Eine Kamera filmt das Plenum des Bundestags während einer Sitzung.
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Ändert sich das Bundestagswahlrecht? Die Koalition hat sich auf einen Gesetzesentwurf geeinigt.

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Bundestag soll kleiner werden: Entwurf für neues Wahlrecht steht

Der aufgeblähte Bundestag sorgte schon für viele Diskussionen. Nun legt die Ampelkoalition einen Entwurf für eine Wahlrechtsreform vor. Die "Ersatzstimme" ist nicht mehr vorgesehen - Überhang- und Ausgleichsmandate aber auch nicht.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

In Zukunft sollen weniger Abgeordnete im Bundestag sitzen. Um dieses Ziel zu erreichen, schrauben die Verantwortlichen in Deutschland schon länger an möglichen Maßnahmen. Nun könnte der Durchbruch gelingen: Die Ampelkoalition aus SPD, Grüne und FDP hat sich auf einen Gesetzentwurf für ein neues Bundestagswahlrecht verständigt. Er liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor.

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Ziel: Bundestag mit 598 Abgeordneten

Wie bereits angekündigt war, soll laut dem Text die Mandatszahl auf die bisherige Regelgröße von 598 festgeschrieben werden. Nicht mehr in der Vorlage enthalten ist demnach die ins Gespräch gebrachte, aber umstrittene sogenannte Ersatzstimme für Direktmandate.

Der Gesetzentwurf sei "zwischen den Koalitionsfraktionen jetzt geeint" worden, heißt es in einem Schreiben von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich an die SPD-Abgeordneten. "Mit dem Gesetzentwurf erreichen wir die drei wichtigsten Ziele: Verkleinerung des Bundestags und garantierte Größe von 598 Mandaten, der Bundestag spiegelt exakt das Wahlergebnis und Fairness gegenüber allen Parteien", sagte der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten".

Alle 299 Wahlkreise sollen laut der Vorlage erhalten bleiben. Außerdem sollen die Wähler weiterhin zwei Stimmen haben.

Überhang- und Ausgleichsmandate blähen Bundestag auf

Zuletzt wurde die Regelgröße des Bundestages mehrfach massiv überschritten, aktuell gibt es 736 Abgeordnete. Das sind 138 mehr als womöglich in Zukunft. Der Bundestag ist wegen der Überhang- und Ausgleichsmandate so aufgebläht. Überhangmandate entstehen bislang, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erringt, als ihr dort nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Diese werden durch Ausgleichsmandate für andere Parteien kompensiert.

Nun sollen die überschüssigen Wahlkreismandate nicht mehr zugeteilt werden - es soll künftig also keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben. Dies kann zur Folge haben, dass in einem Wahlkreis direkt gewählte Abgeordnete keinen Sitz im Bundestag erhalten werden.

Ersatzstimme soll doch nicht kommen

Erste Entwürfe der Ampelkoalition hatten noch eine Ersatzstimmen vorgesehen, um auf deren Grundlage den betreffenden Wahlkreis einer anderen Partei zuzusprechen. Doch daran kam viel Kritik auf. Stattdessen soll künftig der Stimmenanteil der Wahlkreisgewinner darüber entscheiden, welche Wahlkreise zugeteilt werden und welche nicht, wie Innenpolitiker Hartmann weiter erläuterte.

Neue Namen für die zwei Wählerstimmen

Auch bezüglich der Bezeichnungen soll sich etwas ändern: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die bisherige Zweitstimme, die über die Sitzverteilung entscheidet, künftig "Hauptstimme" heißen soll. Die Erststimme für die Wahlkreismandate soll dann "Wahlkreisstimme" heißen.

Über das Hauptstimmenergebnis wird berechnet, wie viele der 598 Mandate jeder Partei bundesweit zustehen und wie sich diese auf die einzelnen Landeslisten verteilen. Gewinnt eine Partei weniger Wahlkreise direkt, als ihr Mandate zustehen, werden die restlichen Mandate über die Liste verteilt. Gewinnt sie aber mehr Wahlkreise direkt, als Sitze nach dem Hauptstimmenergebnis auf sie entfallen, gehen die Kandidaten mit dem schlechtesten Wahlkreisstimmenergebnis leer aus.

Riesen-Bundestag mit hohen Kosten und schlechter Arbeitsfähigkeit

"An einer Reform des Wahlrechts führt kein Weg vorbei", zitierte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" den Grünen-Abgeordneten Till Steffen. "Hier geht es nicht nur um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments und explodierende Kosten. Es geht vielmehr auch um die Glaubwürdigkeit der Politik und die Reformfähigkeit unseres Landes", sagte er der Zeitung weiter.

Ampel will Union ins Boot holen

Der Gesetzentwurf soll dem Schreiben von Mützenich zufolge bereits am Dienstag in den Koalitionsfraktionen beraten und anschließend im Bundestag eingebracht werden. Steffen sagte, es werde im Parlament ein "möglichst breiter" Konsens angestrebt. Die Ampelfraktionen wollten daher auch noch einmal auf die Union zugehen.

Die Vorsitzenden der Ampelfraktionen schickten den Gesetzentwurf am Sonntag an CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU). "Die Fraktionen der demokratischen Mitte eint, eine massive Vergrößerung des Bundestages über seine gesetzliche Regelgröße für zukünftige Bundestagswahlen vermeiden zu wollen", heißt es in einem Schreiben. "Deshalb möchten wir für die nächste Bundestagswahl eine Lösung finden, die breit getragen werden kann."

Der Verzicht auf Überhang- und Ausgleichsmandate würde alle Parteien treffen. Bei der Bundestagswahl 2021 entfielen auf die Union 41, auf die SPD 36, auf die Grünen 24, auf die FDP 16, auf die AfD 14 und auf die Linke 7.

Wie fallen die Reaktionen aus?

Daher dürfte der Gesetzentwurf auch in den Reihen der Ampel nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen, weil sich Abgeordnete ausrechnen können, dass sie mit den neuen Regeln bei der nächsten Wahl ihr Mandat verlieren werden.

Noch größer aber dürfte der Widerstand bei der Union werden. CDU und vor allem CSU haben in den vergangenen beiden Legislaturperioden eine wirksame Wahlrechtsreform verhindert, weil sie von den geltenden Regelungen am meisten profitierten.

"Die Zeit der Ausreden für eine echte Wahlrechtsreform muss vorbei sein. Der Deutsche Bundestag muss kleiner werden", sagte am Sonntag Konstantin Kuhle, der Obmann der FDP in der Bundestags-Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit. Die Ampelfraktionen zeigten hierfür jetzt einen Weg auf und machten der Union ein konkretes Gesprächsangebot. "Wir wollen, dass eine Reform des Bundestagswahlrechts von einer breiten Mehrheit des Parlaments beschlossen wird, um die Akzeptanz des neuen Wahlrechts sicher zu stellen", betonte Kuhle.

Mit Informationen von AFP und dpa

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