Wanderweg auf Rollstuhltauglichkeit testen
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Wandern mit Kinderwagen und Rollstuhl

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Wandern mit Rollstuhl: Selbstversuch, um Wege zu verbessern

Wer mit Rollstuhl oder Kinderwagen auf Wanderwegen unterwegs ist, kommt mitunter irgendwann nicht mehr weiter. Im Naturpark Fränkische Schweiz-Frankenjura soll sich das mit dem Projekt "Naturgenuss mit Handicap" ändern.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau am .

"Es geht schon auf dem Parkplatz wieder los - riesiger grober Schotter": Frustriert versucht Dominik Herrmann mit seinem Rollstuhl vorwärtszukommen, doch die Räder drehen durch – zu groß sind die Steine auf dem Parkplatz der Schüttersmühle in der Fränkischen Schweiz bei Pottenstein. Von hier aus will Dominik Herrmann mit Ehefrau Christin und Tochter Ella einen Wanderweg auf Rollstuhltauglichkeit testen. Minuspunkte gleich zu Beginn.

Doch das Ehepaar lässt sich die gute Laune nicht verderben. Der Vater im Rollstuhl, die Mutter schiebt den geländetauglichen Kinderwagen und Ella fährt, solange sie Lust hat, auf ihrem kleinen rosa Laufrad. Die Herrmanns decken so gut wie alles ab, was Räder hat. Deshalb schuf der Naturpark-Verein zwei Projektstellen, damit die aktive Familie das Thema Barrierefreiheit anpackt. Das Ziel: ein Wegenetz zu erarbeiten, das für das Befahren mit dem Rollstuhl geeignet ist.

  • Zum Artikel: Nationalpark-Wildnis jetzt auch barrierefrei zu erleben

Informationen von Steigungen bis hin zu Stufen

Plant ein Mensch ohne körperliche oder kognitive Einschränkungen einen Ausflug im Naturpark, so gestaltet sich das meist recht einfach. In Wanderführern, Tourenportalen, Broschüren und auf Websites der Tourismusinformationen finden sich allerhand Vorschläge für Wander- und Fahrradtouren und viele weitere Angebote für Jung und Alt. Für Menschen mit Handicap oder eingeschränkter Mobilität sieht die Welt ganz anders aus. Ob ein Rundwanderweg beispielsweise auch mit dem Rollstuhl befahrbar ist, findet man in den meisten Fällen erst heraus, wenn man es selbst ausprobiert. Informationen zu Steigungen, Stufen, Wegbeschaffenheit und Engstellen sucht man größtenteils vergebens. Und ob sich eine barrierefreie Toilette oder barrierefreie Gastronomie in der Nähe befindet, ist ein Glücksspiel mit geringen Gewinnaussichten – das will der Naturpark ändern.

Barrierefreie Tourenvorschläge

Dominik und Christin Herrmann dürfen die im Naturparkgebiet bereits vorhandenen barrierefreien Outdoor-Angebote zusammentragen und Empfehlungen für Wegausbesserungen und die Schaffung neuer Angebote formulieren. Am Ende soll eine Broschüre entstehen, in der sowohl Tourenvorschläge unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade als auch andere barrierefreie Outdoor-Angebote im Naturpark vorgestellt werden. Das Projekt kommt übrigens nicht nur Rollstuhlfahrern zugute, sondern auch weniger mobilitätseingeschränkten Menschen, Familien mit Kinderwagen oder Senioren mit Rollator.

Gefördert wird das Projekt über die Landschaftspflege- und Naturparkrichtlinie (LNPR) durch die Regierung von Oberfranken und das bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz. Das Projekt kostet circa 36.000 Euro. 90 Prozent tragen das bayerische Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz und die Regierung von Oberfranken. Den Rest übernimmt der Naturpark.

Dem Schicksal mit Ausdauer begegnen

Dominik Herrmann sitzt seit einem Motorradunfall 2012 im Rollstuhl. Davor war er enorm sportlich, liebte Klettern und Radfahren besonders – und genau dahin sollte die Reise wieder gehen. Nur statt auf zwei Beinen, auf zwei Rädern – da waren Ausdauer und Kreativität gefragt, um wieder in seiner geliebten Natur in der Fränkischen Schweiz unterwegs sein zu können: "Für mich ist Rauskommen alles. Der erste Gedanke im Krankenhaus nach dem Unfall war – wie komme ich wieder raus?", erinnert sich Dominik Herrmann. Der gelernte Mechatroniker hat ein spezielles Vorsatzrad entwickelt, um sich leichter fortbewegen zu können. Das schraubt er vorne an seinen Rollstuhl und los geht's. Der 34-Jährige lässt sich nicht unterkriegen.

Jeder hat ein Recht auf Naturgenuss

Auf den 1,3 Kilometern von der Schüttersmühle bis zur Weihersbachquelle warten viele Herausforderungen. Nach wenigen Metern scheitert Dominik Herrmann an einer Querwurzel. Ehefrau Christin dokumentiert die Stelle und macht Fotos mit dem Handy. Auch Ella schiebt mit, um den Rollstuhl gemeinsam über das Hindernis zu bekommen. Kurz darauf die nächste Zwangspause. Der Weg wird plötzlich sehr steil und auch der Untergrund ist steinig und sehr uneben. Christin und Ella holen die Wasserwaage heraus und messen am Boden kniend elf Prozent. Barrierefrei sind höchstens sechs Prozent, um für alle eine gute Nutzbarkeit zu gewährleisten.

Ranger Johannes Stemper begleitet das Projekt "Naturgenuss mit Handicap". Ende August 2023 wird eine Broschüre mit acht ausgewiesenen Wegen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität erscheinen. Außerdem sollen Projekttage organisiert werden, um den Austausch anzuregen, neue Erfahrungen zu gewinnen und auf das Projekt aufmerksam zu machen. "In Zukunft wollen wir auch an Menschen mit anderen Einschränkungen denken und beispielsweise Angebote für Sehbehinderte schaffen", so Stemper. Die erste Projektphase wird im August 2023 abgeschlossen, eine zweite ist allerdings bereits angedacht. Dann sollen, neben der Erweiterung des Wegenetzes, auch kleinere Umbaumaßnahmen angestoßen und Akteure, die Barrieren abbauen wollen, beraten werden.

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