Christian auf dem Weihnachtsmarkt
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Christian auf dem Weihnachtsmarkt

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Neubeginn nach der Haft: Zwischen Hürden und Chancen

Der Tag der Haftentlassung ist für viele Häftlinge ein besonderer Tag, öffnet sich doch die Tür zurück ins Leben. Es gibt aber einige Hürden – und gerade kurz vor Weihnachten für viele Entlassene eine nicht ganz einfache Situation.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Der Weihnachtsmarkt in Würzburg: Es duftet nach Glühwein, Crêpes, Bratwurst, Kerzen und allerlei anderen Dingen. Aus jeder Richtung ein anderer Duft. Es ist bald Weihnachten.

Weihnachten ist ein Tag, an den Christian ganz unterschiedliche Erinnerungen hat. Besonders an das letzte Weihnachten kann er sich gut erinnern. Nicht, weil es keine zwölf Monate her ist, sondern, weil er damals im Gefängnis saß. Der Heilige Abend, erzählt er, sei dort ein Tag wie jeder andere gewesen: "Man kriegt schlechtes Essen, man muss mit einem Zellengenossen weiterhin auskommen, und der Fernseher ist die einzige Beschäftigung, die man eigentlich an einem Tag hat."

Entlassung aus der Haft: "Um acht ist man draußen"

Christian ist im August entlassen worden. Nach einem Jahr in Haft. An die Entlassung kann er sich gut erinnern: "Man wird mit dem berüchtigten Stiefel in den Hintern rausgeschmissen, ohne Wenn und Aber. Das geht relativ schnell. Morgens um sechs oder halb sieben steht man auf. Um acht Uhr ist man draußen."

Seitdem findet er zurück ins Leben. Christian ist nach Zahlen des bayerischen Justizministeriums einer von rund 14.000 Gefangenen, die im Laufe dieses Jahres aus der Haft entlassen wurden. Oft nur mit den wenigen Dingen, die sie am Leib tragen und in der Tasche haben, die sie mit sich schleppen, wenn sich das Gefängnistor vor ihnen öffnet und sie ins Leben zurück spült.

Nach der Haft: Kein Job, keine Wohnung, keine Krankenversicherung

Das Problem: Viele Menschen, die aus der Haft entlassen werden, haben keine Anlaufstelle, keine Wohnung, keinen Job mehr. Viele suchen Hilfe und kommen deswegen durch die Bürotür zu Stefan Hohnerlein. Er arbeitet bei der Christophorus-Gesellschaft in Würzburg, betreut und berät Entlassene aus der Justizvollzugsanstalt Würzburg.

Bei der Beratungsstelle der Christophorus-Gesellschaft gibt es nach der Haft einiges zu regeln: Viele ehemalige Gefangene verlassen die JVA ohne Krankenversicherung. Die muss ganz dringend beantragt werden. Außerdem brauchen sie ein soziales Netz, einen Job, eine Wohnung. Doch Entlassene konkurrieren auf dem Wohnungsmarkt mit vielen Anderen um bezahlbare Wohnungen. Aus der Haft direkt in die eigene Wohnung schaffen es nur die wenigsten. Christian wohnt derzeit in einer Wohnung für Strafentlassene der Christophorus-Gesellschaft.

Während der Haft: Soziales Netz bricht weg

Viele fangen auch nach der Haft ganz neu an. Denn oft ist durch die Inhaftierung das ganze soziale Netzwerk weggebrochen, sagt Hohnerlein. "Das heißt, die Leute sind wirklich ganz alleine. Vielleicht gibt es noch einen Bekannten, einen Freund, eine Freundin, aber sonst ist alles weg, die sind nicht nur ohne Habe, ohne Bleibe, sondern auch ohne Freunde, ohne soziales Netz. Umso wichtiger ist es, dass wir da einfach so ein bisschen in die Bresche springen und diese Lücke füllen."

Christian ist einer von wenigen, die sich schon in der Haft um die Zeit danach gekümmert haben, überlegt haben, wie es weitergeht. Noch am Tag der Entlassung sitzt er bei Stephan Hohnerlein im Büro und füllt die ersten Anträge aus. Er will eine Ausbildung machen und Menschen helfen.

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Krankenversicherung, Wohnung, Job - im Büro von Stephan Hohnerlein stellen sich die Weichen für ein Leben nach der Haft.

Doch nach dem Gefängnis erleben ehemalige Gefangene oft Ablehnung: "Wenn man das demografisch betrachtet: Je älter die Leute sind, mit denen ich geredet habe, umso mehr Ablehnung habe ich getroffen. Menschen in meinem eigenen Alter und jünger waren eigentlich eher offen."

Bayern: Keine Weihnachtsamnestie

Jetzt kurz vor Weihnachten stehen einige Gefangene vor der Entlassung, packen in bayerischen Justizvollzugsanstalten ihre Sachen. Eine "Weihnachtsamnestie" gibt es laut Bayerischem Justizministerium nicht. Eine vorzeitige Haftentlassung dürfe nicht vom Kalender abhängen. Nur Gefangene, deren Haftentlassung in die Zeit vom 22. Dezember bis zum 6. Januar fällt, können am vorhergehenden Werktag entlassen werden. Das ist in diesem Jahr der 21. Dezember. In der JVA Würzburg betrifft das insgesamt 15 männliche und weibliche Gefangene.

Doch einige Entlassene - egal zu welcher Jahreszeit - schaffen den Sprung zurück ins Leben nicht. Das Bayerische Justizministerium schreibt auf BR24-Anfrage, dass Ende März etwas mehr als ein Drittel der Inhaftierten zuvor schon einmal im Gefängnis war.

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Fotografierend zurück ins Leben: Mit dem Fotoprojekt will Christian aufrütteln

Fotoprojekt als Beschäftigung nach der Haft

Christian sucht sich Beschäftigung, will auf soziale Probleme aufmerksam machen. Er startet ehrenamtlich ein Fotoprojekt, will damit aufrütteln: "Bei meinem Projekt geht es darum, dass wir in den nächsten anderthalb Jahren zusammen mit Schülern und Studenten, mit Bürgern und Bürgerinnen die Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit hier in Würzburg hervorheben wollen. Wir werden ganz viele unterschiedliche Aktionen an den Start legen und am Ende auch eine Ausstellung veranstalten."

Ihm ist wichtig zu zeigen, dass nicht alle Menschen abends ein warmes Dach über dem Kopf haben, etwas Warmes trinken können. "Manchmal muss man die Menschen mit der Nase drauf stoßen und ihnen einfach auch mal ein bisschen aus dem Alltag von Obdachlosen, obdachlosen Frauen und hilfsbedürftigen Menschen vorhalten", sagt er. Mit seinem Fotoapparat zieht er los. Das ist sein Weg nach der Haft zurück in die Gesellschaft, zurück ins Leben.

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