Drei Atomkraftwerke sind in Deutschland noch am Netz.
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Atomkraftwerk Isar 2

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Energiekrise: Bleiben die deutschen Atomkraftwerke am Netz?

Die Debatte über die Nutzung der Atomenergie zieht immer größere Kreise. Die Union fordert, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Wie realistisch ist das?

Drei Atomkraftwerke sind in Deutschland noch am Netz: darunter Isar 2 im Landkreis Landshut. Alle drei Kraftwerke sollen bis zum Jahresende abgeschaltet werden. Dann wäre der 2011 beschlossene Ausstieg aus der Atomenergie vollzogen.

Verlängerung der AKW-Laufzeiten?

Wegen der steigenden Energiepreise und der angespannten Lage bei der Gasversorgung werden zunehmend Stimmen laut, die eine Verlängerung der Laufzeiten fordern. Vor allem Unionspolitiker wie CSU-Chef Markus Söder sprechen sich dafür aus. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger fordert eine Verlängerung von Isar 2.

"Die Betreiber haben uns mehrmals versichert, sie könnten mit den bestehenden Kernbrennstäben noch viele Monate weiterarbeiten. Wir müssen hier also nicht neue Brennstäbe einfliegen", sagte Aiwanger am Montag in Interviews. Der Chef der Freien Wähler ist davon überzeugt: "Wenn der politische Wille da wäre, wäre das möglich."

Lehnt die Bundesregierung eine Verlängerung der Atomkraftwerke aus ideologischen Gründen ab, wie von Aiwanger und Unionspolitikern kritisiert wird?

  • Zum Artikel: Atomkraft, Fracking & Co: Söders Kurswechsel in Sachen Energie

Atomenergie: Drei Szenarien wurden untersucht

Robert Habeck, Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister, weist diese Vorwürfe von sich. "Ideologiefrei fachlich" seien schon vor Monaten verschiedene Szenarien geprüft worden. Und zwar: Eine Verlängerung der Laufzeiten um wenige Monate über den kommenden Winter, der Weiterbetrieb der Anlagen über einen Zeitraum von bis zu acht Jahren und eine Wiederinbetriebnahme bereits abgeschalteter Kraftwerke.

Habeck sieht ein Sicherheitsrisiko

Die Ergebnisse lägen für jeden einsehbar vor, erklärt Minister Habeck. Laut dem Grünen-Politiker spricht eine ganze Reihe von Gründen gegen eine Verlängerung der drei Atomkraftwerke. Dabei geht es beispielsweise um das Thema Sicherheit: Alle zehn Jahre müssen nach internationalen Standards umfangreiche Sicherheitsüberprüfungen an den Anlagen durchgeführt werden. 2019 hätten diese zuletzt stattfinden müssen.

Doch die Untersuchungen wurden mit Blick auf das Betriebsende 2022 nicht durchgeführt. Die Kraftwerke ohne ausführliche Sicherheitschecks, mögliche Nachrüstungen und Investitionen weiterlaufen zu lassen, "würde mit der bisherigen deutschen Sicherheitsphilosophie beim Betrieb der Atomkraftwerke brechen", heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium.

Es gibt aktuell keine neuen Brennstäbe

Ein weiterer wichtiger Einwand sind die Brennelemente. Wie lange können die bisherigen Brennstäbe noch eingesetzt werden? Die Kraftwerksbetreiber bereiten sich seit elf Jahren auf das Abschaltdatum Ende des Jahres vor. Bis dahin seien die Brennelemente in den Anlagen abgebrannt, heißt es in einem Prüfbericht des Bundeswirtschafts- und Umweltministeriums.

Zwar könnte man die Brennelemente langsamer "abbrennen", um die Anlagen etwa 80 Tage länger laufen zu lassen. Die Kraftwerke müssten dann aber in den nächsten Monaten weniger Strom produzieren. Unterm Strich würde zwischen heute und dem März 2023 also nicht mehr Strom produziert werden können. "Der Netto-Effekt wäre null", heißt es im Bericht. Nach diesen Informationen scheint der Vorschlag des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger, Isar 2 über den Winter weiterlaufen zu lassen, wenig zu bringen.

Die Kraftwerksbetreiber verfügen über keine frischen Brennelemente mehr. Die Produktion von neuen dauert zwölf bis 15 Monate, bestätigen Branchenexperten. Bei sofortiger Bestellung und beschleunigter Abwicklung könnten neue Brennstäbe frühestens im Sommer, vermutlich eher im Herbst 2023 einsatzbereit sein.

Kraftwerksbetreiber winken öffentlich ab

Mehrere Kraftwerksbetreiber haben in der Debatte um eine Verlängerung der Anlagen schon vor Wochen abgewunken. Eon-Chef Leonhard Birnbaum sagte beispielsweise in der "Financial Times": "Atomkraft hat in Deutschland keine Zukunft. Punkt." Eon ist der Betreiber von Isar 2.

