Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, CSU, hielt Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr 2020 für angemessen.
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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, CSU, hielt Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr 2020 für angemessen.

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Staatsregierung wehrt sich gegen Urteil zu Ausgangsbeschränkung

Im Rechtsstreit über die strengen bayerischen Corona-Regeln im Frühjahr 2020 geht die Staatsregierung in Revision. Der Verwaltungsgerichtshof hatte die Ausgangsbeschränkung für unzulässig erklärt. Daraufhin gab es Kritik an Ministerpräsident Söder.

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Die bayerische Staatsregierung will den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) zur Corona-Ausgangsbeschränkung nicht akzeptieren. "Wir sind davon überzeugt, dass die Ausgangsbeschränkungen Ende März bis Anfang April 2020 zum Wohl und zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Bayerns in der ersten Welle der Pandemie ein wirksames und richtiges Mittel waren", sagte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) der Deutschen Presse-Agentur in München. Daher gehe man jetzt in Revision - zuständig ist dann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Ausgangsbeschränkungen laut Verwaltungsrichter unzulässig

Die Verwaltungsrichter in Ansbach hatten Anfang der Woche die strengen Corona-Maßnahmen im Freistaat im Frühjahr 2020 teilweise für unzulässig erklärt. Die Richter bemängelten insbesondere, dass damals Einzelpersonen ohne "triftigen Grund" nicht ihre Wohnung verlassen durften. In ihrer konkreten Ausgestaltung sei dies "keine notwendige Maßnahme" gewesen.

Laut Verwaltungsgerichtshof ist es "für sich gesehen infektiologisch unbedeutend", ob sich eine Person allein oder mit Angehörigen des eigenen Haushalts außerhalb der eigenen Wohnung im Freien aufhält. Als mildere Maßnahme wären nach Meinung der Richter Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten Raum in Betracht gekommen.

Holetschek verteidigt Entscheidung

Holetschek sieht das anders: "Eine Vielzahl an Gerichtsentscheidungen hat bereits bestätigt, dass unser Weg ein rechtskonformer war. Klar ist: Wir mussten damals schnell und entschlossen handeln, in einer Situation, in der es noch wenig Erfahrung im Umgang mit dem Coronavirus gab." Zudem sei die Testinfrastruktur noch deutlich weniger ausgebaut gewesen, und ein Impfstoff gegen das Virus habe noch in weiter Ferne gelegen. "Unser Kurs wurde von fast allen Parteien im Landtag mitgetragen. Das alles gilt es bei der Bewertung zu berücksichtigen", betonte Holetschek.

In dem Verfahren ging es um die Ende März 2020 erlassene Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Darin war festgelegt, dass das Haus "nur bei Vorliegen triftiger Gründe" verlassen werden durfte. Als triftige Gründe waren beispielsweise die Berufsausübung, Einkäufe, Sport und Bewegung im Freien oder das Gassigehen definiert.

Erlanger Verfassungsrechtler lobt Urteil

Der Erlanger Verfassungsrechtler Markus Krajewski sieht Grenzen in der Argumentation Holetscheks. Denn die Gerichtsurteile zugunsten der bayerischen Pandemie-Maßnahmen seien zumeist Eilentscheidungen gewesen, an die sich immer noch ein Hauptsacheverfahren anschließt. Und das könne zu einem ganz anderen Ergebnis kommen.

"Man kann eigentlich nicht aus der Tatsache, dass man ganz viele Eilrechtsverfahren gewonnen hat, schließen, dass man jetzt notwendigerweise auch die Hauptsacheverfahren gewinnt. (...) In der Coronazeit kamen viele Gerichte zu der Auffassung: Die Grundrechtseingriffe existieren zwar. Aber sie sind jetzt nicht so sonderlich massiv, weil sie ja oft wieder nach zwei, drei Wochen vorbei sind. Und es zeigt die Unabhängigkeit und die Qualität unserer Justiz, dass sie sich das jetzt in Ruhe anschaut und auf über 30 Seiten begründet: Nein, jetzt erkennen wir, das war doch unverhältnismäßig." Prof. Markus Krajewski, Universität Erlangen-Nürnberg

Statt Ausgangsbeschränkungen zu verhängen, hätte es gereicht, Menschenansammlungen zu verbieten, so Krajewski. Und das war ja damals im April 2020 der Fall - über die gleichzeitig geltenden Kontaktbeschränkungen.

