiegt der "Unsicherheitsfaktor Deutschland" umso schwerer. Wenn sie nicht aufpasst, könnte der EU die von Macron beklagte Schüchternheit im Angesicht der Populisten schon bald wieder anzumerken sein.