Franziska Giffey (SPD), Bundesfamilienministerin, spricht bei der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag.
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Bundesfamilienministerin Giffey hat den Gesetzentwurf, der die Anzahl von Frauen in Vorständen erhöhen soll, maßgeblich mit vorangetrieben.

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Debatte über Pflicht-Frauenquote: "Kampf dem Thomas-Prinzip"

Politiker von Union und SPD preisen ihn als "großen" oder gar "historischen" Schritt - die Opposition sieht nur einen "Fortschritt mit Handbremse": Im Bundestag wurde am Donnerstag heftig über eine mögliche Frauenquote für Vorstände debattiert.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Nach dem Willen der großen Koalition sollen Frauen in den Vorständen deutscher Unternehmen endlich "die gläserne Decke durchbrechen". Bedeutet: In Konzernvorständen muss zukünftig mindestens eine Frau dabei sein. Der Entwurf für ein entsprechendes Gesetz wurde am Donnerstag im Bundestag diskutiert.

Union und SPD: Gesetzentwurf als "großer Schritt"

Als "historischen Schritt" bezeichnet etwa die saarländische SPD-Abgeordnete Josephine Ortleb das, was von der Bundesregierung auf den Weg gebracht werde. Es solle eine "neue Realität" schaffen. Eine Realität, bei der Frauen ganz selbstverständlich in Unternehmen mit verhandeln und "nicht als Belastung gesehen würden".

Ebenso nennt auch Nadine Schön, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union für den Bereich Frauen (u.a.), den Entwurf einen "großen Schritt" - räumt jedoch ein, dass durch das Gesetz das eigentliche Problem noch nicht gelöst werde. Dafür brauche es kulturelle und strukturelle Änderungen. Schön nennt es den Kampf gegen das "Thomas-Prinzip". Das bedeute, dass man automatisch Menschen um sich schare oder ihnen Karrierewege eröffne, die einem ähnlich seien, so Schön. Dies sei nachgewiesen.

Es könne also nicht gut sein, dass maßgebliche Entscheidungen in Unternehmen nur von einer Hälfte der Bevölkerung getroffen würden. Es gebe hochqualifizierte Frauen und diese müssten sichtbar gemacht werden.

Bernstein: Haben es echt "mit Freiwilligkeit probiert"

Kritischer zeigt sich Schöns Parteikollegin Melanie Bernstein: Sie sei nie eine Freundin der festen Quote gewesen, gibt sie zu - doch die Zahlen in den Vorständen sprächen für sich. "Wir haben es echt mit der Freiwilligkeit probiert", so Bernstein. Aber wenn die milderen Mittel nicht erfolgreich seien, müsse der Staat eingreifen. Der Gesetzentwurf sei nicht perfekt, räumt die Politikerin abermals ein - vor allem beim Thema Mutterschutz bestehe noch Diskussionsbedarf.

Vorhaben der Regierung laut Grünen "Symbolpolitik"

Die Opposition im Bundestag sieht den Gesetzesentwurf der Bundesregierung dagegen erwartungsgemäß kritisch. "Frauen dürfen mitmachen - aber nur ein bisschen", schimpfte etwa Ulle Schauws, die frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Das sei die Botschaft, die vom Gesetzentwurf der Bundesregierung ausgehe. Statt einer festen Quote solle es demnach nur eine Mindestbeteiligung geben. Es werde ein Gesetz für 30 Frauen gemacht - das sei "Symbolpolitik". Eine Frau im Vorstand reiche nicht, um die "verkrusteten Strukturen" von Unternehmen aufzubrechen.

FDP: Man muss nach Wurzeln des Problems suchen

Die vorgeschlagene Quote sei weder innovativ noch würde sie etwas an der bestehenden Realität ändern, meint auch die niederbayerische FDP-Politikerin Nicole Bauer. Statt in die unternehmerische Freiheit einzugreifen, müsse man sich fragen, woher das Problem, dass so wenige Frauen in deutschen Vorständen präsent seien, komme.

Die FDP-Abgeordnete forderte statt einer gesetzlichen Vorgabe Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Frauen, beispielsweise bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie lehne es ab, dass sich der Staat in die unternehmerische Freiheit einmischt.

