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Parteitag sortiert Führung neu - zwei Grünen-Vorsitzende gesucht

Auf ihrem Bundesparteitag in Hannover wählen die Delegierten eine neue Führung. Um dem schleswig-holsteinischen Umweltminister Robert Habeck den Parteivorsitz zu ermöglichen, könnten sie sogar die Satzung ändern. Von Janina Lückoff

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Vergangenen Mittwoch in Berlin-Prenzlauer Berg: Anja Piel und Annalena Baerbock sitzen nebeneinander in der ersten Reihe einer kleinen Aula und stecken die Köpfe zusammen. Beide lachen, von Rivalität ist nichts zu spüren. Dabei wird sich nur wenige Tage später, am morgigen Samstag, entscheiden, ob sie gemeinsam die Partei in den kommenden Jahren führen werden, oder ob nur eine von ihnen an der Seite eines Mannes des Parteivorsitz übernimmt. An diesem Abend stellen sie sich bei der Grünen-Basis vor.

Piel: Klimapolitik, aber nicht nur

Anja Piel, 52 Jahre alt, ist Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag. Sie bringt die Erfahrung der rot-grünen Koalitionsarbeit 2013-2017 in Niedersachsen mit. Piel beruft sich in ihren Vorstellungsrunden oft auf diese Erfahrung. Für sie sind nicht nur die Grünen-Kernthemen Klima- und Energiepolitik ausschlaggebend für die künftige Ausrichtung der Grünen. Die gelernte Industriekauffrau will diese Themen mit sozialer Gerechtigkeit verknüpfen. Die Partei habe da ja schon gute Ideen, meint sie.

"Wir haben in der äußeren Wahrnehmung ein Problem, dass wir sehr gut über Klimaschutz und Umweltschutz wahrgenommen werden, über Energie. Bei Sozialpolitik müssen wir uns erst noch diesen Ruf erwerben. Ich glaube, es lohnt sich, da nicht nur Zeit rein zu investieren, sondern auch das zu schultern, auch in Person an sich zu nehmen, um das nach draußen stärker zu machen." Anja Piel, Kandidatin für den Grünen-Vorsitz

Piels Kandidatur für den Parteivorsitz hatte die Amtsinhaberin Simone Peter dazu bewogen, nicht erneut anzutreten. Sie wolle sich "einer Erneuerung der Parteispitze nicht verschließen", erklärte Peter auf ihrer Internetseite. Das Bedauern darüber hielt sich in ihrer Partei in Grenzen; Peter war als Vorsitzende nie sonderlich beliebt.

Grüne Schlüsselprojekte gegen die Flügel-Arithmetik

Piel gilt zwar als Vertreterin des linken Parteiflügels, sie betont aber, für beide Flügel anzutreten. Und überhaupt müssten auch jene Grüne mitgenommen werden, die sich keinem Parteiflügel zugehörig fühlten, sagt Piel. Sie betont zwar einerseits, das Linkssein gehöre zur grünen DNA, hebt aber gleichzeitig ihr integratives Talent hervor: Ihr Ziel sei, so Piel, dass beide Flügel gemeinsam Schlüsselprojekte definieren und diese offensiv kommunizieren.

Baerbock: Leidenschaft für Klima- und Europapolitik

"Inhaltlich hart und offen debattieren": Das will auch Piels Kontrahentin Annalena Baerbock. Die 37-Jährige aus Brandenburg wird dem Realo-Flügel zugerechnet, warnt ihre Parteifreunde aber in ihrem Bewerbungsschreiben davor, "ständig auf Flügellogiken zu schielen". Die Vielfalt der Partei lasse sich nicht mehr in zwei Schubladen pressen.

"Ich habe klar gesagt, ich trete für meine Themen an, für meine Art und Weise, wie ich Politik mache. Ich trete nicht als Vertreterin eines Flügels an, sondern für die Gesamtpartei. Aber natürlich spielen die Flügel bei uns in der Partei eine starke Rolle - da muss jeder für sich gewichten, welcher Maßstab das für ihn ist." Annalena Baerbock, Kandidatin für den Grünen-Vorsitz

Baerbock hat mal Trampolinspringen als Leistungssport betrieben - Loopings schlage sie auch heute noch, als Mutter zweier kleiner Kinder, schreibt sie in ihrer Bewerbung. Sie schildert sich als leidenschaftliche Klimapolitikerin. In den vergangenen vier Jahren war sie klimapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion und hat sich bei den Jamaika-Sondierungen mit diesem Themenbereich positiv hervorgetan. Auch die Frage des sozialen Europas liege ihr am Herzen, und die weltoffene Gesellschaft.

