Bildrechte: dpa-Bildfunk/Bernd von Jutrczenka

Koalitionsverhandlungen von Union und SPD

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Chaos bei der Regierungsbildung

Merkel, Seehofer und Schulz haben sich doch noch zusammengerauft. Dann folgte eine erbitterte Personaldebatte und der Abgang des scheidenden SPD-Parteichefs. Und auch in der CDU ist der Unmut groß. Nur die CSU gibt sich zufrieden. Von Nadine Bader.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Es war vor allem ein Bild, das zu Wochenbeginn in den Medien präsent war. Wartende Journalisten und Kameras in Berlin. Wahlweise vor dem Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale oder dem Pendant der CDU, dem Konrad-Adenauer-Haus. Dazu übermüdete Politiker von Union und SPD, die kurz an den Kameras vorbeihuschten und die noch bestehenden Streitpunkte – allen voran bei der Gesundheitspolitik und bei der Befristung von Arbeitsverträgen – hervor hoben, gleichzeitig aber ihren Willen zu Einigung kundtaten.

GroKo-Verhandlungen in der Verlängerung

Eigentlich war die endgültige Deadline, die sich Union und SPD selbst auferlegt hatten, am Dienstagabend erreicht. Doch für ein Scheitern der großen Koalition wollte keine der drei Parteien verantwortlich sein. Den Ansehensverlust in der Bevölkerung wollten weder die Parteispitzen von CDU, CSU noch SPD riskieren.

Die GroKo-Verhandlungen gingen also in die Verlängerung. In einer Nachtsitzung bis in den Mittwochmorgen hinein rauften sich die GroKo-Partner zusammen. Wie später zu erfahren war, ging es dabei vor allem um die Verteilung der Ministerien. Nicht um die inhaltlichen Streitthemen. Womöglich schon ein Omen für das sich anschließende Personaldebakel vor allem bei der SPD.

Durchbruch erst am Mittwoch

Am Mittwochmorgen überschlugen sich die Meldungen. Die SPD-Spitze schrieb via Whats-App an ihre Mitglieder: "Müde. Aber zufrieden. Der Vertrag steht." Und diverse Versionen von Koalitionsvertrags-Entwürfen kursierten in Berlin. Am Nachmittag traten die drei Parteichefs geeint vor die Presse. Sie präsentierten zufrieden den Koalitionsvertrag, ganze 177 Seiten lang.

Bei den großen Streitthemen, Gesundheit und Arbeitsrecht, haben sich Union und SPD auf einen Kompromiss geeinigt. Eine Kommission soll sich mit einer möglichen Angleichung der Arzt-Honorare für gesetzlich und privat Versicherte befassen, endlose Kettenbefristungen sollen abgeschafft werden.

Wer hat sich durchgesetzt?

Angela Merkel sagte, der Koalitionsvertrag sei die Grundlage für eine gute und stabile Regierung. Martin Schulz betonte, der Vertrag trage in großem Maße auch sozialdemokratische Handschrift. Und auch Horst Seehofer gab sich zufrieden. Vor allem mit dem Kompromiss, dass nicht mehr als 220.000 Flüchtlinge pro Jahr nach Deutschland kommen sollen.

"Wenn wir Bayern in besonderem Maße mit einer Sache zufrieden sind, sagen wir: Passt schon. Passt schon!" Horst Seehofer, CSU-Parteivorsitzender

Grummeln in der CDU, beste Stimmung bei der CSU

Doch schnell wurde klar: Um die große Koalition auf den Weg zu bringen, musste die CDU ganz schön Federn lassen und wichtige Schlüsselressorts abtreten. Viele in der CDU ärgert, dass die SPD das Finanzministerium für sich herausgeschlagen hat. Das Innenministerium bleibt zwar in der Hand der Union, geht aber an die CSU. Und zwar an Horst Seehofer, der es zu einer Art Superministerium umbauen und sich auch noch um die Themen Bauen, Wohnen und Heimat kümmern soll. Wenig verwunderlich also, dass die CSU am Donnerstag als erster der drei GroKo-Partner das Verhandlungsergebnis absegnete.

Bei der CDU dagegen ist der Unmut groß. Vor allem beim Wirtschaftsflügel der Partei. Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, Carsten Linnemann, befürchtet, seine Partei laufe Gefahr, Überzeugungen in der Europa- und Haushaltspolitik aufzugeben.

