Gewaltbereite Fußballfans werden in Deutschland beobachtet. Hierauf haben sich alle Bundesländer verständigt und führen seither eine gemeinsame Polizeiakte: Die "Datei Gewalttäter Sport". Im Sommer des vergangenen Jahres kam jedoch überraschend heraus: Bayern führt zusätzlich noch eine eigene weitaus größere Akte. Im Vergleich zu der bundesweiten werden darin dreimal so viele Fans gespeichert und beobachtet, nämlich 1.644. Zumindest war das bis vor kurzem so.
Hunderte Löschung aufgrund "medialen Drucks"
Denn nun kam heraus: Seitdem die Datenbank öffentlich wurde, gab es viele Löschungen. Demnach wurden zwischen Juni und November 2021 rund ein Viertel der Eintragungen wieder entfernt, 385 an der Zahl. Eine Verjährung könne nicht der Grund für die "Massenlöschung" sein, glaubt Max Deisenhofer, sportpolitischer Sprecher der Landtagsgrünen.
Denn ursprünglich wollte die Polizei bis Ende 2021 nur 37 Eintragungen aufgrund von Fristablauf löschen. Das geht ebenfalls aus der parlamentarischen Anfrage der Grünen hervor. Max Deisenhofer vermutet stattdessen einen Zusammenhang zwischen der Berichterstattung und den Löschungen: "Kurz nachdem Easy GS öffentlich geworden ist, werden auf einen Schlag fast 400 Fans aus dem Verzeichnis gelöscht."
Herrmann: Löschungen sind "turnusmäßige Qualitätskontrolle"
Der Bayerische Innenminister, Joachim Herrmann (CSU), gibt als Grund für die Löschung an, dass die Datei "turnusmäßig einer Qualitätskontrolle unterzogen" werde. Das bedeutet, dass die bayerische Polizei regelmäßig überprüft, ob Speicherungen "zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben" noch notwendig sind. Im Zuge dessen würden Datensätze immer wieder und "unverzüglich" gelöscht. Und dies sei auch in den vergangenen Monaten passiert. "Die Löschungen zeigen also, dass sich die Bayerische Polizei ausschließlich auf relevante Personen fokussiert und keine Vorratsdatenspeicherung betreibt", teilt ein Ministeriumssprecher mit.
Grüne vermuten Eingeständnis seitens des Ministeriums
Max Deisenhofer findet: "Die bayerische Polizei gesteht sich damit ein, dass entweder die Speicherung nicht notwendig oder womöglich gar nicht zulässig war." Die Löschungen seien zwar einerseits "ein großer Erfolg", andererseits zeigen sie, "auf welch wackeligen und eventuell sogar verfassungswidrigen Füßen die Datei" stand. Ein weiterer Grund für die Löschungen könnten Deisenhofer zufolge die vielen Auskunftsersuchen der Fußballfans sein:
Denn seit Bekanntwerden der Datei haben 362 Fans bei der Polizei nachgefragt, ob sie in der Akte geführt werden. Ähnlich viele Personen hat die Polizei anschließend aus der Datenbank entfernt. Im Jahr zuvor, als die Datei noch unbekannt war, hatten 23 Fans eine Anfrage gestellt. Die Berichterstattung und die vielen Anfragen hätten zu einer "Bereinigung" der Datenbank geführt, ist sich Deisenhofer sicher. Das Innenministerium weist diese Vorwürfe zurück.
Datei "überflüssig" und in Teilen "verfassungswidrig"
Fanverbände, Datenschützer und Opposition kritisieren die Datei dennoch als "äußerst bedenklich" und halten gewisse Speicherungen für "verfassungswidrig". Dies betreffe einerseits den Umfang der gesammelten Informationen - beispielsweise dürfen auch der Beruf oder Fotos gespeichert werden - andererseits sei auch der Anlass für eine Eintragung "sehr niederschwellig".
Tatsächlich geht aus einem Schreiben des Innenministeriums hervor, dass eine Ordnungswidrigkeit, wie das Anbringen von Graffitis oder Aufklebern, ausreicht, um offiziell als Gewalttäter geführt zu werden. Auch genügt ein Anfangsverdacht wie zum Beispiel die Zugehörigkeit zu einer Ultra-Gruppierung. Zudem werde man über eine Eintragung nicht informiert, kritisieren Fan-Anwälte.
Datensätze gab es bereits und sind nicht für jeden zugänglich
Das Innenministerium teilt auf BR-Anfrage mit, dass es sich bei der Datei um eine Zusammenführung bereits bestehender Daten handelt. Die Polizei hatte die Datensätze also bereits gespeichert und seit Januar 2020 in die neue Datei übertragen. Mit der "EASy Gewalt und Sport" wolle die Polizei "Störungen" im Sport verhindern. Dazu zählen unter anderem Gewalttaten, Bedrohungen, fremdenfeindliche Handlungen, aber auch Graffitis.
Während die bundesweite "Datei Gewalttäter Sport" eher "taktisch-operativen Maßnahmen" diene, möchte man mit der bayerischen Datei etwas über "Verbindungen zwischen den Angehörigen gewaltbereiter Szenen" herausfinden. Ein Ministeriumssprecher betont, dass nur "ein sehr eingeschränkter Personenkreis" auf diese Datenbank zugreifen dürfe.
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