Sechs junge Leute singen in drei Mikrofone. Sie schauen für den Songtext auf einen Laptop mit einem Aufkleber, auf dem #csdtraunstein steht.
Bildrechte: BR / Katrin Nöbauer

Sechs junge Leute singen in drei Mikrofone. Sie schauen für den Songtext auf einen Laptop, mit einem Aufkleber, auf dem #csdtraunstein steht.

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"Queer" auf dem Land: Reichen die Angebote?

Seit anderthalb Jahren fördert der Freistaat queere Beratungsstellen und Angebote, auch auf dem Land. Dort ist der Bedarf besonders hoch: Einrichtungen sind oft weit entfernt in der nächsten Großstadt. Eine digitale Bayernkarte zeigt, was sich tut.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Bayern ist ein Land ohne Aktionsplan gegen Queer-Feindlichkeit - und damit nicht Regelfall, sondern Ausnahme, heißt es beim Lesben- und Schwulenverband. Seit etwa anderthalb Jahren unterstützt der Freistaat aber den Auf- und Ausbau von Unterstützungs- und Beratungsstrukturen. Gerade auf dem Land wurde dafür ein erhöhter Bedarf festgestellt. Eine der geförderten Maßnahmen ist das Queere Netzwerk Bayern: Eine Plattform, die queere Personen, Ehrenamtliche, Einrichtungen und Fachkräfte zusammenbringen will. Auf einer Bayernkarte auf ihrer Website zeigen sie sowohl Beratungsstellen, aber auch regionale queere Treffs oder Stammtische auf.

Was bedeutet "queer"?

Queer ist ein Überbegriff für verschiedene sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Er schließt Schwule und Lesben ebenso mit ein wie Trans-Personen, asexuelle oder nicht-binäre Menschen. Dieses Spektrum soll auch der Stern am Ende der Abkürzung LGBTIQ* verdeutlichen, die auch in anderen Ausführungen verwendet wird. Der Begriff "queer" bietet im Gegensatz dazu den Menschen, die sich selbst so identifizieren, auch einen gewissen Schutz: Sie müssen sich nicht genauer offen- oder festlegen. Queere Menschen erfahren auch in Bayern immer wieder Ablehnung oder sogar Gewalt.

Viele queere Angebote sind ehrenamtlich organisiert

Ein Großteil der Angebote für queere Menschen in Bayern wird von Ehrenamtlichen aus der Community organisiert, erklärt der Sprecher des Queeren Netzwerks. Ein Beispiel: Der Queertreff Traunstein. Den gibt es erst seit November. Er ist aus der örtlichen Bewegung zum Christopher-Street-Day - kurz CSD - entstanden, weil das Orga-Team einen erhöhten Gesprächsbedarf festgestellt hat: "Wir haben uns immer drei Stunden getroffen: Eine Stunde haben wir Dinge beschlossen und dann haben wir nur noch Spiele gespielt und geratscht", erzählt Fiona Carol Sampson.

Auf dem Land: Weite Wege, teure Zugfahrten

Samspon ist es wichtig, den jungen Leuten in der Region etwas zu bieten, was sie selbst in ihrer Jugend vermisst hat: Damals habe es noch fast keine digitalen Angebote gegeben, die nächsten Treffs oder Beratungsangebote seien immer in München gewesen. Auf Dauer sehr teuer und zeitaufwendig, mit dem Zug. Außerdem hätten sie ihre Eltern immer erst noch mit dem Auto zum Bahnhof fahren müssen - schwierig, wenn man vor ihnen noch nicht geoutet ist. Deshalb wollte die queere Community auch einen regionalen Treff, in Traunstein als Anlaufstelle für das ganze Chiemgau, ergänzt Felix Flassak, der ebenfalls im Orga-Team des Queertreffs ist.

Professor Martina Wegner von der Hochschule München begleitet die Einrichtung des Netzwerks. Sie sagt: In den bayerischen Metropolen gibt es bereits lange gute Beratungs- und Unterstützungsangebote. Anders auf dem Land und in kleineren Städten. Dort fehle es oft noch an Strukturen und Bewusstsein für unterschiedliche sexuelle Orientierungen. „Aus Studien weiß man, dass queere Personen oft in die Städte ziehen, in denen sie anonymer und mit besseren Unterstützungsangeboten leben können“, sagt Wegner, „Aber genau diese Möglichkeit haben aus finanziellen und familiären Gründen nicht alle – und viele möchten eben doch in ihrer Heimat bleiben.“

Vorurteile erschweren Coming Out

Flassak erzählt, dass ihm das Coming Out in der ländlichen Region Traunstein sehr schwer gefallen ist. Seine Familie habe die Nachricht dann jedoch überraschend gut aufgenommen. Er weiß, dass in der queeren WhatsApp-Gruppe der Region mit rund 80 Mitgliedern auch viele Personen ungeoutet sind - vermutlich aus Angst vor den Reaktionen ihres Umfelds. "Viele Menschen sehen uns leider immer noch als Krankheit an, oder etwas, das man heilen kann", erzählt Flassak. Um derartige Vorurteile abzubauen, sind auch interessierte Heteros bei den Queertreffs willkommen.

