Symbolbild: Eine Mutter mit im Rollstuhl sitzender Tochter
Bildrechte: picture alliance / dpa-tmn | Christin Klose

Pflege von Angehörigen

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Armutsrisiko Familienpflege – braucht es einen Pflegelohn?

4,3 Millionen Menschen werden zuhause gepflegt. Ein Gesetz sollte die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege verbessern. Doch bisher entfaltet es kaum Wirkung: Wer pflegt, muss häufiger als andere befürchten, arm zu werden.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Als Samuel vor sieben Jahren auf die Welt kam, ging es seiner Mutter Tanja Wenzel wie den meisten Müttern: Die heute 31-Jährige war erschöpft, aber glücklich. Samuel war ein Frühchen und bekam daher Förderung von einer Physiotherapeutin. Diese bemerkte bald Auffälligkeiten bei dem Säugling. Nach intensiven ärztlichen Untersuchungen erhielten die Eltern eine bittere Diagnose: Ihr Sohn leidet an spinaler Muskelatrophie. Die genetisch bedingte Krankheit führt dazu, dass die Muskeln sich nicht ausbilden und absterben.

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Betreuung rund um die Uhr

"Er konnte noch nie laufen, frei sitzen oder selbst den Kopf halten. Er kann die Hände bewegen, die Beine ganz leicht, inzwischen unter medikamentöser Behandlung", erzählt Tanja Wenzel. Wenn sie über ihren Sohn Samuel spricht, wird klar, dass es viel Anstrengung für sie und ihren Mann bedeutet, sich um den siebenjährigen Jungen zu kümmern.

Samuel wird zwar von einem ambulanten Pflegedienst betreut, doch auch seine Mutter widmet ihre gesamte Arbeitskraft seiner Betreuung. Ihr Mann Boris Brückner, der als studierter Betriebswirt 15 Jahre lang Projektleiter in der Metalltechnik war, musste feststellen, dass es sich kaum unter einen Hut bringen lässt, als Angestellter zu arbeiten und sich gleichzeitig intensiv um sein pflegebedürftiges Kind zu kümmern. Seit knapp zwei Jahren ist er nun selbständig. Aus "Notwehr", wie er es selbst formuliert. 

Beruf und Pflege kaum vereinbar

Seine Qualifikation sei durchaus gefragt, sagt der 39-jährige Vater. Aber er hatte mit Arbeitgebern Erlebnisse, die ihn mehr als enttäuschten. In der Theorie hieß es, man nehme Rücksicht. Die Praxis sah anders aus, berichtet er. Bevor er sich selbständig machte, hatte sich Boris Brückner auch mit dem Familienpflegezeitgesetz beschäftigt. Das ermöglicht Arbeitnehmern unter anderem, zwei Jahre lang ihre Arbeitszeit auf 15 Stunden pro Woche abzusenken. Für den entgangenen Lohn können sie ein staatliches Darlehen erhalten. Doch das sei realitätsfern, meint Samuels Vater. Denn wie sollten pflegende Eltern das Geld zurückzahlen? Dazu seien sie kaum in der Lage.

Neues Gesetz verfehlt Wirkung

Diese Frage stellen sich offenbar viele pflegende Angehörige. Seitdem das Gesetz 2015 in Kraft getreten ist, bleibt die Zahl der Anträge auf niedrigem Niveau. Zwischen 87 und 259 sind es pro Jahr. An der finanziellen Belastung, die Pflege mit sich bringt, konnte das Familienpflegezeitgesetz bislang wenig ändern. Das Armutsrisiko für pflegende Angehörige ist um ein Fünftel größer als beim Durchschnitt der Bevölkerung, so hat es das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnet.  

Sozialverbände fordern Lohnersatzleistungen

Sozialverbände wie der VdK halten dieses deutlich höhere Armutsrisiko für nicht hinnehmbar. Die VdK-Präsidentin Verena Bentele fordert daher politische Maßnahmen, die über das aktuell geltende Familienpflegezeitgesetz weit hinausgehen. Menschen müssten dafür bezahlt werden, dass sie ihre Angehörigen pflegen, findet Bentele.

Auch der unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, den die Bundesregierung eingesetzt hat, empfiehlt eine Lohnersatzleistung - eine Maßnahme, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung für wirksam erachtet. Denn sie könnte das zusätzliche Armutsrisiko beseitigen, heißt es dort.

Arbeitgeberverbände fürchten Kosten 

Die Arbeitgeberverbände, die neben Sozialverbänden und Wissenschaftlern ebenfalls in dem Beirat vertreten sind, sehen einen Pflegelohn jedoch skeptisch. Sie haben sich dagegen ausgesprochen. Denn sie fürchten, dass die Kosten dafür sehr hoch wären. Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, bringt ein weiteres Argument in die Diskussion ein: Wenn sich Arbeitnehmer vermehrt um pflegebedürftige Angehörige kümmerten, fehlten sie in den Betrieben. Bei der Arbeitskräfteknappheit sei das ein erhebliches Problem. Viele Firmen versuchten im direkten Dialog mit ihren Beschäftigten Lösungen zu finden, etwa zur Teilzeitarbeit, sagt Brossardt.

Samuels Mutter: Pflegelohn wäre Wertschätzung

Samuels Mutter, die sich gemeinsam mit ihrem Mann um ihren schwerstbehinderten Sohn kümmert, findet solche Argumente nicht überzeugend. Ihrer Ansicht nach brauchen pflegende Angehörige deutlich mehr Unterstützung - auch finanziell. "Wenn wir dafür ein Gehalt bekämen, würden nicht so viele - meistens eben Mütter, Frauen - ohne irgendeine Wertschätzung, ohne angemessene Einzahlung in die Rentenkasse, in die Sozialkassen, einfach ihr Dasein fristen", sagt sie.

Pläne der Bundesregierung bisher unklar

Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag zwar angekündigt, dass sie das Familienpflegezeitgesetz überarbeiten will. Pflegende Angehörige und Nahestehende sollen mehr Zeitsouveränität erhalten, heißt es da, auch durch eine Lohnersatzleistung bei pflegebedingten Auszeiten. Was genau geändert werden soll, bleibt allerdings bisher unklar.

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