"Für unsere Partei könnte sich der 7. Februar 2018 als Zäsur herausstellen, als Anfang vom Ende der Volkspartei CDU." Carsten Linnemann, CDU

Die SPD zerlegt sich selbst

Doch am heftigsten wurde die Personaldebatte in der SPD geführt. Dass Martin Schulz nun doch ins Kabinett von Angela Merkel gehen und Außenminister werden wollte – alles andere als ein kluger Schachzug, fanden viele Sozialdemokraten. Denn das hatte der scheidende Parteichef eigentlich mal ausgeschlossen. Vor allem der mitgliederstarke SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen sah die Zustimmung der SPD-Basis zum Koalitionsvertrag beim Mitgliederentscheid in Gefahr.

Auch die Jusos, die weiter gegen eine GroKo mobil machen, teilten aus in Richtung Martin Schulz. Der Juso-Vorsitzende, Kevin Kühnert, der gerade seine NoGroKo-Tour gestartet hatte, sagte am Freitagmittag: "Wir sprechen im Moment über Glaubwürdigkeit in der SPD. Und das wird niemand bestreiten können: Ein Gang von Martin Schulz ins Kabinett würde weiterhin an der Glaubwürdigkeit der SPD knabbern."

Gabriel gegen Schulz

In der Öffentlichkeit wurde aber vor allem die Kritik des SPD-Politikers wahrgenommen, der Martin Schulz vor gut einem Jahr selbst zum SPD-Kanzlerkandidaten und Parteichef gekürt hatte. Sigmar Gabriel, der beliebteste Politiker Deutschlands und Noch-Außenminister rechnete mit Martin Schulz ab. Er sprach von respektlosem Umgang und beklagte in einem Zeitungsinterview, wie wenig ein gegebenes Wort noch zähle – und deutete damit an, Schulz habe ihm zugesagt, Minister bleiben zu dürfen.

Schulz verzichtet auf Regierungsamt

Am Freitagnachmittag überschlugen sich dann abermals die Meldungen. In einer knappen Pressemitteilung erklärte Martin Schulz seinen Verzicht auf ein Regierungsamt. Durch die Diskussion um seine Person sehe er ein erfolgreiches SPD-Mitgliedervotum für den Koalitionsvertrag gefährdet. Daraufhin folgte Erleichterung bei vielen Sozialdemokraten.

"Ich halte diesen Schritt tatsächlich für richtig, dass Martin Schulz jetzt sagt, er beendet diese Personaldebatten, weil ihm die Partei und die Inhalte, die erreicht wurden in den Koalitionsverhandlungen das Wichtigste sind. Es muss jetzt Ruhe in die ganze Debatte hinein, damit das Mitgliedervotum sich an der Sache orientieren kann." Natascha Kohnen, Bayerische SPD-Landesvorsitzende

Kommt jetzt die GroKo?

Auch die designierte SPD-Vorsitzende Andrea Nahles lobte den scheidenden Parteichef und zollte ihm für seinen Verzicht „höchsten Respekt und Anerkennung.“ Und SPD-Vize Ralf Stegner verlangt nach dem angekündigten Rückzug von Martin Schulz als Parteichef und seinem Verzicht auf ein Regierungsamt das Ende der Personaldiskussion.

Doch es ist noch nicht abzusehen, was das Personaldebakel bei der SPD für das Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag bedeutet und ob die SPD-Basis einer neuen großen Koalition zustimmen wird. Die CDU wird am 26. Februar auf einem Parteitag in Berlin über den mit CSU und SPD vereinbarten Koalitionsvertrag abstimmen und wohl absegnen. Dass ihre politische Zukunft dann in den Händen der SPD-Basis liegt, dürfte Angela Merkel nicht gefallen.

Personaldiskussion in der Union geht weiter

Auch in der CDU geht unterdessen die Personaldebatte weiter. Der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, fordert im Kabinett Vertreter der ostdeutschen Bundesländer. „Bayern hat zwölf Millionen Einwohner und stellt drei Minister. Die neuen Bundesländer, die 1990 hinzugekommen sind, sind 15 Millionen Einwohner und haben keinen Ressortminister“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk.