Friedhof der schwäbischen Kleinstadt Illertissen
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Alte Gräber neu belebt: Ein Friedhof macht sich hübsch

Alte Grabflächen, die nicht mehr gebraucht werden, kann man mit einfachen Mitteln aufwerten. Das freut die Friedhofsbesucher und die Bienen. Die schwäbische Kleinstadt Illertissen probiert es aus. Und setzt über 11.000 Blumenzwiebeln.

Über dieses Thema berichtet: BR-Heimatspiegel am .

Knapp die Hälfte der Friedhofsflächen in Deutschland wird nicht mehr gebraucht, Tendenz steigend. Die leeren Plätze wirken meist nicht wie Freiräume, sondern wie Lücken. Für Spaziergänger verliert der Friedhof dadurch an Reiz. Damit zumindest im Frühling aus den Leerstellen Blütenteppiche werden, hat die Stadtgärtnerei in Illertissen neulich zusammen mit dem Obst- und Gartenbauverein Zwiebelblumen wie Winterlinge und Krokus gesetzt.

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Friedhöfe: einzige Orte, wo es jede Menge freie Flächen gibt

Der örtliche Friedhof hat ein Imageproblem. Die Urnenbestattung im Ruheforst und Friedwald, um nur zwei der Unternehmen zu nennen, ist im Trend, sie gilt als naturnah und zeitgemäß. Dabei wäre der kommunale Friedhof direkt am Ort. Er ist seit Jahrzehnten, manchmal auch seit Jahrhunderten bereits vorhanden, ein Geschichtenbuch mit frischer Luft und – sie dürfen eigentlich nicht fehlen – mit alten Bäumen. Fast wie ein Park.

Dazu kommt: Auch wer sich auf dem örtlichen Friedhof bestatten lässt, braucht oft kein Einzel- oder Familiengrab mehr, es reicht ein Urnenplatz. Während überall sonst die freien Flächen immer knapper werden, werden sie auf dem Friedhof also immer mehr. Ein Risiko oder eine Chance.

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Über 11.000 Blumenzwiebeln mit Auswilderungspotenzial

Eigentlich eine einfache Rechnung: Wie viele Blumenzwiebeln braucht man für rund 200 alte, mit Rasen bewachsene Grabflächen, wenn auf jeder Fläche mit dem Spaten 5 Rasenstücke ausgestochen, 10-15 Blumenzwiebeln reingelegt werden und das Rasenstück wieder eingesetzt wird? Die Antwort: Mehr als 11.000 Blumenzwiebeln.

Stadtgärtner Christian Haller und sein Team sowie 15 Obst- und Gartenbauvereinsmitglieder haben gemeinsam Hand angelegt - in Zweierteams - einer hat den Spaten gehabt, der andere die Zwiebeln. Und wie lang braucht man? Nach zwei Stunden waren alle Winterlinge, Schneeglanz, Blaustern, Krokusse und die kleinen Narzissen im Boden. Nicht durcheinander gemischt. Sondern immer feldermäßig. So dass es nächstes Frühjahr richtige Blütenteppiche gibt.

Als erstes im Februar ein großes Feld mit Winterlingen. Danach blühen die Flächen, auf denen entweder Schneeglanz, Blaustern oder Krokus und im April dann die kompakten Narzissen wachsen. Die ausgesuchten Frühlingsblüher neigen zum Auswildern, die Blütenteppiche werden im Laufe der Jahre dichter und größer. Sie bieten Honigbienen und Hummeln im Frühjahr Nektar und Pollen.

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Frühlingsblüher sind mehrheitsfähig

Die Idee dazu kommt von Bürgermeister Jürgen Eisen. Er hat ein Faible für Pflanzen, verbringt seinen Urlaub meist in Deutschland und besichtigt dabei gern Friedhöfe. lllertissen wirbt damit, "Bienenstadt" zu sein, weil hier das Bayerische Bienenmuseum sowie das Museum für Gartenkultur ist und früher die größte Bienenfarm Europas in Illertissen Bienengift für Rheuma-Medikamente erzeugt hat.

Warum dann nicht gleich Wildblumenwiesen säen auf den frei gewordenen Grabflächen? Die würden den ganzen Sommer über blühen und die Insekten ernähren. Das haben sie in Illertissen auch diskutiert – und verworfen. "Da haben wir das Problem, dass sich halt mancher aufregt, wenn das hoch wird", so der Bürgermeister. Denn Blumenwiesen sollte man ja höchstens zwei Mal im Jahr mähen. Besser nur einmal. Das passt tatsächlich nicht zum hiesigen Friedhofs-Ambiente.

Hier sind manche Gräber so aufgeräumt, dass man den Eindruck hat, auf dem Friedhof ist täglich Kehrwoche. Wer das Grab mit einem Plastiknetz überzieht, damit das Laub nicht darauf liegen bleibt, für den ist eine Wildblumenwiese sicher ein Gruß aus der Hölle. Deswegen also Frühjahrsblüher. Die sind im Frühsommer wieder eingezogen, dann können die Rasenflächen wie bisher auch regelmäßig gemäht werden.

Grabsteine als Dokumente der Stadtgeschichte

Alles restlos beseitigen: In den meisten Friedhöfen müssen die Besitzer des Grabes den Grabstein entfernen lassen, wenn das Grab aufgelöst wird, der Pachtvertrag ausläuft. Das kostet Geld und Grabsteine ihre Gestalt. Sie werden dann meistens geschreddert und für den Straßenbau verwendet. In Illertissen können die Grabmäler stehen bleiben. Sie gehen in das Eigentum der Stadt über.

Diese simple Regelung – der Bürgermeister hat sie auch mal aus dem Urlaub mitgebracht – hat einen großen Einfluss auf das Erscheinungsbild des Friedhofs. Dadurch wirken die freien Gräber nicht wie überflüssige Leerstellen. Die Steine sind Blickfang und ein Dokument der Stadtgeschichte, sie halten die Erinnerung an Namen und historische Berufe wach. Und machen den Friedhof ein bisschen zum Skulpturenpark.

Alte Grabsteine und neue Zwiebeln: zwei sehr einfache Mittel, um den Friedhof ökologisch und ästhetisch aufzuwerten.

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