Das Unternehmen wies schon Anfang des Jahres darauf hin, dass neben Brennstäben auch das erforderliche Fachpersonal für einen Weiterbetrieb des Kraftwerks fehle. RWE, Betreiber des Kraftwerkes im Emsland, erläutert: "Ein Weiterbetrieb über den 31.12.22 hinaus wäre mit hohen Hürden technischer als auch genehmigungsrechtlicher Natur verbunden." Und das Risiko über die Sicherheit der Anlagen wollen die Betreiber nicht übernehmen.

Zudem rechnet Eon-Manager Birnbaum bei einer Laufzeitverlängerung lediglich mit einer kleinen Erleichterung bei der Stromerzeugung. Die angespannte Lage in der Gas-Krise würde dies nicht wirklich verändern, sagte er.

Wirtschaftsministerium: Atomenergie geringer Anteil an Stromerzeugung

Denn die hohe Abhängigkeit von russischem Gas besteht vor allem in den Bereichen der Wärmeerzeugung und der Industrie. Hier spielen die Atomkraftwerke keine Rolle, unterstreicht das Bundeswirtschaftsministerium. Die drei noch laufenden Kraftwerke machten jährlich lediglich etwa fünf Prozent an der deutschen Stromproduktion aus. Das Ministerium kommt zu dem Fazit: Eine Verlängerung der Atomkraftwerke könnte "kaum einen Betrag zur Erhöhung der Unabhängigkeit von russischen Gasimporten leisten".

Der Umweltökonom Andreas Löschel von der Ruhr-Universität Bochum kommt zu einem ähnlichen Ergebnis und erläutert in der ARD: "Wir haben etwa zehn Gigawatt Kohlekraftwerke in den Reserven. Wir haben Pläne zur Stilllegung von Kohlekraftwerken von fünf Gigawatt. Das heißt, wir haben wirklich eine große Manövriermasse, die wir jetzt aktivieren können. Das macht viel mehr aus als die drei Kernkraftwerke, die augenblicklich zur Disposition stehen."

Umweltschützer warnen vor Renaissance der Atomenergie

Umweltverbände und Bürgerinitiativen warnen vor einer längeren Nutzung der Atomkraftwerke – trotz des hohen Co2-Ausstoßes beim Einsatz der Kohlekraftwerke. Die Atomenergie sei keine Lösung in der aktuellen Energiekrise. Sie sei zu teuer und zu gefährlich.

Horst Hamm, Vorstand der "Nuclear Free Future Foundation", unterstreicht: Der Abbau von Uran zerstöre überall die Lebensgrundlagen der dort lebenden Menschen. Zurück blieben radioaktive und toxische Halden, um die sich kaum jemand kümmere. Zudem werde Uran zum großen Teil in autoritären Staaten wie Russland, Kasachstan und China abgebaut.

Hohe Abhängigkeit von Russland

Bezüglich der Abhängigkeit von Russland käme man also vom Regen in die Taufe. Die Einfuhrstatistiken der Europäischen Versorgungsagentur ESA zeigen nämlich, dass rund 20 Prozent des für den Betrieb der Kraftwerke in der Europäischen Union benötigten Urans aus Russland und dem mit Russland verbündeten Kasachstan geliefert wurden, meldet das Bundesumweltministeriums.

Streit in der Ampel-Koalition?

Aber nicht nur aus den Reihen der Union und der Freien Wähler kommen Rufe nach einer Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke. Die FDP scheint zu diesem Thema in der Regierungskoalition einen Streit anzuzetteln.

Parteichef Christian Lindner sagte in einer Rede vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie: Es gehe nicht um einen Winter, der überbrückt werden müsse, sondern um drei bis fünf Jahre der Sicherung der Energieversorgung in Deutschland. Noch so viele Flüssiggasterminals würden diese Knappheit nicht beseitigen. "Deshalb bin ich für eine offene, unideologische Debatte darüber, ob wir übergangsweise auch die Nuklearkapazitäten in unserem Land erhalten", so Lindner. Und Fraktionschef Christian Dürr ergänzt: "Versorgungslücken können wir nicht akzeptieren." Kernenergie müsse eine Option bleiben.

Erst gestern hatten die Parteispitzen von SPD und Grünen ihr Nein zur weiteren Nutzung der Atomenergie betont. Und Bundeskanzler Olaf Scholz sagte: "Wenn es problemlos möglich wäre, die Laufzeit um ein oder zwei Jahre zu verlängern, würde sich jetzt wohl kaum jemand dagegen stellen." Das sei aber nicht der Fall.

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