Symbolbild: Mann beim Sportwetten an seinem Laptop
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In Deutschland gelten 1,3 Millionen Menschen als krankhafte Spieler, weitere 3,2 Millionen sind gefährdet, in die Spielsucht abzurutschen.

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Mega-Hype Sportwetten: Zwischen Profit und Sucht

Mit der Legalisierung von Online-Glücksspiel und Sportwetten wurden strenge Auflagen versprochen: besserer Spielerschutz, mehr Kontrolle. Wie gut wird das umgesetzt? Die Kontrovers Story geht dieser Frage nach – mit ernüchterndem Ergebnis.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Oliver Petzold ist Bundeswehrsoldat, Afghanistan-Veteran und spielsüchtig. Insgesamt 250.000 Euro hat er durch seine Spielsucht verloren. Seine Ersparnisse sind weg, seine Eigentumswohnung musste er verkaufen, um Schulden zu bezahlen. Im Moment ist er spielfrei, doch jeder Tag ist für ihn ein Kampf - besonders jetzt, denn die Fußballweltmeisterschaft ist Hochsaison für Sportwettanbieter. Ständig wird Petzold mit seiner Sucht konfrontiert, zum Beispiel durch Werbung für Sportwetten, die plötzlich und ungefragt auf seinem Smartphone auftaucht.

Sportwetten boomen

Werbung für Sportwetten ist seit der Änderung des Glücksspielstaatsvertrags im Juli 2021 umfassend erlaubt. Und seitdem gibt es auch erstmals in Deutschland Lizenzen für Sportwetten. Gleichzeitig gelten strenge Auflagen zum Spielerschutz.

Im Internet gilt ein Einzahlungslimit von 1.000 Euro pro Monat und jeder Anbieter muss sich an die Spielersperrdatei OASIS anschließen lassen. Dort können sich Spieler sperren lassen, wenn sie süchtig sind oder finanzielle Probleme haben. Auch Angehörige und die Anbieter können eine Sperre bei OASIS veranlassen. In bayerischen Wettbüros muss der Personalausweis des Spielers kontrolliert werden, auch eine Abfrage in der OASIS-Sperrdatei ist zwingend vorgeschrieben. So sollen Spielsüchtige geschützt werden.

Video: Kontrovers - Die Story: Mega-Hype Sportwetten - Zwischen Profit und Sucht

Manche Wettbüros kontrollieren trotz klarer Regeln keine Personalien

Doch funktionieren diese Maßnahmen? Kontrovers-Reporter Ulrich Hagmann kauft mehrere Sport-Wettscheine. Nirgends wird er nach seinem Personalausweis gefragt, die OASIS-Abfrage unterbleibt. Das Bayerische Innenministerium antwortet dazu auf Nachfrage von Kontrovers - Die Story: "Ein anonymes Spielen in Sportwettvermittlungsstellen ist in Bayern nicht erlaubt. Bei Verstößen drohen Bußgelder in Höhe von bis zu 500.000 Euro." Den Mitarbeitern im Wettbüro scheint der hohe Bußgeld-Rahmen nicht bewusst zu sein.

Millionen Spielsüchtige in Deutschland

In Deutschland gelten 1,3 Millionen Menschen als krankhafte Spieler, weitere 3,2 Millionen sind als riskante Spieler gefährdet, in die Spielsucht abzurutschen. Insgesamt haben 4,5 Millionen Menschen Probleme mit Glücksspiel, hat der Glücksspielsurvey des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) und der Universität Bremen herausgefunden. Tendenz steigend, sagt auch Celine Schulz-Fähnrich, Suchttherapeutin der Caritas Regensburg.

"Das zeigt sich bei uns an den Klienten-Zahlen. Als ich hier vor zehn Jahren angefangen habe, hatte ich im Jahr vielleicht eine Handvoll Sportwetter. Das war ganz exotisch, wenn ich jemandem in der Beratung hatte, der mit dem Thema gekommen ist. Mittlerweile sind fast 40 Prozent der Personen, die zu mir kommen, Sportwetter." Celine Schulz-Fähnrich, Suchttherapeutin der Caritas Regensburg
  • Zum Artikel: "Glücksspielsucht - Zehntausende Menschen in Bayern betroffen"

Spielsüchtiger verklagt deutsche Sportwettanbieter

Der Weg aus der Spielsucht ist schwer, die Rückfall-Gefahr hoch und Spielsüchtige häufen immense Schuldenberge an. Oliver Petzold hat beschlossen, den Kampf gegen die Anbieter aufzunehmen. Er will sein Geld zurück und die Chancen stehen gar nicht so schlecht. Mehrere Wettspielanbieter hat er mittlerweile verklagt.

Wenn ein lizensierter Anbieter gegen Auflagen verstößt, beispielsweise gesperrte Spieler zulässt, ist das Geschäft unzulässig und der Anbieter muss alle Einsätze zurückzahlen. Oliver Petzold ist seit 2008 gesperrt. Trotzdem konnte er spielen und das auch noch mit weit höheren Summen als den pro Monat erlaubten 1.000 Euro Wetteinsatz.

Kampf gegen das System und gegen die eigene Sucht

Den ersten Prozess hat Oliver Petzold jetzt gewonnen. 4.300 Euro soll ein Anbieter zurückzahlen. Aber der ist in Berufung gegangen. Seine gesamten Verluste, ca. 250.000 Euro, will er zurückklagen. Das wird ein langer Kampf gegen viele Sportwettanbieter, genauso wie bei seinem täglichen Ringen gegen die Spielsucht.

Beim letzten Rückfall vor einem Jahr hat er in wenigen Wochen 40.000 Euro verloren. Sport hilft ihm. Mehrmals die Woche versucht er, sich mit Gewichten im Fitness-Studio den Kopf frei zu stemmen, den Spieldruck zu vergessen, zumindest für kurze Zeit.

Die Liberalisierung scheint für die Anbieter und den Staat ein gutes Geschäft. Denn auch die Einnahmen aus der Sportwettsteuer steigen. Die Zeche zahlen die süchtigen und die risikofreudigen Spieler. Denn die machen die höchsten Umsätze und die größten Verluste. Deren Schutz wurde versprochen, aber bisher nicht eingelöst.

Grafik: Umsatz des Sportwettenmarkts seit 2014

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Der Gesamtumsatz des Sportwettenmarktes hat sich seit 2014 verdoppelt.

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