Keine fachliche Beratung in Traunstein

Die Teilnehmenden des Queertreffs fühlen sich in der Gruppe wohl. Einige sind beim Karaoke-Abend zum ersten Mal da, etwa eine Gruppe aus dem Nachbarlandkreis Rosenheim: Von dort kennen sie derartige Angebote nicht, erzählen sie. Bei den Treffs in Traunstein können sich die Leute austauschen, eine Beratung gibt es jedoch nicht. "Wir sind kein Fachpersonal", betont Fiona Carol Sampson. Wenn ihnen Jugendliche sensible Probleme anvertrauen, verweisen sie auf entsprechende Beratungsstellen in der Nähe, per Telefon oder Mail.

"Angebote langfristig durch Fachkräfte sichern"

Eine der nächsten Beratungsstellen ist in Neuötting, knapp 50 Kilometer entfernt. Marcello Reimann und seine Kollegin beraten bei "Biste Bunt" seit knapp einem halben Jahr Jugendliche und junge Erwachsene zu queeren Themen. Die Beratungsstelle ist bei der Arbeiterwohlfahrt angesiedelt und wird vom Kreisjugendring finanziert. Neben Einzelgesprächen bietet "Biste Bunt" auch monatliche Gruppentreffen, Workshops an Schulen und Sensibilisierung von Pädagogen an. Reimann schätze das ehrenamtliche Engagement der queeren Community sehr, als geschulte Fachkraft könne er aber noch mehr Methoden einbringen. Um Angebote für queere Menschen langfristig zu sichern, dürfe man nicht nur auf das Standbein Ehrenamt setzen, sondern brauche Fachkräfte.

Neuöttinger Beratungsstelle nur bis Mai finanziert

Doch Fachkräfte kosten Geld. Auch das Fortbestehen von "Biste Bunt" ist nicht zu 100 Prozent gesichert, denn die derzeitige Finanzierung läuft nur noch bis Mai. Gerade würden sie sich verstärkt um weitere Fördermittel bemühen, so Reimann. Denn auch wenn seine Stelle gesichert sei - für die Jugendlichen rund um Neuötting gebe es dann kein regionales Angebot mehr und sie müssten wieder weite Wege auf sich nehmen. Reimann würde sich deshalb wünschen, dass gerade kleinere Projekte im ländlichen Raum eine gesicherte Finanzierung erhalten: "Weil dieses Thema ja weiterhin bestehen bleibt. Es gibt immer mehr Jugendliche, die sich damit identifizieren - auf die eine oder andere Weise."

"Besser als noch vor ein paar Jahren"

Der Freistaat fördert regionale Beratungsstellen in Nürnberg, Würzburg, Augsburg oder Landshut - zudem bayernweite Projekte wie das Queere Netzwerk oder die Fachstelle Strong, mit Hilfetelefon bei Gewalt.

Expertin Martina Wegner sieht erste Erfolge in den ländlichen Regionen. Einiges müsse aber noch getan werden: Mehr Sensibilisierung, Öffentlichkeitsarbeit, Zusammenarbeit mit anderen Stellen. „Bei der Netzwerkarbeit, insbesondere wenn sie große gesellschaftliche und räumliche Distanzen überbrücken muss, sind mehrere Jahre erforderlich, um eine Basis zu schaffen“, sagt Wegner.

Aktuell läuft die Finanzierung bis Ende 2023 - das Sozialministerium will die Beratungsangebote aber ausbauen und "verstetigen". Einrichtungen wie "Biste Bunt" profitieren davon nur indirekt, etwa von der Übersicht an regionalen Angeboten durch das Queere Netzwerk Bayern: So können sie sich besser vernetzen und Jugendliche bedarfsgerecht weitervermitteln, meint Reimann. Mehrere Menschen beim Queertreff Traunstein erzählen, dass die Situation auf dem Land schon besser sei als noch vor ein paar Jahren. Sie sagen aber auch, dass es noch einiges zu tun gebe.

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