Besucher des Eritrea-Festivals halten sich auf dem Gelände vor einer Messehalle auf.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Arne Dedert

Besucher des Eritrea-Festivals halten sich auf dem Gelände vor einer Messehalle auf.

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Nach Ausschreitungen: Ruhige Lage bei Eritrea-Festival in Gießen

Nach Ausschreitungen mit 28 verletzten Polizisten rund um das Eritrea-Festival am Samstag ist es am Sonntag in Gießen ruhig geblieben. Der Oberbürgermeister der Stadt fordert eine Aufarbeitung: "Die Bilder, die um die Welt gingen, sind unerträglich."

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Am Samstag war es beim Eritrea-Festival im hessischen Gießen zu schweren Ausschreitungen gekommen. Nach Darstellung der Polizei wurden Beamte mit Steinen und Flaschen beworfen, 28 von ihnen trugen Verletzungen davon.

Am Sonntag blieb es zunächst ruhig. Ein Polizeisprecher sagte, trotzdem bleibe die Polizei mit Hunderten Kräften vor Ort, "so lange es nötig ist". Am frühen Nachmittag hatten zahlreiche Besucher das Festivalgelände verlassen, ohne dass es dort zu Protesten gekommen war.

Platzwunden und Bänderrisse bei Polizeibeamten

Gegner des Festivals hatten am Samstag Polizisten angegriffen und unter anderem versucht, auf das Festivalgelände zu gelangen. Laut Polizei kam es zu Stein- und Flaschenwürfen, Schlägereien sowie entzündeten Rauchbomben, Einreißen von Absperrzäunen und Versuchen, polizeiliche Absperrungen zu durchbrechen. Die Polizei setzte unter anderem Schlagstöcke und Pfefferspray ein.

28 Polizisten wurden den Angaben nach verletzt. Es habe sich überwiegend um Platzwunden, Bänderrisse oder Zerrungen gehandelt. Der Polizei lagen keine Erkenntnisse über unbeteiligte Verletzte oder Schwerverletzte in den Reihen der Festivalgegner vor.

Rund 100 Personen in Gewahrsam

Insgesamt seien 100 Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Körperverletzung und schwerem Landfriedensbruch eingeleitet worden. Die Polizisten hätten am Samstag mehr als 400 Personen kontrolliert und gegen einen großen Teil von ihnen Platzverweise verhängt. Rund 100 Personen seien in Gewahrsam genommen worden, die zum Teil aus dem europäischen Ausland angereist seien. Nach bisherigen Erkenntnissen seien keine Unbeteiligten verletzt worden, teilte das Polizeipräsidium am Abend mit.

Vorwurf der Regierungspropaganda zurückgewiesen

Seit der Unabhängigkeit Eritreas von Äthiopien vor rund 30 Jahren regiert Präsident Isayas Afewerki das Land mit einer Übergangsregierung. International geriet Afewerki zuletzt in die Kritik, da die eritreische Armee mehreren UN-Berichten zufolge im äthiopischen Bürgerkrieg bis November 2022 an der Seite der äthiopischen Zentralregierung schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben soll. Zudem sind in dem Land viele Freiheitsrechte weitgehend eingeschränkt. Gegner des Regimes halten das Kulturfestival für eine Propagandaveranstaltung der eritreischen Regierung.

Der Veranstalter des Festivals bestritt jedoch, dass auf der Veranstaltung Propaganda für die Regierung des ostafrikanischen Landes verbreitet werde. Dieser Vorwurf sei völlig haltlos, sagte Oton Johannys Russom vom Vorstand des Zentralrats der Eritreer in Deutschland. Auch die Behauptung, Generäle würden bei dem Festival auftreten, stimme nicht. "Das sind keine Generäle, das sind normale Menschen aus Eritrea. Warum sollten hier Generäle kommen?"

Das Festival bestehe aus kulturellen Veranstaltungen wie Musik und Literatur. "Das ist ein Begegnungszentrum für alle Eritreer, die ihre Erfahrungen austauschen", sagte Russom. Die Eritreer seien seit den 1980er-Jahren eine große Gemeinde in Deutschland, mittlerweile in zweiter und dritter Generation. "Wir sind ein Teil Deutschlands, wir sind Deutsche, aber wir stammen aus Eritrea." Wenn suggeriert werde, dass sie Ausländer seien, sei dies struktureller Rassismus.

Gericht hatte Festival-Verbot der Stadt gekippt

Die Veranstaltung begann am Samstag und geht über zwei Tage. Die Stadt Gießen wollte das Festival verbieten, da es bereits bei der vorherigen Auflage vor einem Jahr zu Gewaltausbrüchen gekommen war. Gerichte hoben das Verbot jedoch wieder auf.

Gießener OB fordert Aufarbeitung

Der Gießener Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) forderte eine Aufarbeitung der Geschehnisse. "Die Bilder, die aus unserer Stadt am Wochenende durch die Welt gingen, sind unerträglich", wurde Becher am Sonntag in einer Mitteilung der Stadt zitiert. Tausende unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger seien in ihrem alltäglichen Leben mehr als einen ganzen Tag massiv eingeschränkt worden. "Man muss angesichts dessen tatsächlich die Frage stellen: Stehen diese Einschränkungen noch im richtigen Verhältnis zu dem Wunsch des Veranstalters, ein Fest zu feiern? Diese Frage gehört auf allen Ebenen - politisch wie juristisch - aufgearbeitet", erklärte das Stadtoberhaupt.

Innenminister Beuth fordert Einbestellung des eritreischen Botschafters

Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) hat die Bundesregierung nach den Ausschreitungen aufgefordert, den Botschafter des ostafrikanischen Landes einzubestellen. "Der eritreischen Regierung muss deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen", sagte Beuth am Samstag in Wiesbaden. "Unsere Polizistinnen und Polizisten sind nicht der Prellbock für Konflikte von Drittstaaten."

Aufgeheizte Stimmung in sozialen Netzwerken

Die Stimmung war auch in den sozialen Netzwerken teils aufgeheizt. Die Polizei warnte vor Falschmeldungen. Mutmaßlich wegen der heißen Temperaturen hätten mehrere Personen gesundheitliche Probleme bekommen und seien medizinisch versorgt worden, hieß es in einem Tweet. Die Beamten nahmen dabei Bezug auf einen vorher verbreiteten Appell, keine Falschmeldungen zu verbreiten, wonach angeblich ein Teilnehmer der Störaktionen getötet worden sei. Es gebe bislang keine Hinweise darauf, schrieben die Beamten. Ein Polizeisprecher sagte, dass ein Teil der im Internet kursierenden Videos, die Ausschreitungen zeigten, mutmaßlich aus dem Vorjahr stammten.

Mit Informationen von dpa und epd

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