Gesundheitsminister Holetschek.
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Gesundheitsminister Holetschek.

Formfehler bei der Veröffentlichung

Einerseits bemängelte der VGH, dass die Staatsregierung bei der Veröffentlichung der Verordnung Formfehler begangen habe. Darüber hinaus war die Ausgangsbeschränkung für die Richter aber auch unverhältnismäßig. Auch, weil Bayern über die damaligen Bund-Länder-Beschlüsse zu weit hinausging.

Zwar habe der Freistaat damals eine schlechtere epidemiologische Lage gehabt. "Diese bedrohlichere Lage spiegelte sich allerdings im ganzen süddeutschen Raum wider", heißt es in dem VGH-Beschluss. Nach Ansicht der Richter hätte es Möglichkeiten gegeben, die Bund-Länder-Vorgabe in Bayern zu verschärfen, ohne gleich eine generelle Ausgangsbeschränkung festzulegen. Nach der bundesweiten Vorgabe durften sich die Menschen mit einer weiteren Person eines anderen Haushalts in der Öffentlichkeit treffen. Der VGH kam zum Schluss, dass es gereicht hätte, in Bayern diesen Kontakt zu verbieten, ohne gleich das Verlassen des eigenen Hauses zu untersagen.

Diskussion über das Sitzen auf der Parkbank

Tatsächlich gab es damals viele Diskussionen darüber, ob man sich beispielsweise noch auf einer Parkbank niederlassen darf. Rund eine Woche nach Inkrafttreten der Vorschrift stellte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) klar, dass man sich durchaus im Rahmen eines erlaubten Spaziergangs auch einmal hinsetzen dürfe. Bereits damals hatte die strenge Auslegung für massive Kritik gesorgt.

Scharfe Kritik an Söder

Politiker von SPD, AfD und FDP kritisierten nach dem Beschluss der Richter den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Der nordrhein-westfälische Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) twitterte: "Was sind Armin Laschet und ich von Söder kritisiert worden, weil wir in NRW keine landesweite Ausgangssperre verhängt haben." Nun sei amtlich, das Söder falsch gelegen habe: "Wenn er auch nur einen Funken Anstand hätte, würde er sich mindestens öffentlich entschuldigen."

Die AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Alice Weidel sprach von einer überfälligen "juristische Ohrfeige" für Söder, der die Grundrechte der Bürger "willkürlich" beschnitten habe. "Markus Söder ist nach diesem Urteil endgültig reif für den Rücktritt", betonte Weidel. Auch eine Reihe weiterer AfD-Politiker verlangte auf Twitter unter dem Hashtag #söderrücktritt einen Amtsverzicht des bayerischen Ministerpräsidenten.

Der bayerische SPD-Fraktionschef Florian von Brunn beklagte, Söder sei im Frühjahr 2020 "deutlich übers Ziel hinausgeschossen". Der CSU-Politiker habe den harten Corona-Manager gegeben, ohne dass es für die Virus-Bekämpfung notwendig gewesen wäre. "Es war auch damals klar, dass Menschen keine Gefahr darstellen, wenn sie alleine das Haus verlassen oder ein Buch auf einer Parkbank lesen."

Mögliche Rückzahlung der erhobenen Bußgelder

Die Landtags-AfD fordert eine Rückzahlung der im April 2020 erhobenen Bußgelder. Das könne der Bürger aber erst beantragen, wenn das Bundesverwaltungsgericht das Urteil aus Bayern bestätigt habe, sagte der Staatsrechtler Walther Michl von der FU Berlin dem BR.

Sollte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig aber der Staatsregierung recht geben, könnten die klagenden Bürger noch das Verfassungsgericht anrufen. Das könnte Bayern in diesem Fall nicht – die Aufhebung der Ausgangssperre wäre mit dem Leipziger Urteil rechtskräftig.

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