Ist die grüne Zukunft weiblich?

Piel und Baerbock treten also im ersten Wahlgang - den um den Frauenplatz der Parteispitze - gegeneinander an. Laut Satzung der Grünen muss einer der beiden Parteivorsitzenden eine Frau sein - mindestens. Es ist also auch möglich, dass am Ende beide den Grünen vorstehen. Dann nämlich, wenn sich die Delegierten des Parteitags nicht zu einer Satzungsänderung durchringen können - und kein weiterer Kandidat die grüne Bühne betritt.

Habeck: Traumministerium gegen Grünen-Vorsitz

Die Satzungsänderung hat der dritte Kandidat für den Parteivorsitz, Robert Habeck, zur Bedingung für seine Kandidatur gemacht. Habeck ist Minister für Umwelt, Landwirtschaft und Energiewende in Schleswig-Holstein, arbeitet dort seit einem halben Jahr in einer Jamaika-Koalition. Sein "Traumministerium" sei das, meint Habeck; die Entscheidung, ob er für den Parteivorsitz kandiert, habe er sich deshalb nicht leicht gemacht. Er sieht, dass es als kleinste Oppositionspartei im Bundestag nicht leicht werden wird, grünen Themen Gehör zu verschaffen. Aber der 48-Jährige sieht auch die Möglichkeiten:

"Das ist das Positive, oder die Karotte vor der Nase, die mich total reizt: Die Grünen unter den real existierenden Bedingungen des Wissens, wie Politik sich umsetzt und wie viele Kompromisse man schließen muss, wieder zu einer attraktiven Bewegungspartei zu machen. Und das ist dann auch die Aufgabe, an der man sich messen lassen muss." Robert Habeck, Kandidat für den Grünen-Vorsitz

Habeck - oder grüne Gewohnheiten?

Sollte er Vorsitzender werden, will er mit den Grünen eine "ökologische, linksliberale Politik" machen; sein "Traumministerium" aber will er nicht sofort abgeben. Dafür brauche er Zeit, sagt Habeck, etwa ein Jahr. Das ist bei den Grünen aber nicht vorgesehen: Die Satzung verbietet es Mitgliedern des Bundesvorstands, Mitglied einer Landesregierung zu sein.

Den 825 Delegierten in Hannover liegen nun mehrere Anträge vor: Sie sollen entscheiden, ob Habeck eine Übergangsfrist gewährt wird und wenn ja, wie lang. Habeck selbst hat sich bereits für einen Kompromiss von acht Monaten ausgesprochen. Für die Satzungsänderung ist eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich.

Bewerbung ins Ungewisse

Die Partei mag Robert Habeck. Viele freuen sich sogar auf ihn. Bei der Urwahl-Abstimmung über die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl bekam er nur 75 Stimmen weniger als der jetzige Parteivorsitzende Cem Özdemir. Aber dass die Partei ihm zuliebe alte Gepflogenheiten und Überzeugungen aufgibt - das ist noch lange nicht ausgemacht. "Insofern ist das eine Bewerbung ins Ungewisse", schreibt Habeck in seiner Bewerbung.

Er entscheidet nach der Satzungsentscheidung, ob er tatsächlich zur Wahl des Parteivorsitzenden antritt. Tut er es, gilt seine Wahl als sicher. Bei der Besetzung des Frauenplatzes wird es spannend, welche von beiden sich durchsetzen wird: Anja Piel oder Annalena Baerbock.

Die beiden Frauen sehen dem Ergebnis gelassen entgegen: Bei der Veranstaltung am Mittwoch dankten sie sich gegenseitig für die "faire Co-Kandidatur". Und Baerbock betonte: Egal wie die Entscheidung ausgehe, man habe mit der Kandidatur zweier Frauen einen Wegweiser gesetzt.