AfD spricht von "Zwang und Repression"

Ähnlich äußerte sich der AfD-Abgeordnete Thomas Ehrhorn. Vorstände sollten durch Qualifikation ausgewählt werden und nicht durch "Zwang und Repression". Den Weg der Bundesregierung, eine Quote einführen zu wollen, nennt Ehrhorn "falsch" und spricht von "staatlichem Dirigismus".

Linke fordert Quote von 50 Prozent

Auf eine butterweiche Quote zu setzen, verändere nichts, meint auch Doris Achelwilm, Abgeordnete für die Linke. Stattdessen wolle man echte Quoten in Höhe von 50 Prozent, gemäß dem Anteil der Frauen in der Bevölkerung. Die an diesem Nachmittag oft zitierte "Gläserne Decke" nennt Achelwilm einen "viel zu freundlichen Begriff".

Was laut dem Entwurf geplant ist

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Vorstand eines börsennotierten und zugleich paritätisch mitbestimmten Unternehmens aus mehr als drei Mitgliedern, zukünftig mindestens mit einer Frau und mindestens mit einem Mann besetzt sein muss.

Zudem müsse begründet werden, wenn zukünftig für den Vorstand, die beiden obersten Führungsebenen unterhalb des Vorstands und den Aufsichtsrat festgelegt werde, dass man keine Frauen einsetzen wolle. Denn: auch dies ist möglich.

Zwar müssen sich zum Beispiel Aufsichtsräte in Deutschland seit 2016 eine Zielgröße für eine bestimmte Anzahl von Frauen in ihren Reihen setzen – aber "Null" ist als Ziel erlaubt. Was zahlreiche Unternehmen nutzen. Um dies zu verhindern, sollen laut dem Gesetzentwurf nun Berichtspflichten eingeführt und Sanktionsmechanismen verschärft werden.

Öffentlicher Dienst ebenfalls von Neuregelung betroffen

Daneben sieht der Gesetzentwurf vor, dass für Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes künftig – unabhängig von Börsennotierung oder Mitbestimmung – bereits bei mehr als zwei Mitgliedern im Geschäftsführungsorgan eine Mindestbeteiligung von einer Frau und einem Mann gelten soll. Bis 2025 sollten 50 Prozent der Vorstände paritätisch besetzt werden.

Zudem soll die fixe Mindestquote für Aufsichtsräte Anwendung finden. Außerdem plant die Bundesregierung, die Regelungen für den öffentlichen Dienst weiterzuentwickeln.

Thema sorgte für Streit in der Regierungskoalition

Der Gesetzentwurf war Anfang Januar vom Kabinett beschlossen worden, nachdem die Koalition zuvor lange darüber gestritten hatte. Insbesondere Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hatten den Prozess vorangetrieben.

Doch auch aus den Reihen der Union hatte es zuletzt Zuspruch gegeben. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte Mitte November geäußert, dass er eine Frauenquote in Vorständen von DAX-Unternehmen befürworte. Ebenso signalisierte Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU), der lange als Gegner einer gesetzlich geregelten Quote galt, dass er einem solchen Vorhaben positiv gegenüberstehe.

Frauen in Vorständen: Deutschland im EU-Vergleich weit hinten

In den Vorständen deutscher Unternehmen, die zugleich börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind, stieg laut dem Women-on-Board-Index von FidAR der Frauenanteil bis zum 6. November 2020 auf 11,5 Prozent – ausgehend von sechs Prozent im Jahr 2017, wie der BCG Gender Diversity Index im vergangenen Jahr angab.

Im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn schneidet Deutschland in diesem Zusammenhang damit jedoch schlecht ab: Unter den 27 EU-Ländern belegt die Bundesrepublik einen Platz im letzten Drittel, was die Höhe des Frauenanteils in Vorständen betrifft. Vorne liegen dagegen Lettland, Polen und Schweden mit Führungsgremien, die zu über 40 Prozent weiblich besetzt sind (Stand 2019).

Von einer künftigen Quote wären in Deutschland laut einer Auswertung von FidAR 73 Konzerne (Stand Januar 2021) betroffen, bei 32 von ihnen sitzt aktuell keine Frau im Führungsgremium. Der Gesetzentwurf muss aber nun zunächst noch das parlamentarische Verfahren durchlaufen.

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