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Diesel-Skandal

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Diesel-Betrugssoftware: Sammelklagen in Europa?

Gegen riesige Konzerne stehen Verbraucher meist auf verlorenem Posten. Nun will die EU-Kommission die Macht der Kunden stärken - mit möglichst effizienten Sammelklagen. Jura-Professorin Beate Gsell von der LMU München hält das für sinnvoll.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Bayern2-radioWelt: Wie ist denn die Lage in den EU-Ländern bisher? Warum sind einzelne Verbraucher oft in einer "David-gegen-Goliath-Position"?

Prof. Beate Gsell, Jura-Professorin, LMU München: In Deutschland haben wir in vielen Bereichen und gerade auch im Verbraucherrecht schon Verbandsklagen. Die zielen aber nur auf Unterlassung: Der Unternehmer muss also nur befürchten, dass er sein Verhalten künftig ändern muss, er muss aber aus solch einer Klage nicht befürchten, dass er zu Schadensersatz verurteilt wird, zu kollektivem.

Bayern2-radioWelt: Ist das der Grund auch dafür, dass z.B. Volkswagen in den USA die Käufer von Betrugsdieseln entschädigt, aber in Europa nicht?

Beate Gsell: Ja, das wird man wohl so sehen müssen. Denn dadurch ist es schwierig - insbesondere bei Massenschadensereignissen wie den aktuellen VW-Diesel-Fällen - ein gewisses Druckpotential aufzubauen, das den Unternehmer dazu bewegen könnte, sich im Wege einer gütlichen Einigung auf eine kollektive Entschädigung der Betroffenen einzulassen.

Bayern2-radioWelt: Und Verbandsklage heißt, dass nicht die einzelnen Käufer sich zusammenschließen müssen, sondern dass es Verbände gibt, die im Namen der Verbraucher dann vor Gericht gehen.

Beate Gsell: In der Tat, das ist das Modell. Das entspricht der bisherigen Verbandsklagentradition. Vor allem aber will der Richtlinienvorschlag missbräuchliche Kollektivklagen - eine vielfach beschworene Klage-Industrie - vor allem dadurch verhindern, dass klageberechtigt eben nur Verbände sind und nicht Anwälte, nicht Anwaltskanzleien, sondern Verbände, die keine kommerziellen Interessen verfolgen.

Bayern2-radioWelt: Wenn das so kommt, ist dann die Klage der Industrie letztendlich gegenstandslos? Die warnt ja vor einer solchen Sammelklage in Europa, weil dann eine Klage-Industrie entstehen könnte, von der dann Anwälte profitieren, aber weniger die Verbraucher.

Beate Gsell: Nach meiner Auffassung wird die Diskussion um die angeblichen amerikanischen Verhältnisse mit einem verzerrten Fokus geführt. Ich halte diese Vorschläge - sowohl diesen europäischen Vorschlag, jetzt aber erst recht den deutschen Vorschlag für eine Musterfeststellungsklage - beim besten Willen nicht für geeignet, hier amerikanische Verhältnisse herbeizuführen. Ich glaube, wir sollten diese Diskussion mit einem ganz anderen Fokus führen: Gerade weil es in Deutschland keine zivilprozessualen Möglichkeiten bislang gibt, kollektiven Schadensersatz einzuklagen, lassen sich zunehmend Unternehmen, die genau zu diesem Zweck gegründet werden, die Schadensersatzforderungen von Geschädigten von Massenschadensereignissen abtreten und klagen die dann gebündelt ein. Finanziell wird dies durch den Einsatz kommerzieller Prozessfinanzierer ermöglicht, die sich davon naturgemäß einen erheblichen Gewinn versprechen. Aus meiner Sicht sollte der rechtspolitische Diskurs sich stärker auf diese neuen Phänomene kollektiver Rechtsdurchsetzung fokussieren.

Bayern2-radioWelt: Sollten die Brüsseler Gesetzespläne Wirklichkeit werden, wird das die Macht der Verbraucher stärken und der Industrie Grenzen setzen?

Beate Gsell: Ich halte diesen Vorschlag im Grundsatz für unbedingt sinnvoll. Gerade auch in dem Punkt, dass hier die Verbandsklage auf Schadensersatz erstreckt werden soll. Das ist ganz nötig, da hier im kollektiven Rechtsschutz ein handgreifliches Defizit besteht. Selbstverständlich hängt vieles davon ab, wie das im Detail und im konkreten Fall ins nationale Recht umgesetzt wird. Insbesondere steht und fällt ein solches Modell mit der Finanzierung der klagebefugten Verbände. Wenn die die entsprechenden finanziellen Mittel nicht haben, dann kann das Ganze nicht funktionieren, und dann wird das ein Papiertiger bleiben.