Petra Falter ist Direktorin an den Grundschulen in Altenthann und Donaustauf bei Regensburg. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen in der Alterskategorie 50 bis 56 sind von den Notmaßnahmen betroffen, die das bayerische Kultusministerium im Januar 2020 verordnet hat. So müssen Grundschullehrkräfte eine Stunde mehr pro Woche arbeiten – und das für insgesamt fünf Jahre.
Die gesammelten Überstunden wandern dabei auf ein Arbeitszeitkonto, von dem sie nach drei Jahren Wartezeit wieder an die beteiligten Lehrkräfte zurückfließen. Dadurch will das Kultusministerium einem vorübergehenden Lehrermangel an Grundschulen entgegensteuern.
"Das ist natürlich eine Belastung. Ich halte eine Stunde jede Woche mehr. Ich muss diese Stunde vorbereiten, ich muss diese Stunde nachbereiten. Und die Altersgruppe der über 50-Jährigen ist vielleicht auch durch eine lange Dienstzeit schon belastet", sagt Grundschuldirektorin Petra Falter.
Grundschullehrkräfte sollen an Mittel- und Förderschulen unterrichten
Mit der Einführung des Arbeitszeitkontos und den Überstunden für Grundschullehrerinnen und -lehrer verfolgt das Kultusministerium noch einen weiteren Plan: Erfahrene Grundschullehrkräfte sollen kurzfristig offene Lehrerstellen an Mittel- und Förderschulen besetzen. Keine leichte Aufgabe, sagt Grundschuldirektorin Petra Falter: "Das ist ja in der Mittelschule eine ganz andere Altersgruppe. Da sind wir auch nicht ausgebildet dafür. Und in der Förderschule ist das ein ganz anderes Klientel, das da beschult wird. Wir sind für die Grundschule ausgebildet."
Diese Verschiebung von Lehrkräften zwischen verschiedenen Schularten ist für das Kultusministerium nur möglich, weil an den Grundschulen ein "vorübergehender" Mangel an Lehrerinnen und Lehrern festgestellt wurde. Bei einem "permanenten" Lehrermangel kann das Ministerium derartige Notmaßnahmen nicht durchsetzen und müsste neues Personal einstellen.
Zweifel am tatsächlichen Lehrermangel an Grundschulen
Ob die Strategie des Kultusministeriums zur Bekämpfung des Lehrermangels auch juristisch tragbar ist, bezweifelt Grundschuldirektorin Petra Falter in ihrer Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht. Ihr Rechtsanwalt Michael Bihler stellte bei einer Pressekonferenz des BLLV infrage, ob tatsächlich ein Lehrermangel an den bayerischen Grundschulen vorherrscht, der die Überstunden und Versetzungen der betroffenen Lehrkräfte legitimiert. Bihler sagt: "Ein Arbeitszeitkonto nur für Grundschullehrkräfte als Lückenbüßer für die anderen Schularten geht gar nicht! Die Bedarfszahlen an Grundschullehrkräften wurden vom Kultusministerium bewusst zu hoch angesetzt, um den dringenden Bedarf an Mittel- und Förderschulen zu decken."
Kultusministerium hält an Lehrerbedarf fest
Auf den Vorwurf, Prognosezahlen manipuliert zu haben, reagierte das Kultusministerium mit einer Stellungnahme. Darin heißt es: "Unsere seit vielen Jahren bewährte Lehrerbedarfsprognose hat einen entsprechenden Bedarf ausgewiesen." Zudem stellte das Ministerium klar, dass der Einsatz von Grundschullehrkräften an Mittel- und Förderschulen seit 1995 im Bayerischen Lehrerbildungsgesetz vorgesehen und gängige Praxis sei.
Der Einsatz von Grundschullehrkräften an Förderschulen liefe darüber hinaus nicht über das Arbeitszeitkonto der Notmaßnahmen. In dem Statement heißt es weiter: "Jeder Bürgerin und jedem Bürger steht der Rechtsweg offen. Die Klage liegt dem Kultusministerium noch nicht vor. Die Einführung des Arbeitszeitkontos wurde sehr sorgfältig geprüft."
Forderung nach einer langfristigen Strategie für Mittel- und Förderschule
Auch die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands kritisiert die Notmaßnahmen und fordert eine langfristige Lösung gegen den Lehrermangel an Mittel- und Förderschulen. Grundschullehrkräfte sollten ihrer Meinung nach nicht mit zusätzlichen Unterrichtsstunden als Lückenfüller an fachfremden Schulen fungieren. "Für uns im BLLV ist einfach ganz entscheidend, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, damit sich auch in Zukunft junge Menschen für diesen Lehrerberuf vor allem eben an den Mittelschulen entscheiden. Das sind Kinder, die brauchen die Besten, das sind Kinder die haben große Herausforderungen", sagt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann.
Der BLLV fordert eine bessere Bezahlung für Lehrkräfte an Mittelschulen. Ihr Gehalt solle an das der Gymnasial- und Realschullehrer angepasst werden. Zudem sei ein flexibleres Lehrerbildungsmodell nötig, um in Zukunft nach Bedarf anpassungsfähige Lehrkräfte für die verschiedenen Schularten zu haben.
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