Die braune Farbe blättert von den Fensterläden des kleinen Hauses an der Durchgangsstraße in Ellerbach. Jahrelang war Sarah Straub nicht hier. Es ist das Haus ihrer Großmutter, die vor etwa 15 Jahren verstorben ist. Sarah Straub läuft um die Hausecke, schaut durchs Fenster. Erinnerungen werden wach. Bei ihrer Oma war sie fast jeden Tag, ist sie quasi aufgewachsen – die Frau hat für sie gekocht, sie umsorgt – bis auf einmal alles anders war. So beginnt auch das Buch, das Sarah jetzt, mit Mitte 30, geschrieben hat:
"Meine Großmutter war 77 Jahre alt, als sie innerhalb eines Jahres fast ihr Leben und ihr Ich verlor."
Ihre Großmutter ist eines Nachts gestürzt, die Treppe hinunter. Danach wusste sie nicht mehr, wer sie war, wurde zum kompletten Pflegefall.
Unterstützung für Angehörige und Demenzkranke
Sarah und ihre Familie waren vollkommen überfordert, erzählt sie. Keiner habe sie richtig aufgeklärt, ihre Oma sei einfach in ein Pflegeheim gekommen - als Demenzerkrankte. Dabei sei sie vor dem Sturz noch geistig fit gewesen. Heute weiß sie: Eine Hirnblutung hat die Demenz ausgelöst. Nach ihrem Psychologiestudium hat sie sich spezialisiert, auf Demenz, und sogar darüber promoviert. Heute arbeitet sie an der Ulmer Uniklinik in der Demenzforschung. Sie wollte wissen, was passiert war mit ihrer Großmutter, und wie man ihr hätte helfen können. Heilbar ist Demenz nicht, es gibt noch kein Medikament dagegen. Aber: Man kann die Patienten unterstützen, genau wie die Angehörigen.
Frühzeitige Diagnose ist wichtig für Krankheitsverlauf
Wichtig ist es dafür, frühzeitig zu erkennen, ob es sich um eine Demenz handelt. Die kann man auch schon mit 30 bekommen - dann wird aber meist nicht gleich richtig diagnostiziert. Sie empfiehlt Betroffenen, zu Spezialisten in eine Klinik zu gehen. "Wichtig ist es, Auffälligkeiten ernst zu nehmen, natürlich kann man mal Wörter vergessen – aber wenn man das Gefühl hat, mein Mann oder meine Frau kommt im Alltag nicht mehr klar, dann wird es Zeit, einen Arzt aufzusuchen. Ein Hausarzt reicht da meist nicht, am besten man geht zum Spezialisten", sagt die Psychologin. Wichtig sei es, frühzeitig eine Diagnose zu haben, dann sei die Chance am besten, den Prozess der Erkrankung noch zu verlangsamen.
Ratschläge für Angehörige und Betroffene
In ihrem Buch verbindet sie Ratschläge für Angehörige und Betroffene mit Erfahrungsberichten aus ihrer Zeit mit Patientinnen und Patienten. Berührende Schicksale beschreibt sie. All das verbindet sie immer wieder mit ihren eigenen Erfahrungen, aus der Zeit, in der sie ihre Oma gepflegt hat. Sie kann sich in die Lage der Angehörigen hineinversetzen, sie weiß, wie es ist, wenn man einen geliebten Menschen mehr und mehr verliert.
Corona bringt Zeit - Zeit fürs Schreiben
Wo bekommt man Hilfe, wie Entlastung: Auch darum geht es in dem Buch. Das sie schon lange schreiben wollte, nur nie die Zeit dafür hatte. Während Corona war es jetzt möglich - da fielen ihre Konzerte aus. Denn: Eigentlich ist die Frau mit den knallroten Haaren Musikerin, Liedermacherin. Bekannt wurde sie unter anderem nach gemeinsamen Auftritten mit Konstantin Wecker. In ihrem kleinen Haus in Gundelfingen komponiert sie ihre Lieder, schreibt die Texte und verarbeitet so auch den Alltag in der Klinik. Klavierspielen sei für sie etwas sehr Meditatives, so Straub - ein perfekter Ausgleich.
Thema Demenz mehr in den Fokus rücken
Ihre Bekanntheit als Musikerin will sie aber auch nutzen, um auf die Krankheit Demenz aufmerksam zu machen: Jährlich erkranken rund 300.000 Menschen in Deutschland neu an einer Demenz, 1,6 Mio Betroffene gibt es hierzulande. Damit ist die Krankheit in etwa so häufig wie Krebs – heilbar ist sie nicht, noch nicht. Sarah möchte deshalb mehr Bewusstsein für die Krankheit wecken – und hat das Thema deshalb auch in ihrer Musik verarbeitet und einen Demenzsong geschrieben.
Zur Zeit tourt sie mit ihrem Buch durch ganz Deutschland: Bei den Veranstaltungen liest sie und singt einige ihrer Lieder.
Sarah Straubs Buch: "Wie meine Großmutter ihr ICH verlor. Demenz. Hilfreiches und Wissenswertes für Angehörige" erscheint am 20. September im Kösel Verlag.
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